Es gab es keinen anarchistischen CSD im Jahr 2023 mit unsere Beteiligung. Warum?
Wir, einige Gründer*innen des ACSD haben die Gruppe letztes Jahr
verlassen. Unsere Absicht, unsere Initiativen und Visionen haben dort
an Boden verloren und sie haben sich nicht eingelöst. Zum Teil fühlten
wir uns auch politisch verraten.
Nachdem wir die Gruppe verlassen haben, ist die Struktur ganz zusammen gebrochen. Wir
bedauern sehr, dass nicht andere den Raum freigemacht haben, damit wir einen anarchistischen
CSD hätten organisieren können. Für dieses Jahr, wie gesagt, gab es keine Initiative von uns.
Wir haben dieses Papier Sommer 2023 geschrieben, vor dem Massaker der Hamas und dem
Massaker der israelischen Notstandsregierung. Für uns ist der Beitrag aktuell geblieben.
Warum wir die Gruppe verlassen haben.
Es gab mindestens einen politischen Konflikt, den wir nicht lösen konnten. Dieser Konflikt wurde
von einigen in der Gruppe immer wieder als persönlicher Konflikt abgetan.
Es gab Menschen in der ACSD-Gruppe, die einer antideutschen Agenda folgten, diese aber nicht
transparent machten, auch bei Nachfragen nicht. Zu vermuten ist, dass gerade den Deutschen dies
selbst nicht richtig bewusst war. Unsere kritischen Nachfragen sind immer wieder ins Leere
gelaufen. Mit dieser Haltung aber blockierten sie immer wieder politische Entscheidungen und
Dynamik im Sinne eines anarchistischen CSDś. Aus dieser antideutschen Attitüde heraus waren
einige nicht Willens oder in der Lage sich auch positiv auf anti-koloniale Kämpfe von
Palästinenser*innen zu beziehen – sie witterten stattdessen hinter jeder Position, die sich auch
positiv auf Menschen in Palästina bezog den Generalverdacht des Antisemitismus. Unsere
Solidarität aber gebührt Menschen, die gegen die Herrschaft in Israel kämpfen, ob gegen
reaktionäre Siedler*innen, Netanjahu oder gegen die Übergriffe auf Palästinenser:innen. Unser
Solidarität gehört auch den Palästinenser:innen, die sich gegen die Dominanz der Hamas, der PLO
und des Jihad behaupten müssen und ihr Leben riskieren. Unsere Solidarität gehört schwulen,
lesbischen, trans Menschen, vor allem wenn sie den Fundamentalismus auf beiden Seiten ablehnen.
Aus dieser Position als Anarchist*innen heraus lehnen auch wir den Nationalismus, den
Militarismus und Queerfeindlichenkeiten auf allen Seiten ab. Wir sind vom israelischen
Fundamentalisten genauso bedroht wie von palästinensischen Fundamentalisten wie von deutschen
Fundamentalisten. Und wie in jedem Konflikt, es sind immer die Armen, die auf beiden Seiten eines
militarisierten Konfliktes die Verlierer*innen sind.
Diese Auseinandersetzung haben wir uns nicht ausgesucht, sie wurde uns aufgezwungen: Der
Palästina-Israel-Konflikt ist ursprünglich durch einen Übergriff auf den ACSD hineingetragen
worden. Damit wurde versucht uns eine autoritäre Position aufzuzwingen, wogegen sich der ACSD
damals erfolgreich verwahrte. Ein Kritikpapier (siehe link unten am Textende) aber von uns kam zu
spät und wurde von einem Teil der ACSD-Gruppe unterlaufen und nicht offensiv verbreitet. So
konnte sich das Narrativ, der ACSD wäre antideutsch, unter vielen Leuten, die wir gerne im Boot
haben wollten, durchsetzen. Obwohl unser Kritikpapier von allen in der Gruppe und nach zähen
Diskussionen verabschiedet wurde, wurde es von einigen nicht getragen. Dadurch wurde der
Versuch eine anarchistische Position zum Konflikt Palästina – Israel nach außen zu tragen und fest
im ACSD zu verankern unterlaufen. Das macht uns bis heute wütend.
Einige von uns fühlten sich verarscht und hintergangen von diesen Deutschen und ihrem linken
Opportunismus antideutschen Positionen gegenüber, weil sie sich in der Frage immer intransparent
verhielten und trotzdem gleichzeitig gegen unsere Positionen arbeiteten. Der politische Charakter
des ACSD wurde von diesen Leuten vor die Wand gefahren.
Antideutsche sind die Pest! Und ein Teil der Linken hat antideutsche Positionen diskursiv
verinnerlicht und identitär verfestigt – mit politischer Infragestellungen kommt man da nicht weiter,
weil sich politischer Diskussion meist entzogen wird. Ein positiver Antisemitismus innerhalb der
deutschen Linken bedarf einer dringenden Aufarbeitung der aus einem ungeklärten Verhältnis zur
Großelterngeneration und deren Mitwirkung am Faschismus herrührt.
Es gab auch elitäre Positionen, die sich (auch) aus akademischen Diskursen ableiteten und diese
akademische Herangehensweise zum Massstab der Gruppe machen wollten. Daraus resultierte eine
Bevormundung. Andere belehren und politisch dominieren, bzw. Initiativen abzuwürgen, waren das
Ergebnis. Dieser Paternalismus kommt aber auch aus einem Gefühl der Überlegenheit, die sich
deutsche Linke einbilden. „Dies kann man als Deutscher/in Deutschland so nicht sagen/machen“.
Anarchismus ist aber international und auf Deutschland sei geschissen. Für Nichtdeutsche und
proletarische Anarchist*innen war so eine Bevormundung nicht akzeptabel.
Und es gab die Position, den politischen Anspruch an einen anarchistischen CSD als Vehikel zu
benutzen, um daraus einmal mehr einen Event zu zelebrieren. Das Politische wird sich schon seit
Jahren in der queeren Szene oft nur als Kleid übergestreift, um eine Party abzufeiern. Der Versuch
von uns, den CSD zu politisieren und proletarischen Positionen mehr Raum zu verschaffen und den
CSD in seiner Historie als Riot gegen Staat und Bullengewalt zu radikalisieren und aus der
langjährigen Reduzierung auf eine Party herauszuholen, wurde von den Menschen konterkariert,
deren Agieren wir schon als Deutsch und Antideutsch, als akademisch und paternalistisch
beschrieben haben. Hedonismus ohne Inhalt. Ohne Praxis.
Einige Beteiligte an der ACDS-Orga haben einfach keinen Zugang zu anarchistischen Ideen und
Ansätzen gehabt und nur eine undefinierte politische Position mitgebracht und waren an Punkten,
die wir als Anarchist*innen nicht in Frage stellten, indifferent. Manche schmücken sich damit
„Anarchist*in“ zu sein, weil es in der Szene gerade angesagt ist und weil sich „autonom“ verstaubt
anhört. Wenn wir sagen: gegen jede Herrschaft, dann stimmen alle ein, weil es sich cool anhört.
Wenn wir das aber zum Beispiel auf Konfliktfelder praktisch übertragen – wie der aggressiven
israelischen Miltär- & Siedlungspolitik, dem Landraub und Vertreibung von Palästinenser*innen,
dann kommt die Identitätspolitik plötzlich durch und zermatscht den deutschen Linken das Hirn.
Plötzlich ist die Dominanz zum Beispiel israelischen Militärs gegenüber der arabischen
Bevölkerung ein Tabu, darüber redet der*die Deutsche nicht, will sie nicht in den Stallgeruch des
Antisemitismus geraten will. Dass es diesen gibt ist unbenommen – die AfD ist völkisch und die
religiösen Fundamentalisten im arabischen Raum sind patriarchale Dreckschweine. Wenn wir aber
in Israel auch Züge eines Apartheidsstaates gegenüber Araber*innen erkennen, reden wir nicht den
Fundamentalisten, Antisemiten, Queerhassern und Despoten auf der arabischen Seite das Wort.
Das macht uns wütend bis heute.
Und so ist auch der ACSD vor die Wand gefahren.
Ein weit verbreitetes Problem der deutschen Linken ist allgemein eher in einer Identitätspolitik
angekommen zu sein und die Simulation von Widerstand zu betreiben, um sich noch okay zu
fühlen, anstatt eine grundsätzlich gegen jede Herrschaft ausgerichtete Politik des Widerstandes, die
sich politisch reibt an dem Kommunist*innen und ihren autoritären Modellen, an den Fundamentalisten auf allen Seiten und gegen die Reichen, die wir sowas von satt haben.
Wer aber ein Krümel vom Kuchen will, verhält sich auch so und geht nicht in die Konfrontationen. Zu viele
Karrierist*innen und Lügner*innen in der Szene, die uns sagen wollen, wo es lang geht.
Für uns ist nicht der ACSD als Idee politisch tot, sondern nur eine Gruppe, die dieser politischen
Idee nicht gewachsen war. Und Kritik gebührt auch einer Szene, die zu wenig dafür tat, dass diese
Idee wachsen kann, die wir mit dem ACSD verbanden. So überließen wir den CSD wieder dem
Mainstream einerseits und kommunistischen Strömungen andererseits, die sich an Herrschaftskonzepten – ob kapitalistisch, neoliberal oder orthodox-leninistisch orientieren.
Befreiung wird aus dieser Richtung nicht kommen.
Nach wie vor braucht es eine radikale queere anarchistische Organisierung gegen jede Herrschaft,
gegen jeden Krieg in der Klassenfragen, Antisexismus und anti-koloniale Positionen
selbstverständlich sind und nicht jedes Mal mühsam zusammen gesucht werden müssen. Es geht um
einen kulturellen Aufbruch anarchistischer Queers, sozial, radikal, politisch, der sich diesen
Scheißzeiten stellt und angreift. Wen? Nazis, Vergewaltiger, Bullen und Staatsorgane, Reiche,
Macker, Militarist*innen, trans-& homofeindliche Männern wie Frauen! Und in der nicht einige
prekär arbeiten und andere an ihrer Karriere basteln. Das Problem ist nicht der deutsche Pass,
sondern deutsche Interessen zu vertreten. Wir haben keine Lust mehr auf die Lügen und das
Taktieren in unseren Reihen. In der stattdessen das Private auch politisch ist, in der die
Alltagskämpfe Thema sind, an denen wir uns organisieren wollen. Eine bunte, glitzerfassadene
neoliberaler Queerpolitik, die sich unheimlich radikal fühlt wenn sie durch Kreuzberg läuft, aber
nicht zuschlägt, wenn wir angegriffen werden, braucht kein Mensch.
Viva la Revolution – es lebe die Anarchie
amor y rabia
Kontakt: amor.y.rabia_36@protonmail.com
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Link zum Text (auch in Englisch) der Kritik an Übergriffe auf den ACSD 2020:
https://acsd.noblogs.org/post/2020/07/08/anarchistischer-christpher-street-day-2020-berlin-
anarchist-queer-pride-2020-berlin/