Wie die „Reichsbürger“ um Prinz Reuß in Niedersachsen den Umsturz planten (Putsch-Polizist wohl in Erschießung von Halim Dener verwickelt)
Rekrutierungstreffen in Sehnde, im Harz und im Wendland: Wie Michael Fritsch und der militärische Arm der Gruppe Reuß bei Bier und Bregenwurst Komplizen für ihren mutmaßlichen „Reichsbürger“-Putsch gewinnen wollten. Die Aktivitäten waren weit umfangreicher als bislang bekannt.
Karl Doeleke und Katharina Kutsche
06.02.2024, 04:00 Uhr
Hannover. Für die mutmaßlichen Putschisten in spe hat Michael Fritsch Grünkohl bestellt. Die Männer und Frauen sitzen im November 2022 im Nebenraum einer Dorfkneipe in der Nähe von Hannover und bekommen zu Kohl und Bier eine Power-Point-Präsentation serviert. Der suspendierte hannoversche Kriminalhauptkommissar Fritsch, davon ist Generalbundesanwalt Peter Frank überzeugt, hat in das Gasthaus in einem Sehnder Ortsteil eingeladen, um Personal für eine neue Polizei nach einem geplanten Umsturz zu gewinnen. Frank lässt das Treffen observieren.
Es ist ein kühler und regnerischer Abend. Die Ermittler beobachten genau, wer die Kneipe an einem kleinen Platz mit großem Baum in der Mitte betritt. Außer dem Polizisten Fritsch sind das zwei Ex-Militärs: Rüdiger von Pescatore, früher Elitesoldat der Bundeswehr, sowie Marco van H., Hochstapler und ehemaliger Zeitsoldat beim Kommando Spezialkräfte (KSK). 20 Interessenten kommen, die Organisatoren sind zufrieden und treiben ihren Plan voran, das Land in eine neue Zukunft zu führen.
Umsturzpläne der Gruppe Reuß
Der Polizist und die beiden Soldaten sind nach den Ermittlungen des Generalbundesanwalts Teil des militärischen Arms der Gruppe Reuß. Deren Mitglieder sollen einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben, weshalb der Generalbundesanwalt sie an drei Oberlandesgerichten wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie wegen der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens angeklagt hat. Unter den 27 Angeschuldigten ist auch der Namensgeber der Gruppe und mutmaßliche Rädelsführer, Heinrich XIII. Prinz Reuß.
Drei Wochen und sechs Tage nach dem Treffen in Sehnde kommt es am 7. Dezember 2022 zum größten Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik. Bei bundesweiten Razzien finden die Ermittler im Wohnmobil von Fritsch eine Liste mit 23 Namen. Etwas umständlich hat Fritsch in einer Tabelle die Zusagen für das Treffen bei Hannover vermerkt. Und wer Grünkohl essen wollte und wer nicht.
20 Portionen Grünkohl für die mutmaßlichen Mitverschwörer: Michael Fritsch, früher Kriminalhauptkommissar bei der Polizeidirektion Hannover.
Über das Treffen in Sehnde wissen die Ermittler gut Bescheid. Sie hören im Vorfeld zu, wie Fritsch am Telefon die Bestellung von 20 Portionen Grünkohl an den Wirt weitergibt. Und als es so weit ist, beobachten sie, wie Fritsch und von Pescatore in einem Nebenraum der Kneipe einen Vortrag halten. Den Beamer bedient Andreas M., KSK-Unteroffizier, „Reichsbürger“ und ebenfalls angeklagt. Der Abend in Sehnde ist Ausgangspunkt für Planungen einer Reihe weiterer Treffen gleicher Art. Manche finden nur deswegen nicht mehr statt, weil der 7. Dezember dazwischenkommt. Der Wirt sagt, er kenne Fritsch. An den Grünkohlabend kann er sich aber angeblich nicht erinnern.
Am Tag danach macht Fritsch den Telegram-Kanal „HeimatSchutz“ auf, in dem fortan über die Errichtung sogenannter Heimatschutzkompanien in Niedersachsen diskutiert wird. Laut Anklage sollen die Verbände aus Polizei, THW und Feuerwehr helfen, die neue Ordnung nach dem Umsturz zu sichern. Die Planungen für ihren Aufbau waren in Niedersachsen weiter fortgeschritten als bisher bekannt.
Neun Heimatschutzkompanien um Hannover
Es gibt Erkenntnisse über neun Heimatschutzkompanien im weiteren Umkreis um die Landeshauptstadt, so viele wie in keinem anderen Bundesland. Die Ermittler finden eine Karte, nach der es allein in der Region Hannover insgesamt vier diese Verbände geben sollte. Konkreter sind die Planungen bereits für Gifhorn und Wolfsburg, den Heidekreis und Celle, Lüneburg und das Wendland, dazu Nienburg und Verden sowie Minden-Lübbecke in Nordrhein-Westfalen. Für die Kompanie 366 „Region Hannover, Barsinghausen, Gehrden“ hatten die Putschisten Frank H. aus Springe als Kompaniechef vorgesehen.
Gegen den pensionierten Beamten H. ermittelt neuerdings die Generalstaatsanwaltschaft in Celle. Die Zentralstelle für Terrorismusbekämpfung beschuldigt noch zwei weitere Polizisten: Der eine ist Torsten B. aus dem Kreis Celle, langjähriges Mitglied eines Mobilen Einsatzkommandos der niedersächsischen Polizei und zuletzt Staatsschützer beim Landeskriminalamt (LKA). Staatsschützer verfolgen politisch motivierte Kriminalität. Die zweite Beschuldigte ist die Kriminalbeamtin Yvonne G. aus dem Kreis Minden-Lübbecke. Ihre Wohnung liegt keine drei Kilometer von der niedersächsischen Landesgrenze entfernt.
Die Celler Staatsanwälte haben das Verfahren vom Generalbundesanwalt in Karlsruhe übernommen. Unbekannt ist die oder der vierte Beschuldigte. Bekannt ist nur, dass es niemand von der Polizei ist. Es liegt nahe, dass auch diese Person in die Treffen zur Errichtung der Heimatschutzkompanien verwickelt war. So wie Torsten B., Yvonne G. und Frank H.
Der Pensionär H. war früher beim Spezialeinsatzkommando der niedersächsischen Polizei. Er war Zeuge, als sein Streifenpartner 1994 am Steintor in Hannover den 16-jährigen Kurden Halim Dener erschoss. Heute wohnt H. in einem Ortsteil von Springe. Das weiß getünchte Fachwerkhaus gehört zu einem Resthof mit Garten und Scheune, die Kirche und der Dorfladen an der Ecke sind nur wenige Schritte entfernt. In die Idylle platzt am 22. März 2023 morgens um 6 Uhr die Polizei und durchsucht H.s Haus. Es ist die zweite bundesweite Razzia im Umfeld der Gruppe Reuß.
„Ist doch Quatsch mit dem Umsturz“
Mit den Reportern dieser Redaktion möchte H. eigentlich nicht sprechen, als sie im Dezember 2023 in Springe bei ihm klingeln. Der Ruheständler, Karohemd, silberfarbene Gürtelschnalle in Schlangenform, Schlangentattoo auf dem Arm, erzählt dann aber doch ein wenig. Dass bei der Durchsuchung zwei Luftgewehre in seinem Haus beschlagnahmt worden seien. Dass er Fritsch drei- oder viermal getroffen habe und von ihm nach Sehnde eingeladen worden sei. Dass er selbst kein sogenannter „Reichsbürger“ sei. „Ist doch Quatsch mit dem Umsturz.“ Trotzdem habe man ihm die Pension gekürzt, obwohl er nicht verurteilt, noch nicht mal angeklagt sei.
Letzteres stimmt. Wiegen die Vorwürfe so schwer, dass die Aberkennung des Ruhegehalts droht, ermöglicht es das Disziplinargesetz, die Pension schon vorab zu kürzen. H. war vor seiner Pensionierung zuletzt Ermittler für Organisierte Kriminalität in der Polizeidirektion Göttingen. Vom Ruhegehalt würden derzeit „verfahrensbegleitend“ 30 Prozent einbehalten, teilt eine Sprecherin in Göttingen mit. Grundlage sei ein laufendes Disziplinarverfahren.
H. sollte die Heimatschutzkompanie 366 übernehmen
Laut Anklage geht der Beitrag des früheren SEK-Beamten zu den Umsturzplänen über das hinaus, was er auf seiner Türschwelle erzählt. So war er nicht nur beim Grünkohltreffen in Sehnde dabei, sondern auch bei einer weiteren Zusammenkunft im Harz am 18. November 2022. Die Gliederung der Region Hannover in mehrere Heimatschutzkompanien geht laut Anklage ebenfalls auf ihn zurück: vier Gebiete mit den laufenden Nummern 366 bis 369. H. soll auch damit begonnen haben, selbst Interessenten zu rekrutieren. Sein Anwalt will sich nicht äußern.
Das Treffen in Sehnde bringt jedenfalls für eine Weile Schwung in die Planungen. Einer der Teilnehme, Daniel M., regt am Abend ein weiteres Treffen in Lautenthal an und lädt Fritsch und seine Gefährten spontan in den Harz ein. M. gehört in der Nähe von Langelsheim ein ehemaliges Sägewerk, auf dem er eine Husky-Ranch betreibt. Fritsch, die beiden KSK-Soldaten Andreas M. und van H. sowie Ex-Fallschirmjägerkommandeur von Pescatore fahren eine Woche später, am 18. November 2022, in den Landkreis Goslar.
Manche sind enttäuscht
Die Nacht nach dem Treffen verbringen sie in einem Hotel am Hahnenkleer Kranichsee – bezahlt wird das aus einer sogenannten Patriotenkasse. Auch diese Aktivitäten wurden von den Ermittlern observiert und dokumentiert. Die Kasse der „Patrioten“ hat zu einem beträchtlichen Teil ein weiterer Niedersachse gefüllt: Hans-Joachim H. aus dem Kreis Harburg. Den Ermittlungen zufolge hat der Steuerberater der Unternehmung um Reuß eine sechsstellige Summe aus seinem Privatvermögen übertragen. Er ist mit Reuß und Fritsch in Frankfurt angeklagt.
Ein Zeuge sagt der Bundesanwaltschaft später, Fritsch sei auf der Suche nach ungeimpften Schutzleuten gewesen und habe ihn auf der Husky-Ranch anwerben wollen. Der Zeuge, ein Wachpolizist, klingt nach dem Treffen im Harz eher enttäuscht: Es seien nur wenige Kollegen, stattdessen zahlreiche im Kampf nicht geschulte Zivilisten dort gewesen.
Bei anderen verfängt dagegen offenbar, was sie in Sehnde und in Lautenthal hören. Die Kriminalbeamtin Yvonne G. erklärt sich im Anschluss bereit, die Leitung der Heimatschutzkompanie 378 Minden-Lübbecke zu übernehmen. G. gilt als „aufgeklärte Kriminalbeamtin“. Sie organisiert Ende November ein eigenes Rekrutierungstreffen und trifft sich am 1. Dezember mit dem militärischen Arm um von Pescatore und Fritsch bei Fritsch zu Hause in Alfeld. Ihr wird die Aufnahme in den militärischen Stab in Aussicht gestellt, was ihr eine Abholung per Hubschrauber am Tag X garantieren soll. So finden sich die Koordinaten ihrer Wohnung auf der sichergestellten „Abholliste Nord“.
Auf dieser „Abholliste Nord“ steht auch der LKA-Beamte Torsten B., Spitzname Buddy. Er nimmt sowohl am Treffen in Sehnde als auch an dem im Harz teil und ist von Frank H. als Anführer der hannoverschen Heimatschutzkompanie 367 vorgesehen. Er kündigt an, in Hannover „aufräumen und aussortieren“ zu können. Später entscheidet er sich um und will lieber die Kompanie 373 „Heidekreis/Celle“ übernehmen: seiner Einschätzung nach ein großes, aber machbares Gebiet. B. macht sich auch darüber hinaus nützlich. Er empfiehlt einen Verwandten, der als IT-Experte für die Putschisten tätig werden könnte. Jener Verwandte wird als Zeuge beim Generalbundesanwalt geführt.
Vernehmung durch den Militärischen Abschirmdienst
Der Versuch dieser Redaktion, einen Verteidiger von G. zu kontaktieren, scheitert. Der Verteidiger von B. äußert sich auf schriftliche Anfrage nicht.
Gut eine Woche vor der großen bundesweiten Razzia findet das letzte dokumentierte Rekrutierungstreffen in Niedersachsen statt. Die Ärztin Ellen K., die im Wendland eine „ganzheitliche Privatpraxis für integrative Medizin“ betreibt, lädt am 30. November 2022 in ihr Haus in Dannenberg ein. Fritsch und von Pescatore kommen, unter anderen auch der Marinesoldat Björn R. Dem Militärischen Abschirmdienst sagt R. in einer späteren Vernehmung, von Pescatore habe in Dannenberg über den Umsturz, die Ausrufung des Kriegsrechts und die Heimatschutzkompanien referiert. Konkret ging es um die 372 „Wolfsburg/Gifhorn“ und die 374 „Lüneburg, Uelzen, Lüchow-Dannenberg“. Letztere wollte K. übernehmen. Sie wird als Zeugin geführt. Auf Fragen der Redaktion reagiert sie nicht.
Kriegsrecht oder Arche Noah?
Umsturz, Kriegsrecht – was R. sagt, klingt drastisch. Fritschs Anwalt Martin Heynert widerspricht: Zeugen könnten bestätigen, dass auf keiner der Veranstaltungen für einen Umsturz geworben worden sei. „Es ging darum, wie man nach einem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung das Leben wieder aufbauen könne“, sagt Heynert. Der Verteidiger vergleicht die Heimatschutzkompanien mit der Arche Noah im Alten Testament der Bibel.
Dafür, dass Michael Fritsch nichts Nennenswertes im Schilde geführt haben will, verhält er sich in den Wochen vor der Razzia allerdings reichlich konspirativ. Nicht einmal seine Lebensgefährtin darf Details erfahren. In einem abgehörten Telefonat will sie wissen, ob sie nicht einmal die Teilnehmerzahl beim Grünkohlessen in Sehnde erfahren dürfe. Fritschs Antwort: ein vielfaches Nein.
HAZ
passiert am 06.02.2024