“Darf ich dich beißen?“ Gentrifizierung und Krieg – Markthalle 9 und die Zombies
Während der Krieg weitergeht, gab es in Kreuzberg eine kleine Störung im kapitalistischen Normalbetrieb.
Als sich am 1. Juli der samstägliche Frühnebel verzog und die Sonne nach High Noon noch hoch am Himmel stand, fiel eine Horde Zombiesoldaten in die Markthalle 9 ein. Die Betreiber der Gentrifizierungshalle in Berlin-Kreuzberg mit ihrem Luxusfood ahnten wohl schon was kommt und waren schnell bemüht, den Zombies gegenüber genau die selbe Ignoranzan den Tag zu legen wie den mittlerweile ehemaligen Anwohner*innen. Denn auch wegen des „Engagements“ als Markthalle 9 steigen die Mieten. Und viele Alteingesessene sind gezwungen woanders zu Wohnen. Verdrängung durch Aufwertung, wir kennen es alle. Diesmal ließ die Leitung der Markthalle 9 die Aktivist*innen des „provisorischen anarchistischen Antikriegsrats“ ihre Flyer verteilen und sie ersparten sich und ihnen vor allem die nervigen Diskussionen über Krieg, über ihre gelb-blaue Nationalfahne an der Decke, über den Zusammenhang von Krieg und Gentrifizierung. (Bericht zur letzten Aktion siehe: https://kontrapolis.info/10063/)
Die Zombies sahen wirklich Scheiße aus. Stahlhelm auf zerschossenen Gesichtern, Wundverband am zerschossenen Arm. Blut aus der OP-Maske. Während bei der letzten Aktion die Soldaten noch unversehrt zum Antrittsbesuch am 1. April die Schließung der Markthalle 9 ankündigten (Übersiedlung auf den Schießplatz in die Ukraine), freuten sich die Zombies dieses Mal eine weitere frohe Botschaft im Volk verbreiten zu können. Als größte wachsende Population, wenn wir die Untoten mal so nennen dürfen, verkündeten sie, dass man sich nicht nur einer Kriegspartei zurechnen müsse. Die Entscheidung sei frei. So wie man auf Seiten des russischen Militärs und der Wagnergruppe im Schützengraben krepieren kann, so könne man auch auf ukrainischer Seite den Heldentod suchen. Auf allen Seiten des Schlachtfestes morden Nazis und Vergewaltiger mit. Wer arm ist und nicht rechtzeitig desertieren konnte, hatte eben Pech gehabt. Und solange Waffen und Nachschub an Kanonenfutter ausreichend nachgeliefert werden können, siegt die internationale Zombiearmee ohne Unterlass.
Wem die bisherigen militärischen Konflikte zu langweilig erscheinen, durfte laut Flyer auch neue Schauplätze eröffne und sich zu Frontkämpfen China gegen USA (oder umgekehrt) einfinden. Die Mobilmachung, die verteilt wurde, nahm es diesbezüglich nicht so genau und ließ auch Mehrfachnennungen zu. Eine einleuchtende ideologische oder ökonomische Kriegsbegründung gibt es auf allen Seiten zu Hauf.
Sehr interessant war in dem Mobilmachungsflyer auch die Wahlmöglichkeit entweder auf Seiten der arabischen Fundamenatlisten in den Tot zu ziehen oder auf Seiten der israelischen Fundamentalisten. Für jeden Geschmack war was dabei. Anitdeutsche konnten ebenso auf ihre Kosten kommen wie Anhänger des orthodoxen Rotfront-Kampfblatts, die „Junge Welt“. Und AfDler hatten noch die Möglichkeit gegen alle Minderheiten der Welt in den Kreuzzug zu ziehen.
Während bei der ersten Aktion am 1. April gegen die Genrifizierungsgewinner*innen, die Ablehnung garantiert war, überraschten uns die Besucher*innen der Markthalle 9 diesmal mit Zustimmungen, die wir nicht erwarteten. Tourist*innen waren aufgeschlossen, sofern bereit ihnen die Aktion auf englisch erklärt wurde. Die Gruppe der gut situierten, saturierten FDP-Wählerschaft war diesmal kleiner, aber an den Fressständen durchaus präsent. (Die meisten hatten sich wahrscheinlich aus Protest gegen das neue Heizungsgesetz mit Sekundenkleber an ihre Gasthermen geklebt.) Es gab aber einfach mehr Zustimmung. Ob es daran lag, dass die Markthalle 9 war auch nur halb so voll war wie am 1. April oder die Vernunft in einige Köpfe zurückkehrt; wir wissen es nicht.
Lustig waren die bürgerlichen Damen aus dem anarchistischen Antikriegsrat, die sich einander laut das Mobilisierungsflugblatt vorlasen, und die verkniffenen Markthallenbesucher*innen plötzlich doch aufmerksam zuhörten, warum hier gerade soldatische Zombies umherwandelten.
Auch lustig war der Typ, der einen Flyer nahm aber fragte, was die Zombies eigentlich wollen, und ihm erklärt wurde, dass sie gegen jeden Krieg seien, und er sich lustig machte und fragte und wie das denn gehen solle. Ihm wurde erwidert, dass dazu alle Waffen abgeschafft werden müssten. Und er nachfragte, und wie das denn gehen soll. „Militant natürlich“ war die Antwort. Er stutzte kurz erstaunt und sagte dann: „Find ich gut“. Einfache direkte Antworten anstatt akademische Abhandlungen liegen Zombies naturgemäß auf der Zunge, sind sie doch als Genre immer auch der proletarische Bürgerschreck im Film. Das akademische blabla ohne Glaubwürdigkeit überlassen sie den Lebenden.
Nachdem viele Flyer abgeworfen werden konnten, zogen sie weiter. Richtung Lausitzer Platz, der Ort an dem Gentrifizierung durch die Spielstraße einen neuen Ausdruck erfahren hat.
Kaum am Platz angekommen, zeigte sich eine andere militärische Einheit, die keine Konkurrenz auf ihrem Terrain dulden wollte. Eine typische Berliner Wanne mit sechs bis acht grünen Männchen und einem Weibchen versuchte den Zug der lebenden Untoten zu stoppen, die sich aber nicht von Fremden Befehle erteilen ließen und sich in der Eisdeale TanneB niederließen. Eingekreist von Clankriminellen (auf den Anzügen stand Polizei, kennt die wer?) tranken die Zombies ihre Getränke und pflegten ihre Konversation mit dem Publikum. Die „Polizei“ versuchte der Problemlage Herr zu werden und suchte einen Verantwortlichen (männlich natürlich). Der war aber unterwegs schon gefressen worden. Dann wollten sie eine Anmeldung erzwingen, weil dies eine politische Veranstaltung sei, zumal sogar dubios. Beweis seien die Worte „Palästina“ und „Wagner“ in dem Mobiliserungsflyer. Andere Begriffe aus dem Flyer wie „Israel“ und „Assow“ waren den Staatsbediensteten scheinbar kein Begriff. Satire und Theater kannten diese spaßbefreite Truppe auch nicht und so musste der unbeleckten „Pozilei“ der Begriff „Satire“ nahgebracht werden. Und bei Satire verstanden die uniformierten keinen Spaß, es darf nur eine uniformierter Clan in ihrem Abschnitt geben. Die Zombies zeigten sich davon weitgehend unbeeindruckt und die Sympatiebekundung einiger noch nicht weggentrifizierter Anwohner*innen verunsicherte die „Poliziei“ immer aufs neue. Nachdem auch die aus dem Headquarter angeforderte Unterstützung ausblieb und auch dort niemand das Wort Satire einzuordenen wusste obwohl der Mobilisierungsflyer mehrfach übermittelt wurde, wurde der Einsatz immer konfuser. Es half auch nichts als der Besitzer der Eisdeale TanneB, der mit der Gentrifizierung eiskalte Geschäfte macht, von seinem Hausrecht gebrauch machte, die Zombies von seinen Tischen verjagte und die Zombies vom weiteren Verzehr der bei ihm gekauften Waren abhielt. Unausgesprochen stand schon der Vorwurf des Hausfriedensbruchs im Raum, den der geldgeile Besitzer auszusprechen kurz davor war. Irgendwann platze einem Zombie der blutige Kragen und hielt eine öffentliche Anklage, andere Anwohner*innen blieben in Reichweite und wären eingeschritten, wenn die „Pilozie“ in irgend eine Richtung eskaliert hätte. Der „Pilozie“ ging irgendwann der Saft aus.
Ergebnis war dann; „Helm ab ohne Gebet“ und da alle Flyer schon verteilt waren, gab es auch keine mehr zu verteilen. Die „Pozelie“ war am Ende ihrer Einfälle und lies den Zombietroß ziehen.
Unser Fazit für den Moment:
Gute Aktion. Super gelaufen. Die Gentrifizierungsgewinner nicht in Ruhe lassen und Krieg und Gentrifizierung zusammen thematisieren. Für einige in der Markthalle 9 noch nicht in Reichweite ihres Verständnisses. Wir arbeiten dran.
Großartig die Beteiligung anderer Uniformierter in unseren Aufzug. Klar, die haben schon gestresst, aber sie gehörten zur Performance einfach dazu: Kleine Gruppe, großer Effekt. Ähnliche skurrile Polizeieinsätze würden sich auch gut machen in den Regionalbahnen am Wochende, wenn Zombiearmeeanwärter durch die Republik gondeln. Oder beim nächsten Gelöbnis oder Zapfenstreich.
Auch dass der Besitzer der TanneB sich outete als das was er ist, als ein Absahner der Gentrifizierung, war super. Er lässt seine Eisdeale echt cool aussehen, geiler pinker Schriftzug über dem Eingang und Bedienstete nach dem neusten Diversityschlüssel zusammengestellt, die für ihn das Geld anhäufen. Und sobald er sich zwischen erfolgreichen Geschäftsmodell oder Solidarität mit von der Polizei bedrängten Menschen entscheiden muss, tut er das auch. Für Krieg und Gentrifizierung entscheidet man sich dann, wenn woanders für seine Freiheit Geld anzuhäufen, krepiert wird. Weitersagen; dort mindestens kein Eis mehr kaufen.
passiert am 01.07.2023