Im Fadenkreuz der Ökoextremisten
Die Polizei hat Sicherheitsgespräche mit knapp 50 Unternehmen geführt, die ins Visier von radikalisierten Umweltbewegungen geraten sein sollen. Im Detail gibt es Unterschiede zwischen den Gruppen, die sich aus den Bekennerschreiben herauslesen lassen.
Kurz vor Weihnachten, Berlin-Kreuzberg: Vier Betonmischer des internationalen Konzerns Cemex stehen in Flammen, Teile der Förderbrücke werden zerstört. Schnell stellt sich heraus: Es war ein Brandanschlag. Die Täter waren offenbar gut über ihr Angriffsziel informiert. Ihre Aktion führten sie in Windeseile durch, der Schaden war maximal.
Die Spuren führen in das ökoextremistische Lager der Hauptstadt. Die Gruppe „Switch off“ veröffentlicht ein Bekennerschreiben auf der linksextremen Internetseite „Indymedia“. Cemex sei einer der größten Betonhersteller der Welt und Beton ein „Klimakiller schlechthin“, schreiben die Täter. Allein in Berlin rechnen die Behörden „Switch off“ mindestens 13 weitere Anschläge zu. Der Staatsschutz führt die Ermittlungen.
Wie WELT AM SONNTAG nun aus Sicherheitskreisen erfuhr, ist der Betonkonzern nicht das einzige Unternehmen, das ins Fadenkreuz der radikalen Klimaextremisten geraten ist. Die Behörden in Berlin und Brandenburg registrierten etliche Ausspähversuche bei weiteren Firmen. Mit knapp 50 Unternehmen habe man Sicherheitsgespräche geführt, sagte eine Polizeisprecherin gegenüber WELT AM SONNTAG. Derzeit prüft der Generalbundesanwalt, ob er die Ermittlungen an sich zieht.
Schon länger gibt es Befürchtungen, dass sich ein Teil der Umweltbewegung radikalisieren könnte. Im Fokus der Behörden steht dabei neben „Switch off“ noch eine zweite militante Gruppe, die unter anderem für den Anschlag auf die Stromversorgung von Tesla in Grünheide im März dieses Jahres verantwortlich ist – dieser wird der „Vulkangruppe Tesla abschalten“ zugerechnet. In diesem Fall hat der Generalbundesanwalt die Untersuchungen bereits übernommen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz ordnet sogenannten „Vulkangruppen“ seit 2011 zehn Anschläge zu – darunter neben Attacken auf Tesla auch auf Bahntrassen und Funksendemasten. Der Name bezieht sich mutmaßlich auf den Ausbruch eines isländischen Vulkans im Jahr 2010, der damals den europäischen Flugverkehr lahmgelegt hatte. Bei mehreren der Attacken verfügten die Täter über bemerkenswerte Ortskenntnisse. 2018 brannte ein Kabelschacht unter der Mörschbrücke am Berliner Westhafenkanal. Dabei wurde ein 10.000-Volt-Kabel zerstört, Tausende Berliner waren danach ohne Strom. Zudem scheinen die Täter über elektrotechnische und physikalische Vorkenntnisse zu verfügen. Beim Anschlag auf die Stromversorgung nahe dem Tesla-Werk hatten sie ein Stromkabel entmantelt und mithilfe von Autoreifen ein Feuer gelegt.
Die Bekennerschreiben der „Vulkangruppen“ wirken laut Ermittlern ideologisch gefestigt – und sie führen in das anarchistische Milieu. Die Behörden gehen laut Informationen von WELT AM SONNTAG mittlerweile von mehreren Tätergruppen aus, die autonom und eigenständig agieren und kleine Teams bilden, um Anschläge zu begehen. Ermittler rechnen die Taten der „Vulkangruppen“ drei anarchistischen Zellen zu. Ihr gemeinsames Ziel liegt in der völligen Beseitigung des bestehenden Systems. Alle drei Strukturen lehnen jegliche Herrschaftsform ab – und unterscheiden sich damit auch fundamental von linksextremen Gruppen wie den Marxisten.
Eine kleine Szene gerät ins Visier der Ermittler
Im Detail gibt es jedoch Unterschiede zwischen den Gruppen, die sich aus den Bekennerschreiben herauslesen lassen. Hinter dem Anschlag auf Tesla, so heißt es in Sicherheitskreisen, stecke wahrscheinlich eine „primitivistisch-anarchistische“ Gruppe. Ihr Hauptfeind ist der technologische Fortschritt. Dieser bedeute für die Anarcho-Primitivisten Ausbeutung und Unterdrückung.
Auch den Anschlag auf die Mörschbrücke ordnen die Ermittler dieser Strömung zu. Die Bekennerschreiben haben demnach Parallelen in Rhetorik und Stilistik, sind voller Neologismen und Sprachbilder. In Sicherheitskreisen gilt die Gruppe als „Avantgarde“ unter den linksextremen Saboteuren. Neben ihr soll es noch eine „öko-anarchistische“ und eine „anarchistisch-autonome“ Vulkangruppe geben, die sich ideologisch von der „Vulkangruppe Tesla abschaffen“ unterscheiden.
Anarcho-Primitivisten bilden eine kleine Fraktion innerhalb der linksextremen Szene. Die jüngste Anschlagsserie hat die Behörden daher hellhörig werden lassen. In den Fokus geriet eine Gruppierung in Bayern. Sie gab bis 2022 ein anarchistisches Magazin namens „Zündlappen“ und den Vorgänger „Zündlumpen“ heraus. Neben politischen Pamphleten erschienen hier auch immer wieder Bekennerschreiben nach Anschlägen auf Infrastruktur.
Laut Informationen von WELT AM SONNTAG lag das Magazin auch in Bremen und in Berlin aus. Mögliche Verbindung zu Taten in der Hauptstadt werden in Ermittlerkreisen diskutiert. Bei der Generalstaatsanwaltschaft München läuft derzeit ein Verfahren gegen vier Hinterleute des Magazins wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung und dem Aufruf zu schweren Straftaten. Auch hier prüft der Generalbundesanwalt, ob er die Ermittlungen übernimmt.
Ein Exemplar des „Zündlappen“ aus dem Herbst 2021 zeigt einen ausgebrannten Tesla. Im zugehörigen Text agitieren die Autoren gegen die „Tech-Yuppies“ und „Bonzengesocks“. Einige Seiten später verkünden die Schreiber: „E-Autos gehen weiterhin munter in Flammen auf.“
passiert am 26.05.2024