Sozialpolitische Wegweiserin – Zum Tod von Anne Allex
Heute gerät oft in Vergessenheit, dass es in Deutschland vor fast 20 Jahren massive Proteste gegen die Einführung von Hartz IV gegeben hat, bei denen die Betroffenen selber eine zentrale Rolle spielten. Zu ihnen gehörte auch Anne Allex, die am Freitag im Alter von 64 Jahren gestorben ist.
Der Arbeitsplatz der in der DDR ausgebildeten Ökonomin wurde nach der Wende abgewickelt. Einige Jahre arbeitete Allex als wissenschaftliche Mitarbeiterin für eine Bundestagsabgeordnete der damaligen PDS. Dort setzte sie sich auch dafür ein, dass sich die bei der Fraktion Beschäftigten gewerkschaftlich organisierten. Bald wurde die Selbstorganisation der Beschäftigten, aber auch der Erwerbslosen zu einem wichtigen Thema im Leben von Anne Allex. Dabei wurde sie als Mitglied des runden Tisches der Erwerbslosen und Sozialhilfeempfänger*innen auch bundesweit bekannt und geschätzt. »Mit Arbeit soll man leben können, ohne Arbeit auch«, so ein Leitspruch ihres Engagements.
Die Einführung des Hartz-IV-Systems sah Allex als massive Verschärfung der Ausgrenzung von armen Menschen. Sie versuchte mit ihren Mitstreiter*innen auf verschiedenen Ebenen den Widerstand dagegen zu befördern. 2006 war Allex Herausgeberin des »Schwarzbuchs Hartz IV«, in dem Beispiele von Entrechtungen durch die Jobcenter, aber auch von Widerstand der Betroffenen dagegen dokumentiert sind. Allex gehörte auch zu den Initiator*innen eines Nothilfetelefons, bei dem sich Menschen melden konnten, die ihre Wohnungen zu verlieren drohten, weil das Jobcenter nicht mehr die volle Miete übernimmt und sich daher Mietschulden ansammeln, die zu Kündigungen führen können. »Keine Räumung unter dieser Nummer« lautete das Motto, mit dem das Projekt beworben wurde. Es war der Vorläufer der Kampagnen gegen Zwangsräumung, die noch heute in vielen Städten aktiv sind. Der bundesweite Widerstand gegen Hartz IV, den sich die Autor*innen des »Schwarzbuchs Hartz IV« erhofft hatten, blieb aus verschiedenen Gründen aus. Anne Allex zog sich aber nicht aus der politischen Arbeit zurück. Die letzten Jahre ihres Lebens widmete sie sich dem Gedenken und der Rehabilitierung von als asozial stigmatisierten Menschen. Dazu gehörte auch eine ihrer Großmütter, die 1936 bei Osram zu Zwangsarbeit verpflichtet wurde. Erst ab Mitte der 90er Jahre habe sie die Dimension dieser Verfolgung begriffen, erzählte Allex später. Dazu hat auch ihr Kampf gegen Hartz IV beigetragen.
»In der deutschen Geschichte wurde Erwerbslosen durchgehend die Schuld an ihrer Situation in die eigenen Schuhe geschoben«, begründete Allex in einem Interview mit dem »nd«, weshalb nach ihrem Engagement gegen Hartz IV der Kampf für das Gedenken an die Opfer »sozialrassistischer Verfolgung« für sie in den Mittelpunkt rückte. Dazu gab Allex 2017 im sozialpolitischen Kleinverlag AG Spak ein Buch heraus, in dem der Forschungsstand dokumentiert ist.
2007 gründete Allex mit einigen Mitstreiter*innen den »Arbeitskreis Marginalisierte gestern und heute«. Dieser setzte sich erfolgreich dafür ein, dass die Opfer des Berliner Arbeitshauses an der Rummelsburger Bucht nicht vergessen werden. Allex hatte noch weitere Gedenkprojekte geplant, unter anderem mit der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, wo sie Mitglied war. In den letzten Jahren verhinderte eine schwere Erkrankung, dass sie ihre Arbeit fortsetzen konnte.
Nach ihrem Tod trauern auch junge Menschen, denen sie in Vorträgen Wissen über die Verfolgung als asozial stigmatisierter Menschen vermittelt hat, um Anne Allex, eine Frau, die sich für die Rechte armer Menschen in Vergangenheit und Gegenwart einsetzte.
Peter Nowak
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172901.nachruf-sozialpolitische-wegweiserin.html
passiert am 03.05.2023