Interview: „“Arbeitskreis Untergrund”: “Solidarität ist für die Betroffenen und alle Beteiligten spürbar”“
In den letzten Jahren sind mehrere Personen aus der antifaschistischen Bewegung untergetaucht. Bei vielen geht es um direkte Konfrontation mit rechten Kräften. Damit einher gehen Öffentlichkeitsfahndungen und Diskussionen über die Solidarität innerhalb der Linken. Der “AK Untergrund” will eine Debatte über den Umgang anstoßen. Gegenüber Perspektive Online haben sie sich vergangene Woche in einem schriftlichen Interview geäußert.
“AK Untergrund” – das hört sich nach Verbotenem an. Seid ihr Kriminelle?
Ja, nach dem Maßstab von Gesetzen sind wir vermutlich kriminell oder haben mit Kriminellen zu tun. Die Frage der Kriminalität ist aber eine Frage des Blickwinkels. Wer herrscht aktuell über wen, welche Klasse übt aktuell die Macht aus und welche Interessen werden verfolgt.
So ist es aktuell kriminell zu klauen, wenn das Einkommen zum Leben nicht reicht. Währenddessen sitzen die Mehrheit der Gefangenen in der BRD im Gefängnis, weil sie zu arm sind, Geldstrafen zu bezahlen. Anderes Beispiel: Bis letztes Jahr war es noch verboten, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, und spezialisierte Ärzte mussten mit Strafen rechnen, wenn sie überhaupt nur öffentlich Abbrüche anboten.
Und was ist nicht kriminell: Waffen zu exportieren, Kriege zu führen und dabei Milliarden zu verdienen. Im Cum-Ex-Skandal wurden Milliarden hinterzogen, während der jetzige Bundeskanzler Scholz dieses Vorgehen nach wie vor deckt und eine Aufklärung behindert.
Nicht unerwähnt lassen wollen wir auch eine Tradition der Kriminalisierung gegenüber Linken. Das zieht sich durch, vom Verbot der KPD im Jahr 1956, dem Verbot des Portals linksunten.indymedia bis heute zu den aktuellen 129b-Verfahren gegen türkische Kommunist:innen und die kurdische Bewegung. Aktuell werden auch antifaschistische Zusammenhänge, die nicht im bürgerlichen Gesetzesrahmen handeln, staatlich verfolgt. Wasen–, Antifa Ost– oder Budapest-Verfahren sind hier nur die prominentesten.
Was genau ist das Ziel eurer Struktur?
Wir sind ein Personenkreis, der sich mit dem Thema “Untergrund” beschäftigt. Unser Ziel ist es, in der radikalen Linken einen Fokus auf das Thema zu setzen. Wir denken, dass sich die Repression gegen die radikale Linke – insbesondere deren militanten Teile – aufgrund der gesellschaftlichen Zuspitzungen in den nächsten Jahren weiter verschärfen wird.
Aktuell sehen wir, wie die Repression auf die linken Bewegungen schon wirkt. Einzelpersonen und Zusammenhänge werden dadurch in ihrer politischen Handlungsfähigkeit gelähmt, und es gibt eine Tendenz zu Rückzug und Vereinzelung. Daher möchten wir eine inner-linke Debatte über Umgangsweisen mit Repression führen und dabei auch ein Bewusstsein über Illegalität als mögliche Perspektive weiterer Handlungsfähigkeit schaffen.
Ihr ruft zur Solidarisierung mit Menschen im Untergrund auf. Warum eigentlich? Und wie soll das aussehen?
Die Frage der Solidarität ist unserer Meinung nach nicht abhängig davon, ob die Leute in legalen Strukturen organisiert sind, ob sie im Knast sitzen oder sich in der Illegalität befinden. Nur weil diese Menschen untergetaucht sind, heißt das nicht, dass sie nicht weiterhin Teil einer Bewegung und politischer Auseinandersetzungen sind.
Die Notwendigkeit einer schlagkräftigen antifaschistischen Bewegung steht für uns nicht in Frage. Die Konsequenz ist dann, eine militante Praxis, für die einzelne Personen verfolgt werden, politisch zu verteidigen und solidarisch auch mit denjenigen zu sein, denen eine solche militanten Praxis vorgeworfen wird.
Unser Text ist auch aus der Erkenntnis entstanden, dass die aktuelle Repression gegen Linke und der Entschluss einiger Personen, unterzutauchen, zum Teil für Überforderung und Unsicherheit in weiten Teilen der Linken gesorgt hat.
Möglicherweise entsteht diese Unsicherheit auch dadurch, dass in den letzten Jahrzehnten das Thema „Untergrund” in der linken Bewegung in Deutschland fast keine Rolle mehr gespielt hat. Wir hoffen jedoch die Dinge greifbarer zu machen, indem wir dazu anstoßen, sich praktisch mit Illegalität und wie man sie möglich macht, auseinanderzusetzen. Dazu sollte unser Text anregen.
Ausgangspunkt der Solidarisierung mit Menschen im Untergrund ist erst einmal der Standpunkt der unterschiedlichen Zusammenhänge oder Strukturen und ihre Bereitschaft, sich in ein Verhältnis zu den Menschen zu setzen, die aktuell untergetaucht sind, und solidarisch zu sein. Entsprechend vielfältig kann auch die Unterstützung aussehen.
Beispielsweise führen wir dieses Interview. Gelder sammeln oder eine theoretische Auseinandersetzung mit der Thematik können einen Anfang darstellen, an den angeknüpft werden sollte, und wir würden behaupten, dass auch immer Wege gefunden werden können, noch weiter zu unterstützen.
Diese Solidarität ist für die Betroffenen und alle Beteiligten spürbar und kann einen Eindruck davon vermitteln, wie stark Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung sein können – auch und gerade – wenn man mit großem staatlichen Druck konfrontiert ist.
Wie legitimiert ihr eure Arbeit vor jemandem, der vielleicht auch kapitalismuskritisch ist, dem aber “Gewalttaten” zu weit gehen?
Vorneweg: „unsere“ Arbeit könnte falsch verstanden werden, als Arbeitskreis Untergrund haben wir bislang einen ersten Text zur Einordnung aktueller Entwicklungen geschrieben.
Ausbeutung und Unterdrückung im Kapitalismus funktionieren nicht ohne Gewalt und den Faschismus charakterisiert sie geradezu. Gewaltfreiheit ist damit ein Luxus, den sich viele nicht leisten können, die unter dem kapitalistischen System leiden.
Oftmals scheint die kapitalistische Herrschaft und die Macht des Sicherheitsapparats für uns als Linke undurchdringbar. Falls wir diese Gesellschaft jedoch ernsthaft überwinden möchten, gilt es auf dem Weg dorthin, immer wieder Momente der Gegenmacht aufzuzeigen, im Kleinen diese Herrschaft zu durchbrechen und zu zeigen, dass gesellschaftliche Veränderung möglich ist.
Auch antifaschistische Interventionen sind hierbei von konkreter Notwendigkeit.
Gewalt kategorisch abzulehnen würde bedeuten zuzuschauen, wenn Nazis – wie 2018 in Chemnitz – Jagd auf Menschen machen oder ganze Stadtviertel zum “Nazi-Kiez” machen wollen.
Oft wird dann versucht, zu unterscheiden zwischen Selbstverteidigung und vermeintlich offensiven Aktionen. Diese Unterscheidung ist nur theoretisch. Es ist genauso legitim, Faschisten entgegenzutreten und sie in ihren Handlungsspielräumen einzuschränken, bevor sie bereits Schaden angerichtet haben. Auch in anderen Kämpfen kann Gewalt ein notwendiges Mittel sein, bspw. im Rahmen von Demonstrationen, wenn sie gegen Knüppel und Pfefferspray angewendet wird.
Damit Gewalt jedoch nicht zum Selbstzweck wird, sollte sie nicht beliebig ausgeübt werden und sollte keine Unbeteiligten treffen. Gewalt ist kein Allheilmittel und ihre Ausübung muss reflektiert werden, sowie der politischen Analyse und der Notwendigkeit angepasst sein.
Warum entscheiden sich Menschen, in den Untergrund zu gehen?
Wir sehen aktuell, wie immer häufiger Personen aus linken Zusammenhängen mit Haftstrafen konfrontiert sind. Wie schon gesagt, denken wir, dass es angesichts dessen notwendig ist, sich auch mit Alternativen zu Haft auseinanderzusetzen. Warum sich Personen dazu entscheiden, in den Untergrund zu gehen, kann verschiedene Motivationen haben. Es kann zum Beispiel sein, dass sich Personen einfach einer drohenden Haftstrafe entziehen wollen. Es kann aber auch sein, dass es darum geht, weiterhin politisch handlungsfähig zu sein und eine Perspektive aus dieser Position heraus zu entwickeln.
Wir möchten betonen, dass die unterschiedlichen Motivationen alle ihre Berechtigung haben und die Personen, die sich für die Illegalität entscheiden, genauso unterstützt werden müssen wie jene, die in Haft sitzen.
Wie ist das Leben im Untergrund?
Es stellen sich dieselben Probleme wie allen Strand-Urlaubern: Man muss aufpassen, dass man keinen Sonnenbrand bekommt, ständig schmilzt einem das Eis in der Hand, es muss stets für gekühlte Getränke gesorgt sein und gelegentlich streitet man sich mit anderen Urlaubern um die reservierten Liegeplätze. Sommer, Sonne, Antifa.
Aktuell werden fast 600 “Rechtsextreme” per Haftbefehl gesucht. Wie schätzt ihr aktuell das Vorgehen der staatlichen Behörden gegen Linke und antifaschistische Strukturen ein?
Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Haftbefehle bedeuten nicht direkt, dass es eine Fahndung gibt, und auch hier kann der Umfang sehr unterschiedlich sein. Nach untergetauchten Linken wird aktuell mit viel Druck, teilweise öffentlich gefahndet. Es kommt zu Hausdurchsuchungen, Familien werden vom Geheimdienst “Verfassungsschutz” belästigt und diverse technische Überwachungsmittel werden eingesetzt. Offensichtlich ist das bei den allermeisten der Nazis nicht der Fall, anders können wir uns diese Zahl nicht erklären.
Dieser Fakt zeigt eher, dass es in der Verfolgung von Nazis und Linken unterschiedliche Interessen gibt. Von staatlicher Seite wurde zwar in den letzten Jahren punktuell auch gegen rechte Gruppen vorgegangen. Das zeigt, dass relevante Teile der herrschenden Klasse in Deutschland momentan noch kein Interesse an einer faschistischen Machtergreifung haben.
Seit den Correctiv-Veröffentlichungen wird das auch nochmal sichtbar: unterschiedliche große Kapitalverbände positionierten sich gegen die in den Correctiv-Recherchen veröffentlichten Vertreibungspläne der extremen Rechten, sowie einiger Politiker:innen. Es liegt nahe, dass der Grund für diese Positionierung das Angewiesen-Sein auf Arbeitskräfte aus dem Ausland sein dürfte. Rechte und reaktionäre Antworten auf Krisen stellen den Kapitalismus zwar teilweise oberflächlich in Frage, praktisch verschärfen sie ihn jedoch.
Anders ist es bei militanten linken Zusammenhängen. Diese stellen aktuell keine reale Gefahr für die kapitalistische Herrschaft dar. Der Anspruch ist allerdings vorhanden und wird durch militante Aktionen, wenn auch im Kleinen, bereits greifbar. Auch antifaschistische Aktionen durchbrechen das staatliche Gewaltmonopol. Und durch sie werden sich Erfahrungen angeeignet, die in den zukünftigen sozialen Widersprüchen und Kämpfen potentiell staatsgefährdend werden könnten. Das ist den Repressionsbehörden durchaus bewusst.
Welche Zusammenhänge seht ihr zu den aktuellen gesellschaftlichen Konflikten?
Es ist eine generelle Zuspitzung kapitalistischer Verhältnisse zu beobachten. Die Kapitalakkumulation stößt an ihre Grenzen. Bisher konnten die ökonomischen Bedürfnisse in den imperialistischen Metropolen durch einen relativen Wohlstand befriedet werden. Das wird zunehmend schwieriger sein. Die Widersprüche zwischen den unterschiedlichen globalen Machtblöcken spitzen sich weiter zu, und es gibt Bestrebungen vieler sich in Abhängigkeit befindender Länder, sich aus dieser zu lösen.
Auch nach Innen wird dies in der BRD deutlicher: Streiks werden wieder häufiger und Arbeitskämpfe von Seiten der Arbeitgeber kompromissloser geführt, während gleichzeitig die Reallöhne weiter sinken. Rassistische Hetze ist wieder salonfähig, die Außengrenzen werden weiter hochgerüstet, Abschiebeabkommen geschlossen, und die Verschärfungen des Asylrechts durch die bürgerlichen Parteien entsprechen der Politik der AfD. Das Wechselverhältnis von Sozialabbau, gesellschaftlichem Rechtsruck und autoritären Tendenzen sowie die Vernachlässigung einer zukunftsfähigen Klimapolitik ergänzen sich in diesem kapitalistischen Stadium und zeichnen eine unsichere Zukunft.
Aus den Konsequenzen der vergangenen und kommenden Krisen muss eine klassenbewusste Linke ihre Schlüsse ziehen, Analyse und Perspektive bieten und diese in den Widersprüchen und Kämpfen sicht- und greifbar machen.
Zur Krisenpolitik der Herrschenden gehört auch eine verschärfte Repression und Form der präventiven Aufstandsbekämpfung, um überhaupt zu verhindern, dass wir als antikapitalistische Linke an einen solchen Punkt des Aufstands kommen können. Verschiedene §129er-Verfahren in den letzten Jahren, Polizei- und Versammlungsgesetzesverschärfungen, generell höhere Strafen bis hin zu vermehrten Haftstrafen, Überwachungsmaßnahmen, öffentlich in Szene gesetzte Hausdurchsuchungen oder faktische Demoverbote wie der „TagX” in Leipzig sprechen hier eine deutliche Sprache.
Denkt ihr, das Thema “Untergrund” wird in Zukunft politisch in der Linken und gesellschaftlich eine größere Rolle spielen?
Im Prinzip ist es eine logische Entwicklung. Während der Zuspitzung ökonomischer Widersprüche wird ein destabilisierter bürgerlicher Staat jede nötige Härte zeigen. Eine weitere Zuspitzung ist in der Entwicklung faschistischer Strukturen und Gewalt zu sehen, deren steigende Einflussnahme und Stabilisierung vor allem in Ostdeutschland eine ernsthafte Gefahr darstellen. Das bedeutet für Linke eine Situation der Konfrontation, die vermutlich weitere Repression nach sich ziehen wird.
Schon jetzt gibt es mehr Haftstrafen, für uns ist spürbar, dass Handlungsräume auf der Straße immer weiter eingeengt werden. Und wenn sich soziale Proteste nicht staatlich integrieren lassen, wird ihnen mit Repression begegnet. Wir sind also mit der Frage konfrontiert, wie wir trotzdem weiter handlungsfähig sein können und wie ein Umgang und eine Antwort darauf aussehen können. Unsere Anpassungsfähigkeit an staatliche Maßnahmen ist überlebensnotwendig. Immer weitere Verschärfungen fordern auch einen neuen Umgang. Hier kann das Leben in der Illegalität eine Perspektive sein, mit Blick auf Haftstrafen und auch auf die immer weiteren Verschärfungen im Allgemeinen.
Aber dieser Weg muss erst einmal gegangen werden und dann wird sich zeigen, welche Rolle die Illegalität tatsächlich spielen wird. Das wollen wir herausfinden und zwar nicht alleine, sondern mit allen, die ebenso für eine Zukunft ohne Ausbeutung und Unterdrückung kämpfen.