Gegen die Arbeit und die Arbeitslosigkeit!
Disclaimer: Der Text wurde von einigen Menschen der OAV – und Friends geschrieben und spiegelt nicht die Meinung der gesamten Gruppe wider.
Der folgende Text ist eine indirekte Antwort auf das „Statement einer Arbeitsverweigerin“ vom 07.02.24.1 Der Artikel soll Perspektiven und Ansätze abseits der beschissenen Arbeits-losigkeit aufzeigen, welche ein Großteil der autonomen und anarchistischen Szene propa-giert und die damit einhergehenden Probleme beleuchten. Der Text war allerdings schon lange in Planung, da viel zu viele Menschen in unserem Umfeld an Arbeitslosigkeit und Drogensucht verzweifelt sind. Wir müssen als Bewegung endlich aufhören Arbeitslosigkeit als revolutionären Aktivismus anzusehen. Die Beweggründe dafür sind verständlich: Also der Wunsch aus der Leistungsgesellschaft auszusteigen, mit der kapitalistischen Verwer-tungsideologie zu brechen, nicht für den Staat oder den Reichtum der Chefs zu arbeiten oder einfach, weil man keinen Bock auf Arbeiten hat. Gegen all dies Argumente gibt es auch nichts einzuwenden. Wer mal ein paar Monate oder Jahre Auszeit will, soll sich das selbst-verständlich gönnen. Aber ein Ausstieg aus dem Arbeitsleben ist weder revolutionär, noch ist es eine Perspektive für einen nachhaltigen Aktivismus.2
Warum also dieser Text: Es kommt viel zu oft vor, dass Anarchist*innen „Verrat“ vorgewor-fen wird, wenn diese sich dazu entscheiden, arbeiten zu gehen. Oft quälen sie sich selbst, weil sie sich einen Bruch mit den eigenen Ideologien und Werten vorwerfen. Aber in was für einer Ideologie soll es als Verrat gelten arbeiten zu gehen? Den damit einhergehen-den Lifestyle können sich schließlich nur wenige gut vernetzte (Ex-)Student*innen in den Großstädten leisten. Und das auch nur, weil das Arbeitsamt während und nach Corona gera-de nicht so genau hinschaut. Das sah vor zehn bis zwanzig Jahren nach den Hartz Reformen noch ganz anders aus und wird sich wahrscheinlich bald wieder ändern. In der Praxis wird dieser Lifestyle aber nach dem Abschluss des Langzeitstudiums schnell fallengelassen und schlussendlich doch einer Lohnarbeit nachgegangen. (Übrigens stellt ein Studium auch eine Teilnahme am System dar und ist nicht vergleichbar mit der Perspektivlosigkeit und den Erfahrungen die arbeitslose Personen machen.) Die Glorifizierung und verquere Romantisie-rung des Alltags in der Arbeitslosigkeit zeigt, wie jung und mittelständig unsere Szene ist und ist somit Ausdruck einer privilegierten Großstadtlinken.
„Die einzigen Leute, die glauben können, dass Armut in nur irgendeiner Weise spaßig ist, sind wohlhabende Kids, die für ein paar Jahre arm zu sein spielen. Die tägliche Realität von Armut, Arbeitslosigkeit und Obdachlosigkeit ist für den Durchschnittsmenschen sehr ernst und etwas, gegen das AnarchistInnen organisieren und sich nicht darüber lächerlich machen sollten.“3
Ein Plädoyer gegen die Arbeit
Arbeit ist essenziell für die Ökonomie. Natürlich wissen wir, dass diese Ökonomie nicht für uns, sondern gegen uns und unseren Planeten arbeitet. Die (politisch) gesetzgebenden Wachstumsideologie sorgt dafür, dass immer größere Teile unseres Planeten zerstört werden und eine erbarmungslose Ausbeutung, insbesondere der Menschen in Osteuropa, Asien, Af-rika und Südamerika stattfindet. Arbeit ist dabei in den allermeisten Fällen nicht bewusst-seins- oder gar charakterbildend, sondern ausbeutend, disziplinierend und oftmals dazu noch stumpf und monoton. In hoch-technologisierten Gesellschaften „wendet nicht der Arbeiter die Arbeitsbedingungen, sondern umgekehrt: Die Arbeitsbedingungen wenden den Arbeiter an.“4 In unserer Dienstleistungsgesellschaft hat sich dies sogar noch verschlimmert, es gibt wenige produktive Tätigkeiten, wie Fließbandarbeit oder Handwerks-Berufe. Die pro-duktiven Tätigkeiten sind aufgrund des hohen Leistungsdrucks häufig sehr monoton und mit einem hohen Maße Wiederholung verbunden.
Das Gleiche gilt oftmals für reproduktive Tätigkeiten. Beispiele hierfür sind Pflege- und Erziehungsberufen, welche meistens noch weniger wertgeschätzt werden und schlechte Ar-beitsbedingungen sowie Bezahlungen vorweisen. Schichtdienstwechsel mit immer kürzeren gesetzlich vorgeschriebenen Pausenzeiten und dabei gleichzeitig immer mehr Patient*innen pro Fachkraft sind nur zwei Beispiele für die Missstände im pflegerischen Bereich.
Am untersten Ende stehen Dienstleistungsberufe, wie Essenslieferant*innen und Callcenter-Agents, die weder ein richtiges Produkt, soziales Ansehen noch gute Bezahlungen vorweisen können aber dafür einen komplett durchgetakteten und überwachten Arbeitsalltag besitzen. Für diese interessieren sich oftmals noch nicht mal die Gewerkschaften.
Die wenigen gut angesehenen und gut bezahlten Jobs, wie Ingenieur*innen oder Ärzt*innen sind nur mit einem Studium erreichbar, was von vorneherein eine große Personenzahl aus-schließt aufgrund des hohen Anpassungsdruck (an Autoritären und schulisches Lernen), be-nötigten finanziellen Grundlagen und kulturellen Kapitals (also akademische Sprech- und Verhaltensweisen). Auch hier gibt es jedoch Tendenzen zum Überschreiten der Arbeitszeit, Druck durch Vorgesetzte und einer zwangsweisen Beschäftigung mit der Arbeit in der Frei-zeit. Wer kein Unternehmen geerbt hat, hat keinen Grund sich auf das Arbeitsleben zu freu-en.
Ein Plädoyer fürs trotzdem Arbeiten
„Wenn Leute >>ernst machen<< mit dem Kampf gegen den Kapitalismus, tendieren sie oft dazu, die Position, die sie vorher innehatten zu verlassen – Jobs werden gekündigt, die Schu-le abgebrochen […]. Es ist besser, in die Offensive zu gehen. Kündige nicht deinen Job – warte bis dein Boss am angreifbarsten ist und gehe dann in den Streik und lade alle ein mit-zumachen. Brich nicht die Schule ab, um an irgendeiner aktivistischen Kampagne teilzuneh-men – organisiere Bildungsstreiks und Teach-Ins, bring eine Schüler*innen-Gruppe zusam-men um die Gelder von deiner Schule abzuleiten oder versuche die Schule zu besetzen.“5
Während Arbeit Zeit raubt und die Schaffung von Konsummöglichkeiten und der gefühlten Sicherheit durch Geldanhäufung zu Entpolitisierung führt, ist es bei Arbeitslosigkeit genau andersrum. Prekär, nicht-wertgeschätzt und ohne Luxus zu leben frisst Ressourcen und Hoffnung. Wir kennen kaum eine arbeitslose Person, die nicht mit schweren psychischen Problemen oder Suchterkrankungen zu kämpfen hat. Menschen zu raten diesen Zustand freiwillig anzustreben ist absolut fahrlässig und extrem unsolidarisch.
Wir müssen unsere Arbeitskraft verkaufen, um im Kapitalismus nicht zu verhungern oder vor dem Sozialamt zu kriechen. Menschen in der Arbeitslosigkeit wollen aufgrund des Drucks durch das Jobcenter, der finanziellen Armut und des gesellschaftlichen geringen An-sehens meistens nur aus diesem Zustand heraus. Den meisten Menschen wollen daher diese Lebensrealität unbedingt vermeiden, insbesondere wenn sie Kinder haben, für deren Ge-sundheit und Sicherheit sie sorgen müssen. Ein massenhafter Ausstieg, der einen spürbaren Effekt auf das kapitalistische Wirtschaftssystem hätte, wie einige Anarchist*innen sich das vorstellen, wird also sowieso nicht stattfinden.
Im Gegensatz dazu bietet Arbeiten auch Möglichkeiten für revolutionären Aktivismus.
Vorweg: Es ist hierbei von einer 40-Stunden-Woche abzuraten um genügend Zeit für Rege-neration, mentale und körperliche Gesundheit, Freizeit, politische Bildung und Aktivismus zu haben.6 Arbeit ist auf einer psychologischen Perspektive sinnvoll.7 Menschen haben ei-nen geregelten Tagesablauf, eine Aufgabe und fühlen sich daher gebraucht und bauen dadurch Selbstbewusstsein auf. Sie sind weniger anfällig für psychische und finanzielle Probleme, welche sich unter anderem durch Repression ergeben. Lohnarbeit hat auch den Vorteil, dass dadurch gesellschaftlich relevante Fähigkeiten erlernt werden. Technologi-sches, handwerkliches oder medizinisches Wissen werden in Revolutionen dringend benö-tigt. Dies zeigt sich beispielsweise in den Aufrufen zur Teilnahme von Ärzt*innen in Roja-va. Ebenfalls können schneller Gelder durch individuelle Spenden generiert werden, wenn viele Aktivist*innen ein festes Einkommen haben.
Es erweitert sich durch die tägliche Arbeit auch massiv das Mobilisierungs- und Aktions-feld. Wenn Linke im Betrieb als Kolleg*innen akzeptiert werden, werden unsere politischen Perspektiven und Lösungsansätze auch normalisiert. Wir können dadurch auf Augenhöhe mit unseren Mitmenschen diskutieren, beispielsweise auch zu Themen die mit der Arbeits-welt gar nichts zu tun haben, wie Sexismus oder Klimakrise (halt alle Themen, über die sich in den Raucherpausen und beim Feierabendbier so unterhalten wird). Wir sollten uns einmal vor Augen halten, warum wir so sehr gegen eine Verankerung von Neo-Nazis im Arbeitsle-ben sind oder faschistische Netze aus Betrieben, Immobilien und Stiftungen bekämpfen; weil deren Potenzial so gefährlich ist.
Die Möglichkeit der Kollektivierung und des Generalstreiks
Das Potenzial von politischen Menschen in der Ökonomie ist immens. Wenn mehr Linke arbeiten gehen, können wir komplett eigene Kollektivbetriebe gründen oder bestehende Be-triebe besetzen. Das dies alles kein utopisches Traumtänzertum ist, zeigt seit 2001 die Be-triebsbesetzungs-Bewegung in Argentinien.8 In Kollektivbetrieben zeigen wir, dass andere Formen des Arbeitens und Lebens ohne Hierarchien und Ausbeutung möglich sind. Wir sammeln in ihnen Erfahrungen über Selbstverwaltung, gemeinsame Entscheidungsfindung und alternative Formen des Wirtschaftens. Die Betriebe bieten uns außerdem vielfältige neue Möglichkeiten, allein die Räumlichkeiten können genutzt werden für Plena, Solipartys oder Konferenzen. Wir können so langfristig gesehen eine subversive Infrastruktur aufbau-en, auf die wir ständig zurückgreifen können, sei es als Unterschlupf, Vortragsraum oder Waffendepot. Es können Gelder von den Betrieben abgezweigt werden und sei es nur für die Kosten der immer mehr werdenden Repressionen (also laufenden Verfahren/Prozesse). Wa-rum sollten wir nicht die Möglichkeiten nutzen und die riesigen Profite, welche im Digitali-sierungszeitalter erwirtschaftet werden für bessere Zweck einsetzen? Vieleicht ist ja der nächste Tech-Gigant ein Kollektivbetrieb? Der Idee des kollektiven Arbeitens sind keine Grenzen gesetzt, ob genossenschaftliche Fahrradselbsthilfewerkstätten, Freie Schule9 oder Arztkollektiv, die einzige Grenze ist unsere Vorstellungskraft.
Der wichtigste Grund, warum Linke wieder anfangen sollten arbeiten zu gehen, ist allerdings die Möglichkeit des Generalstreiks. Der Generalstreik ist die effektivste und unblutigste Revolutionsmethode. Die gesamte Wirtschaft kann lahmgelegt werden allein durch abge-sprochene Arbeitsniederlegungen, dafür müssen wir nicht jahrelang als Guerillas Anschläge verüben oder eine hierarchische Revolutionsarmee aufbauen. (Auch wenn sich sicherlich auf Widerstände durch die Staatsgewalt und Gegenschläge der Faschisten vorbereitet werden muss). Für den Generalstreik zu mobilisieren, heißt nicht, dass wir anfangen sollten „Wei-marer-Republik“ zu spielen und vor die Heime der osteuropäischen Spargelstecher*innen und Büroräume der Call-Center zu ziehen, um die am schlechtesten bezahlten Menschen zu organisieren. Wir sollten stattdessen dort anfangen zu arbeiten, wo wir wirklich arbeiten wollen. Wer Tierärzt*in, Feuerwehrmann, KFZ-Mechaniker*in oder Lehrer*in werden will, soll dies auch werden und dort anfangen sein Arbeitsumfeld zu verändern, zu organisieren und eventuell eigene Betriebe zu gründen. Genauso wenig sollten wir jetzt, wie einige Ge-noss*innen, wild anfangen Kollektive zu gründen ohne jegliches Vorwissen und Erfahrun-gen. Betriebe, die Tätigkeiten verrichten, für die kein Vorwissen notwendig ist, müssen sich oftmals Löhne unterhalb des Mindestlohns auszahlen, da in den Branchen sowieso schon schlecht bezahlt wird. Statt also „hauptsache in einem Kollektiv zu arbeiten“ sollten wir Ausbildungen absolvieren, studieren gehen und Arbeitserfahrung sammeln, um funktionie-rende Betriebe zu übernehmen oder deren Belegschaft zu organisieren.
Denn: Ja – Lohnarbeit ist oftmals scheiße, doch um eben dies zu verändern, ist es wichtig, dass unsere politischen Perspektiven und Lösungsansätze nicht nur in linken Räumen (seien es Plena, Kundgebungen oder Demos) verebben. Wir müssen eigene Arbeitskämpfe in Be-wegung setzen, die Arbeiter*innen, welche jetzt schon Streiks und Mahnwachen organisie-ren unterstützen und dürfen unsere Hoffnungen nicht ausschließlich in bürgerlich-kapitalistische Gewerkschaften und reformistisch-parlamentarische Parteien oder die x-te Scherbendemo stecken.
Seid widerständig am Arbeitsplatz – gründet Kollektivbetriebe – bildet Bündnisse mit euren Kolleg*innen!
Fußnoten
1 „Statement einer Arbeitsverweigerin“ vom 07.02.24, un-ter: https://de.indymedia.org/node/338824
2 Offene Anarchistische Vernetzung: „Tipps und Tricks für einen Nachhaltigen Aktivis-mus“, 2024.
3 „Rethinking Crimethinc. – Your politics are bourgeois as fuck“ (Übersetzung), 2006, un-ter: https://www.anarkismo.net/newswire.php?story_id=6111
4 Zitat frei nach Dominik Götz: „Operaismus. Geschichte & Philosophie des autonomen Marxismus in Italien“, Berlin 2020, S. 57.
5 Crimethinc: „Work. Kapitalismus, Wirtschaft, Widerstand“, S. 327.
6 Daiga Kamerāde (u.a): „A shorter working week for everyone: How much paid work is needed for mental health and well-being?“ in: Social Science & Medicine, Volume 241, No-vember 2019, un-ter: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0277953619303284#sec2
7 Zu dem Thema, Arbeitslosigkeit und psychische Krankheiten, siehe die Zusammenfassung der „Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nerven-heilkunde“ und UKE Hamburg zum Thema Arbeitslosigkeit: „Rückkehr zur Arbeit – Der Nutzen“, 2015 unter: https://www.psychenet.de/de/entscheidungshilfen/entscheidungshilfe-rueckkehr-zur-arbeit/entsch
Für eine ausführlichere Darstellung, siehe die RKI Gesundheitsberichterstattung, welche belegt, dass Arbeitslosigkeit zu erhöhten psychischen und physischen Krankheitsbildern führt: LE Kroll, T. Lampert: „Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und Gesundheit“, Hrsg. Robert Koch-Institut Berlin, GBE kompakt,1/2012, unter:
https://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsK/2012_1_Arbeitslosigkeit_Gesundheit.pdf?__blob=publicationFile
8 In Argentinien wurden seit 2001 über 1.000 Betriebe besetzt. Aktuell (Stand 2021) gibt es ca. 430 selbstverwaltete Betriebe mit ungefähr 15.000 Beschäftig-ten: https://oxiblog.de/betriebsbesetzungen-azzellini-besetzen-produzie-ren/#:~:text=Massive%20Betriebsbesetzungen%20begannen%20in%20Argentinien,f%C3%BChrte%20dort%20ebenfalls%20zu%20Betriebsbesetzungen
Ausführlicherer in Lavaca (Hg.): „Sin Patrón – Herrenlos. Arbeiten ohne Chefs. Instandbe-setzt Betriebe in Belegschaftskontrolle. Das argentinische Modell: Besetzen, Widerstand leisten, Weiterproduzieren“, Neu-Ulm 2015.
9 Zum Thema anarchistische Pädagogik und „Freie Schulen“, siehe allgemein Francisco Ferrer: „Die Moderne Schule“, Frankfurt am Main, 2003.