[ITA] – AKTUELLER STAND DER EREIGNISSE IN BUDAPEST

Im Februar dieses Jahres wurden in Budapest vier Personen verhaftet, denen vorgeworfen wurde, in unterschiedlicher Weise an Übergriffen von Nazis beteiligt gewesen zu sein. Zwei von ihnen, ein deutscher Gefährte und eine ungarische Person, wurden später wieder freigelassen, während die beiden anderen, ein deutscher Gefährte und eine italienische Gefährtin, immer noch im Gefängnis sitzen. Drei Monate nach diesen Verhaftungen haben wir uns entschlossen, einen Text zu verfassen, um zu versuchen, ein minimales Bild der Situation zu vermitteln und insbesondere einige Neuigkeiten über den Zustand der italienischen Gefährtin zu geben. Sie ist eine sehr enge Freundin, mit der viele von uns in den letzten fünfzehn Jahren Kämpfe, Kummer, Freude und Leid geteilt haben.

Der Kontext

Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass die Verhaftungen nicht an irgendeinem Tag stattfanden. Der 11. Februar ist für ungarische Neonazis ein Kultdatum, das in „Tag der Ehre“ umbenannt wurde, um an das Massaker an einem Nazi-Bataillon zu erinnern, das im Februar 1944 bei dem Versuch, der Belagerung der Stadt Budapest durch die Rote Armee zu entkommen, vollständig aufgerieben wurde. In den letzten Jahren haben die Feierlichkeiten im Zusammenhang mit diesem Jahrestag begonnen, Neonazis aus anderen Ländern anzuziehen, und sind im Laufe der Zeit in bestimmten Kreisen der europäischen extremen Rechten, insbesondere in Deutschland, populär geworden. Dort ist es zu einem immer beliebteren Ereignis geworden, was zum Teil auf die im Vergleich zu Deutschland größere Toleranz gegenüber dem Zeigen von Symbolen, Fahnen und Uniformen zurückzuführen ist. Angesichts der mittlerweile internationalen Bekanntheit der Veranstaltung und der zunehmenden Proteste gegen die Durchführung derartiger Aufmärsche in der Stadt entschieden in diesem Jahr erstmals auch die lokalen Behörden, dass es nicht angemessen sei, den Budapester Burgpalast – wie sonst üblich – als offiziellen Veranstaltungsort zu genehmigen, und so organisierten die Veranstalter des Neonazi-Netzwerks Blood and Honour „nur“ einen Landmarsch außerhalb der Stadt, der als Erlebnispfad durch den Wald, in dem die Niederlage stattfand, gestaltet war. Stattdessen versammelten sich einige hundert Antifaschisten in der Nähe der Festung.

Dies ist wahrscheinlich das Szenario der Stadt Budapest in den Tagen, in denen die Ereignisse stattfanden.

Die Vorwürfe

Über die beiden Personen, die sich noch immer in Haft befinden, ist nur bekannt, dass sie in einem Taxi angehalten wurden und dass ihre Festnahme auf einigen Indizien beruht, die die ungarische Polizei für ausreichend hält, um weitere Ermittlungen durchzuführen. Gegen die italienische Gefährtin wird wegen zweier Vorfälle ermittelt. Zumindest einer davon stimmt jedoch nicht mit den Angaben auf ihren Flugtickets überein. Die Anklage lautet auf „Angriff auf ein Mitglied der Gemeinschaft“ und soll im Zusammenhang mit der Körperverletzung mehrerer Nazis durch Unbekannte in den Tagen vor der Festnahme stehen. Die Ermittlungsakten sind jedoch noch nicht übersetzt, und wir überlassen es euch, euch die Schwierigkeiten vorzustellen, die mit der Informationsbeschaffung und der Koordinierung zwischen den Anwälten verbunden sind.

U-Haft

Die Inhaftierung in Ungarn bedeutet, dass sie nur Briefe, Telegramme, Geld, Lebensmittel oder Kleidung von Personen erhalten können, die direkt registriert und für einen direkten Kontakt zugelassen sind. Aus diesem Grund erhielten sie im ersten Monat ihrer Haft nicht einmal das Nötigste und mussten sich mit der Kleidung begnügen, die sie am Leib trugen. Derzeit hat der deutsche Inhaftierte die Erlaubnis, mit seinen Eltern zu sprechen und kann daher per Telefon oder Skype mit ihnen kommunizieren und erhält Grundnahrungsmittel und Briefe. Die italienische Gefährtin hatte zunächst die Erlaubnis, mit ihren Eltern und dem italienischen Anwalt zu kommunizieren, aber diese Erlaubnis wurde sofort nach dem ersten Telefonat widerrufen. Seitdem hat sie ein Telefon in ihrer Zelle, darf aber mit niemandem außer ihrem ungarischen Anwalt und dem Verbindungsbeamten der italienischen Botschaft kommunizieren. Ein erster Einspruch gegen diese Entscheidung wurde abgelehnt, so dass alles darauf hindeutet, dass sie auch in den nächsten Monaten ohne die Möglichkeit von Gesprächen und Kontakten mit der Außenwelt inhaftiert bleiben wird, es sei denn, der Anwalt vor Ort vermittelt dies. Auch wir hier, die wir keinen direkten Kontakt zu ihr haben, müssen uns auf indirekt übermittelte Informationen verlassen, mit allen Schwierigkeiten, die das für den Aufbau von Solidarität mit sich bringt. Jedenfalls scheint es ihr gut zu gehen, und trotz der Schwierigkeiten in den ersten Monaten der Haft scheint sich die Situation jetzt verbessert zu haben. Das erste Paket ist angekommen und die Haftbedingungen sind weniger hart geworden, da sie nicht mehr isoliert ist und ihre Zelle, die nicht mehr von Bettwanzen befallen ist, mit einer Gefangenen teilt, zu der sie ein gutes Verhältnis aufgebaut hat. Diese Nachricht scheint sie dazu veranlasst zu haben, ihre Inhaftierung nicht öffentlich in den lokalen Medien zu thematisieren, wie es ihr Anwalt ursprünglich vorgeschlagen hatte.

Die ungarischen Medien berichteten zunächst mit einigem Echo über die Verhaftung, doch im Laufe der Wochen ließ die Aufmerksamkeit nach, und der Fall scheint nun den üblichen Verfahren zu folgen, so langsam und willkürlich sie auch erscheinen mögen. Die Langsamkeit bei der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und die schlechten hygienischen Bedingungen in den Zellen sollten nicht als das Ergebnis einer persönlichen Verbissenheit, sondern als normale Verwaltung der ungarischen Gefängnisse betrachtet werden. Die Ermittlungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen, und wir haben von einem Verhör ohne Anwälte gehört, bei dem beide die Aussage verweigerten.

Deutschland

Während auf ungarischer Seite die Aufmerksamkeit für den Vorfall abgeklungen zu sein scheint, finden die Ereignisse in Budapest in Deutschland immer noch ihren Weg in die Zeitungen und werden parallel von der Bundespolizei untersucht. Es wird vermutet, dass es eine Kontinuität zwischen diesen Übergriffen und anderen ähnlichen Vorfällen in Deutschland gibt. Mit dieser Begründung hat die Polizei in den letzten Monaten eine Reihe von Hausdurchsuchungen in der Antifa-Szene durchgeführt und sieben neue Haftbefehle erlassen, begleitet von einer einseitigen und aggressiven Medienkampagne, die darauf abzielt, die Aufnahme deutscher Antifa-Gruppen auf die Liste der von der EU anerkannten terroristischen Vereinigungen zu rechtfertigen. Um diese Repressionsintensität besser einordnen zu können, muss man wissen, dass sich die sächsische Landesregierung in den letzten Jahren, dem allgemeinen Bundestrend folgend, weiter nach rechts radikalisiert hat und nach den starken antifaschistischen Protesten 2009/2011 in genau dieser Region wiederholt der Straftatbestand der „kriminellen Vereinigung“ genutzt wurde, um gegen Gefährtinnen und Gefährten mit Verbindungen zur Antifa-Szene zu ermitteln, sie zu durchsuchen und zu verhaften. Zu diesem Zeitpunkt wurde kein einziges dieser Verfahren vor Gericht gebracht, aber diese Art von Vorwürfen ermöglichte es, Hunderte von Personen zu bespitzeln Seit 2019 wurde eine finanziell gut ausgestattete Sonderkommission gegen die Antifa (Soko Linx) eingerichtet, die im November 2020 zu weitgehend spektakulären Verhaftungen führte. Die Situation spitzte sich im Jahr 2021 zu, als im Laufe des Verfahrens eine berüchtigte Figur auftauchte und begann, die Ermittler aktiv zu unterstützen. Angesichts der allgemeinen Repressionslage wird das sogenannte Antifa-Ost-Verfahren voraussichtlich Ende Mai 2023 mit einem Urteil enden, wobei erstmals der Vorwurf einer „kriminellen Vereinigung“ für eine mögliche Verurteilung auf dem Tisch bleibt. Dieselbe Gruppe, die in Dresden vor Gericht steht (in der Presse als „Hammerbande“ bezeichnet), wird nun auch für die Ereignisse in Budapest verantwortlich gemacht. Was speziell die verhaftete italienische Gefährtin betrifft, haben wir keine konkreten Hinweise, dass sie derzeit in die deutschen Ermittlungen involviert ist.

Nächste Schritte

Die nächste Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die Untersuchungshaft der beiden in Budapest Festgenommenen wird am 14. Juni fallen. Zu diesem Zeitpunkt wird der Anwalt auch einen ersten Antrag auf Verlegung in den Hausarrest stellen. Im Fall der italienischen Gefährtin wird daran gearbeitet, für sie eine Wohnung und einen Arbeitsplatz in Budapest zu finden, wofür Kontakte und Vorschläge willkommen sind. Auf dem Papier besteht auch die Möglichkeit, dass sie in ihrem Heimatland unter Hausarrest gestellt wird, wie es die europäische Gesetzgebung vorsieht, und in diesem Fall gäbe es keinen Mangel an Wohnmöglichkeiten. Gleiches gilt für den deutschen Gefährten. Sollte dieser erste Antrag scheitern, will die Verteidigung im August einen neuen Anlauf unternehmen, wenn sich nach den ersten sechs Monaten der Sicherungsverwahrung für beide eine Chance auf Freilassung ergeben sollte.

In der Zwischenzeit planen die deutschen Gefährtinnen und Gefährten eine öffentliche Solidaritätskampagne, die wir hoffentlich so bald wie möglich ankündigen können.

In Mailand denken wir an ein öffentliches Treffen zwischen Ende Mai und Anfang Juni, um zu versuchen, über die Ereignisse in Deutschland und Ungarn zu berichten und sie mit den Ereignissen in unseren Städten zu verbinden. Es wird auch eine Gelegenheit sein, eine Spendenkampagne zu starten, um die notwendigen Mittel für die juristischen und materiellen Kosten zu sammeln, die unsere Freundin und Gefährtin zu tragen hat. Lassen wir sie nicht allein!

Updates werden folgen…

Wir bitten alle, die können, sich an den Prozesskosten zu beteiligen

KONTOINHABERINNEN: ALICE ZAFFARONI & MARTINA FRANCHI
IBAN: LT52 3250 0629 2249 2633
BIC: REVOLT21

zehnter mai zweitausenddreiundzwanzig

einige Freund*innen und viele Gefährt*innen aus Mailand

(Anmerkung Kontrapolis: Daten des Spendenkontos am 10.08. von uns aktualisiert)

passiert am 10.05.2023