Prozessbericht 2. Prozesstag „Wir haben eine Verabredung“
Nachdem am 27.05. die fehlerhafte Anklageschrift der Staatsanwaltschaft im Mittelpunkt des ersten 30-minütigen Verhandlungstages im Verfahren der „Verabredung zu einem Verbrechen“ stand, begann am 06. Juni um 9:15 Uhr die Befragung der Zeug:innen.
Ambitioniert hatte Richter Kleingünther, für den ersten richtigen Verhandlungstag am Amtsgericht, insgesamt 9 Zeug:innen im 15-Minuten Takt geladen. Ein Plan, der sich nach kurzer Zeit schon in Luft auflösen sollte.
Vor dem mit 24 Zuschauer:innen ausgefüllten Raum begann der Tag mit der Suche nach den – schon am 1. Prozesstag – fehlenden Aktenteilen in Bezug auf die DNA-Untersuchungen der Beschuldigten. So reichte die Staatsanwaltschaft nur einen Teil der fehlenden Akten nach und schien verwundert, dass sich ihr Auftrag aus der letzten Woche auf die Rohdatensätze zu beiden Angeklagten bezog. So begann auch der zweite Tag mit unvollständigen Verfahrensakten und der Aufforderung, diese unverzüglich nachzureichen.
Die Befragung der Zeug:innen
Den Auftakt machte PHMin Fröhlich, 40 Jahre (Bundespolizei Dienststelle Lichtenberg). Diese begann erst einmal damit ihren Einsatz am Adlergestell zu beschreiben. So habe sie sich am „Buschwerk“ vor dem Tunnel am Gleisbett aufgehalten, während ihre Kollegen im Tunnel die Angeklagten festgenommen hätten. Die Situation beschrieb sie mit „Adrenalin“, „Dunkel“ und „Gefahrenbereich“ und konnte keine Angabe über die Länge des Tunnels machen oder ob sie ihre Taschenlampe benutzte. Zu ihrer Ausstattung gab sie „Handschuhe, Schutz, nix Besonderes halt…“ an. Der angrenzende Straßenverkehr sei ruhig und weder Straßen- noch Hubschrauberlärm zu hören gewesen.
Ganz allgemein seien die Angeklagten durchsucht und ihre Identität festgestellt worden, bevor sie zur Gefangenensammelstelle am Tempelhofer Damm gebracht wurden. Ihre Gegenstände seien „irgendwo reingepackt“ worden. Die Belehrung der Angeklagten sei „schwammig“ geblieben, weil unklar war, was für ein Straftatbestand überhaupt vorliegen sollte.
Auf die Frage, wie sie und ihre Kollegen denn vom Hubschrauber der Bundespolizei (Pirol) zum Einsatzort geleitet wurden, wollte Frau Fröhlich mit Verweis auf eine „beschränkte Aussagegenehmigung“, die sie schriftlich nicht vorlegen konnte, nicht antworten. So wurde die Verhandlung zum ersten mal unterbrochen und sich mit Richter Kleingünther geeinigt, dass Aussagen aus ihrer zeugenschaftlichen Aussage nicht unter Geheimhaltung von Polizeitaktik falle.
Darauf hingewiesen antwortete Zeugin Fröhlich, dass es Streifenkontakt zum Hubschrauber gab, dieser auf „eine Gefahr“ hingewiesen habe und daraufhin zwei Streifen und eine – sich im Bereich befindliche – Zivilstreife zum Tunnel am Adlergestell begaben. Auf die Frage, ob sie dabei „Wegfindungsprobleme“ gehabt habe, gab sie an, schon „mal auf die Karte geguckt zu haben“, dann aber grob gleichzeitig mit den anderen Streifen vor Ort eingetroffen zu sein.
Ein „Verdacht“ über mögliche Straftatbestände wurde bis dahin nicht geäußert, sondern von Pirol nur über eine mehr oder weniger „statische“ Situation von zwei Personen am Ein/Ausgang eines Bahntunnels informiert. Die Frage, ob über das Mitführen von Gegenständen Aussagen gemacht wurde, verneinte Fröhlich.
Einen umfangreicheren Punkt stellte die Frage nach den „Zuständigkeiten“ dar. So berichtete Fröhlich, dass ihre Nacht vor allem aus Warten bestanden hätte. Nach dem Anfangsverdacht von „Graffiti“, dem dann aber folgenden Auffinden von „diversen Gegenständen“ und „brennbaren Flüssigkeiten“ sei irgendwann die Landespolizei aufgetaucht. Wann genau und wer diese auf den Plan gerufen hatte, wusste sie nicht, trotzdem gab sie an, dass die zivilen Einsatzkräfte als erste die „Graffiti“-These verworfen hätten. Der PMK-Links-Eintrag in einer Polizeidatenbank zu den Angeklagten hingegen sei kein Anlass zur Diskussion zwischen ihr und ihren Kolleg:innen gewesen, vielmehr gehe es dann los, „halt da oben, nicht auf der Straße“. Allgemein sei sie nicht an der Koordination des Einsatzes beteiligt gewesen, wusste aber auch nicht, wer zuständig war.
Dann wurde die Bildmappe in Augenschein genommen, weil Zeugin Fröhlich dort namentlich erwähnt wird. Dabei wurde sie darauf hingewiesen, dass die Beschriftungen der Bilder von angeblich „mitgeführten“ Gegenständen der Angeklagten irreführend seien, da sie ja – wie selbst geschildert – an keiner der Maßnahmen vor Ort beteiligt war und somit keine Wahrnehmungen zu den Gegenständen schildern konnte. Auch über die Reihenfolge der Bilder konnte sie keine Angaben machen und verwies auf Frau Drewitz, die Fotos gemacht habe. Zeugin Fröhlich gab an, dass ihr Name als Erstellerin des Vorgangs aufgeführt wurde, es aber möglich sei, dass auch andere an der Bildmappe gearbeitet hätten.
Abschließend gab sie an, dass es nach dem Einsatz keinen Austausch zwischen ihr und ihren Kolleg:innen mehr gegeben habe und das Thema vielleicht mal so „aufgeploppt“ sei, aber nicht mehr. Ob der Einsatz spannend war? Nach kurzer Pause und einem Grinsen, dann ein lachendes, langgezogenes „Neeee“ von Zeugin Fröhlich. Die Verteidigung kündigte eine Erklärung nach §257 (Erklärungsrecht nach einer Beweiserhebung) an, die sie beim nächsten Termin schriftlich einreichen wird.
Nach der Entlassung der Zeugin stellte Richter Kleingünther fest, dass bei ihm noch nie ein Zeugenprogramm so „zerschossen“ worden sei, und dass das von ihm geplante Programm nicht schaffbar sei. Alle Zeug:innen wurden in den Saal gerufen und bis auf Herrn POK Slaby („ANWESEND!“) und Frau Drewitz, nach Hause geschickt.
Der Zeuge POK Thomas Slaby, 52 Jahre (Bundespolizei Dienststelle Ostbahnhof), kam mit einer tarngrünen Handtasche mit dem Aufnäher „Grenzschutzpolizei“ in den Saal und schien für die Belehrung stehen bleiben zu wollen: „Soll ich direkt stehenbleiben?“ Insgesamt fiel er direkt durch sein soldatenhaftes Auftreten auf, dass sich durch die gesamte Befragung ziehen sollte.
Auch er begann die Befragung mit der Beschreibung seines Einsatzes. So sei seine Streife, mit Frau Drewitz und einer Praktikantin an deren Namen er sich nicht mehr erinnere, durch Pirol – wegen Graffiti – zum „Aufgreifen und Abarbeiten“ von zwei Personen zum Adlergestell gerufen worden. Insgesamt seien zwei Streifen und eine „zivile Komponente“ zum Ort gefahren. Der Tunnel sei Teil einer „aktiven“ Bahnanlage, ca. „50-75m lang“ und er mit seinen Kolleg:innen aus Richtung der Filmstudios kommend, ohne Sichtkontakt 200m zu Fuß bis zum „Tunnelmund“ herangeführt worden. Er ist sich ziemlich sicher, dass es im Tunnel genau ein Bahngleis gäbe, auf die Frage, ob es dort auch Kabelschächte gäbe antwortete er „ich wage es zu bezweifeln, dass da Kabel waren“.
Zeuge Slaby erinnerte sich, dass er an der Durchsuchung der männlichen Person beteiligt gewesen sei, aber nicht, was genau gefunden wurde. Zu den gefundenen Funkgeräten gab er an, dass „noch Funkkontakt bestanden“ habe, es den Versuch gab mit „Kontaktleuten“ am anderen Ende des Funks zu sprechen, dieser aber erfolglos blieb und die Geräte irgendwann ausgeschaltet worden seien. Wo die Funkgeräte gefunden wurden wusste er nicht, sagte aber, dass die zwei Frequenzen auf den Geräten darauf hindeuteten, dass diese „höherwertig“ seien.
Absurd wurde es bei der Beschreibung eines Rucksacks als „Mädchenrucksack“ und der anschließenden Abgrenzung zu einem „Jungenrucksack“. Klischeehaft beschrieb Slaby ersteren als so „Hello Kitty, rosa…“, während letzterer „blau, mit Raketen oderso“ seien müsste.
Die Identitätsfeststellung der Angeklagten erfolgte einmal über einen mitgeführten Führerschein und einmal über Fast-ID, d.h. einen Fingerabdruck-Scan und eine daran anschließende Systemabfrage.
In der Folge wurde es ein wenig kurios. So gab Slaby an, dass „jeder Motorradfahrer“ wisse wie „Benzin rieche“ und man das in Bezug zum am Einsatzort gefundenen Kanister gelöst habe indem man „den aufdreht und daran riecht“. Später sagte er, dass er sich sicher sei, dass der Kanister (5L) voll gewesen und nicht nur mit 800ml gefüllt gewesen sei, wie es in der Akte und den Untersuchungen der Ermittlungsbehörden heißt.
Nach dem Auffinden des „Brandbeschleunigers“ habe das LKA übernommen und er und seine Kolleg:innen seien nur noch „Mittel zum Zweck“ gewesen. Auch er berief sich darauf, dass sich der Einsatz ab diesem Zeitpunkt seiner Zuständigkeit entzogen habe. Angesprochen auf den Rahmen möglicher Straftaten, außerhalb von „Graffiti“ oder dem „Betreten von Bahnanlagen“, die er sich am Einsatzort vorstellen könnte, fielen ihm spontan „Kabeldiebstahl, das Durchtrennen und das In-Brand-Setzen von Signalkabeln“ ein.
Auf Vorhalt der Bildmappe gab er an, dass die beiden Angeklagten direkt vor Ort durchsucht wurden, er sich aber nicht mehr erinnere, wer die Durchsuchung gemacht habe. Auch habe er die Angeklagten angefasst, „weil man hier und dort noch was aufmacht“ und die Gegenstände seien den Personen jeweils zugeordnet worden. Wer den Rucksack der einen Angeklagten gefunden haben will, wusste er nicht. Der „Brandbeschleuniger“ sei, anders als der Rest der Gegenstände, direkt vom „Staatsschutz“ mitgenommen worden, der „direkt darauf angesprungen“ sei und auch eine Liste mit Kennzeichen von „zivilen Polizeifahrzeugen“ interessant fand. Wie lange der Kanister bereits am Fundort gelegen haben könnte wisse er nicht und auf Nachfrage gab er an, dass kein Feuerzeug bei den Angeklagten gefunden wurde, eine:r der Angeklagten aber Raucher:in sei und das Feuerzeug „bestimmt zu Hause vergessen“ habe, um sich direkt danach für die „Ironie“ zu entschuldigen.
Dass er nicht ganz bewandert im Umgang mit der Spurensicherung ist, stellte sich auch heraus, als er vom Auftreten der beiden „Damen vom Staatsschutz“ (2 Personen) berichtete. Diese seien so „CSI-mäßig mit einem ‚Zauberkoffer‘“ aufgetaucht, den er schon ziemlich beeindruckend fand und in seiner Karriere noch nicht gesehen habe, obwohl er ja nicht mehr „der jüngste Frosch“ sei. Was denn da genau in dem „Zauberkoffer“ gewesen sein sollte, wusste er erst nicht zu beantworten. Dann erinnerte er sich aber doch noch an zwei Paar Plastikhandschuhe, die den Angeklagten über die Hände gestülpt wurden, um etwaige Spuren von „Brandbeschleuniger“ oder „Rußanhaftung“ festzustellen. Auch der Spürhund, der ziemlich viel „feststellen“ könne, stellte am Einsatzort nichts fest und drehte schon nach wenigen Metern nach dem Tunnel an der Wendeschleife wieder um.
Wie es weitergeht
Der erste Tag der Befragung endete gegen 14 Uhr mit der Feststellung des Richters, dass er von nun an zwei Stunden pro Zeug:in einplanen und den Ablauf der Verhandlung dementsprechend anpassen wolle. Weiter geht es am Donnerstag den 13.06. um 09:15 Uhr. Angedacht ist, dass die Verhandlung – genau wie alle darauf folgenden – bis jeweils 17 Uhr terminiert ist. Dem Richter ist aber noch aufgefallen, dass aufgrund von Brandschutz ab jetzt nur noch 20, anstelle von 24 Zuschauer:innen im Saal zugelassen sein sollen. Anders als beim 1. Prozesstag war dieses mal keine Presse vor Ort und es gab auch dieses mal keine besondere Sicherheitsverfügung, sodass alle normal durch den Haupteingang ins Gericht gehen konnten.
Die ausgefüllten Zuschauer:innenplätze geben den Angeklagten viel Kraft und schaffen ein stärkendes und solidarisches Bewusstsein, dass keine:r unserer Gefährt:innen und Freund:innen alleine der Repression gegenüber steht.
passiert am 06.06.2024