Prozessberichte 5. und 6. Prozesstag „Wir haben eine Verabredung“
Prozessberichte 5. und 6. Prozesstag
+++Erklärungen und Urteil voraussichtlich Montag, 15.07.2024, Amtsgericht Tiergarten +++
Puls, in Ausbildung.
Geladen war am 4.7. Frau Puls, heute 20 Jahre alt, damals in Ausbildung bzw. als Praktikantin bei der Bundespolizei am Ostbahnhof. Sie seien damals zu dritt auf Streife gewesen, mit Drewitz und Slaby. und waren vom Hubschrauber über Menschen an Gleisen informiert worden. Sie seien dann zu dritt von einer Feldfläche gekommen. Slaby habe gerufen „Wir sind von der Polizei, sie sollen stehen bleiben“. Bei der Festnahme hätten sie im Tunnel in einer Art Einkerbung gestanden. Drewitz hätte zusammen mit Slaby die Belehrung gemacht, weil es zwei Personen waren.
Die weibliche Person hatte einen Rucksack dabei, mit einer Capri Sonne, das habe sie sich gemerkt und einem Funkgerät, das an war, von dem eine weibliche Stimme kam. Insgesamt hätten sie ganz lange gewartet. Dann seien „irgendwelche Leute“ gekommen und die Festgenommenen hätten Handschuhe bekommen. Später kam noch eine Hundeführerin dazu. Sie sei mit ihr durch den Tunnel gelaufen. Vielleicht ohne Taschenlampe, da es auch wieder hell wurde, in einem normalen Tempo. Der Hund sei in Schlenkern gelaufen. Auf der Wendeschleife sei er stehen geblieben und wieder zurück gelaufen. Den Rucksack aus dem Tunnel habe sie nicht gesehen. Aber sie erinnere sich an eine darin befindliche Tüte, in der der Kanister gewesen sein soll.
Sie habe alle „persönlichen“ Sachen wieder bei der Beschuldigten in den Rucksack zurück gepackt und mit ihr zum Auto genommen.
Es wurde gefragt worin sie sich denn eingelesen habe, da es von ihre keine zeugenschaftliche Ausssage gebe. Sie habe den „Kurzsachverhalt“ gelesen. Sie habe auch noch mit den anderen Vorgeladenen gesprochen und Dokumente bekommen. Mit Frau Drewitz genau habe sie gesprochen. Da sie jetzt aber auf einer anderen Dienststelle sei, habe sie keinen Zugang mehr dazu.
Auf Nachfrage wie genau der Weg war, gab sie noch an, dass sie einen Bauzaun auf und zu gemacht hätten, um auf das Feld zu kommen.
Sie gab an, dass eine andere Streife den Kanister gefunden habe. Es war immer mindestens eine Person bei jeweils einer der Festgenommenen. Dazwischen gab es erst einen Gehweg und dann eine Rasenfläche, auf der alles ausgepackt worden sei.
Sie gab nochmal an, dass Slaby gefunkt habe und sie nicht mitgehört habe. Ihr wurde vor Ort nur der Verdacht der Sachbeschädigung genannt.
Sie sei allgemein schon aufgeregt gewesen, aber es sei ein sehr ruhiger Einsatz gewesen.
Felix Fritsche, 22 Jahre, Bundespolizei Lichtenberg
Er gibt an in dieser Nacht mit seinem Kollegen Henschel in zivil unterwegs gewesen zu sein, als die Meldung vom Helicopter kam. Sie seien von Graffiti ausgegangen.
Sie seien von oben an den Tunnel heran gegangen, über die S-Bahngleise. Sie hätten die Personen von dort nicht gesehen nur die Kollegen gehört. Sie hätten dann die Beschuldigten erst gesehen, als die Durchsuchung am Tunnelausgang statt fand. Nachdem die Uniformierten die Festnahme gemacht hatten, hätten sie nachgeschaut, ob frisch gesprüht worden war. Das hatten sie nach eigenem Ermessen getan.
Er könne nicht mehr sagen, ob dort ein oder viele Graffitis waren. Er habe aber manche angefasst, um nach frischer Farbe zu schauen. Dieses eine Mal waren sie gemeinsam im Tunnel und hätten keine relevanten Gegenstände gesehen.
Der Kollege habe später einen Rucksack gefunden. Im Rucksack sei ein Kanister mit Flüssigkeit, Benzin, gewesen. Später stand der Rucksack dann neben den anderen Gegenständen.
Er habe dann mit der gefundenen Funke gespielt und meinte eine weibliche Stimme gehört zu haben. Später erklärte er, dass er dafür den Kopfhörer abgezogen habe. „Hört ihr mich“? sei aus der Funke gekommen. Er habe geantwortet: „Wir können gerade nicht reden“. Dann kam ein: „wir treffen uns in einer halben Stunde am Treffpunkt“ zurück.
Die Beschuldigte rief „Funke ausschalten!“. Auf Nachfrage, wem das gegolten habe, sagte er nur, dass es in den Raum gerufen worden sei.
Sie hätten dann versucht den Standort dieser Person ausfindg zu machen. Sie seien das Firmengelände westlich abgefahren und hätten das Feld neben dem Tunnel abgesucht. Nach Rucksäcken oder Feuerzeug. Aber sie haben nichts gefunden.
Auch hier wieder die Frage, warum Fritsche auch eine zweite zeugenschaftliche Äußerung habe.
Wegen beispielsweise Rechtschreibfehlern sei es üblich, dass die nochmal bemängelt würden. Seine Vorgesetzte beharrte vermutlich darauf, sagte er, dass der Funkname Pirol durch „Hubschrauber“ ersetzt werde.
Dazu komme jedoch eine inhaltlich völlig neue Aussage in der zweiten Zeugenschaftlichen, stellte der Richter klar. Er habe erst aufgeschrieben, dass auf die Frage, ob der Kanister Ihnen gehöre, die beiden Festgenommenen sich mit „nein“ geäußert hätten. In der zweiten Zeugenschaftlichen stehe jetzt aber, sie hätten nichts gesagt. Fritsche kann sich das nicht erklären.
Er sei nicht bis zum Ende geblieben. Die Übergabe der Sachen passierte über die uniformierten Kräfte. Er wisse nicht, wie lange er vor Ort war. Er habe aber nichts mehr von Fotos mit bekommen.
Wie der Tunnel ausgesehen habe? Es sei steinig gewesen, sie seien mit Taschenlampen rein gegangen und die Abdeckungen an den Kabelschächten seien an mehreren Stellen abgenommen gewesen.
Wie habe er sich denn vorbereitet? Die Anzeige durchgelesen vor dem ersten Termin, bisschen mit Kollegen drüber gequatscht, mit Henschel. Er habe Henschel gefragt, ob er sich noch an den „Brandanschlag“ erinnere.
Wie komme er auf diese Bezeichnung? Aufgrund der Flüssigkeit, des Kanisters, der KFZ Liste und da sie mehrere Kleidungsschichten an hatten, führt er aus.
Er habe seine Zeugenschaftliche allein geschrieben, antwortet er auf die Frage der Anwältin, warum er in seinem Text auf Inhalte von Herrn Henschel verweisen würde. Aber seine Gruppenleiterin liest alles auf der Dienststelle Lichtenberg. Inhaltliche Abweichungen könne er sich aber nicht erklären.
Nochmal zurück zu der Angabe, dass sie schon weg gewesen waren, als die Kripo kam. Könne er sich nicht erinnern, dass er gegen drei Uhr mit der Kripo im Tunnel gewesen war. Nein, und er könne sich auch nicht an einen Spürhund erinnern.
Fritsche fängt an zu erzählen, er habe mit dem Beschuldigten gesprochen, der im Auto saß. Um seine Stimme imitieren zu können. Daraufhin die Rechtsanwältin: „Bis dahin waren alle stumm wie Fische, haben alle Zeug*innen bisher ausgesagt“.
Der Richter springt genervt dazu: „Das ist alles nicht Teil ihrer zeugenschaftlichen Aussage, warum steht das da nicht drin, obwohl die 24 Stunden nach dem Einsatz geschrieben wurde?“.
Fritsche bleibt dabei und ergänzt, er habe irrelevante Fragen gestellt, um die Stimme zu hören.
Es wird ungemütlich für den Bullen. Sei er sich im Klaren, betont die Anwältin, dass er die Wahrheit sagen müsse?
Der Richter lenkte ein, dass ja klar sein, dass er jetzt verunsichert sei, aber dass er nicht einfach eine neue Geschichte erzählen könne.
Am Ende kam kein Wort mehr aus dem Mund des zusammen gefallenen Zivis. Seine Aussagen waren nicht mehr haltbar. Der Bulle lügt.
Sein Kollege Henschel führte die amüsante Performance zu Ende.
Friedrich Henschel, 35 Jahre, Bundespolizei Lichtenberg
Er schilderte wie der Einsatz veranlasst worden war. Und wie sie hinter dem Tunnel in den Gleisbereich hinein gegangen seien. Als sie noch oben standen, während der Festnahme, habe er sich über das Geländer gebeugt, um etwas zu sehen: „Die standen am Tunneleingang“. Es seien ein Rucksack und Funken bei den beiden gefunden worden, „mehr hatten die nicht“. Er sei dann im Tunnel geblieben, als Fritsche raus gegangen war, weil ihm sein Bauchgefühl sagte, dass hier etwas nicht zusammen passe. Er antwortete auf Nachfrage, dass sie Graffitis durch riechen und anfassen erforschten.
Er habe dann einen Rucksack gefunden, sich die Stelle gemerkt und diesen raus getragen und dort ausgepackt. Zweifach in blaue Säcke eingewickelt, habe sich darin ein Kanister befunden, der nach Benzin gerochen habe. Als er alles, was auf dem Boden ausgebreitet lag zusammen packen wollte, rief die Beschuldigte: „das gehört alles nicht zusammen!“. Auf Nachfrage, was sie meine, gab es aber keine Antwort. Aufgrund einer Frauenstimme, die von den Funken gekommen sei, seien sie den Nahbereich Richtung Funkmast abgelaufen. Danach seien sie zurück zum Auto und hätten das Gewerbegebiet, das an das Feld angrenze, abgesucht. Sie haben nach einer Frau in einem Auto Ausschau gehalten. Danach seien sie zurück zum Tunnel. Er sei mit der K1 nochmal in den Tunnel.
Auch hier: Warum habe er zwei zeugenschaftliche Äußerungen gemacht? Kein Wissen darüber. Ihm wird ein Bild gezeigt mit den ausgebreiteten Sachen und von der Fundstelle des Rucksacks. Er wisse aber nicht mehr welcher welcher Rucksack sei.
Wieso hätten sie den Tunnel abgesucht? Das sei keine Aufforderung gewesen, die Funken hätten sie nur stutzig gemacht.
Auf die zwei Fragen, ob Staub auf dem gefundenen Rucksack gelegen habe und ob Platten am Kabelschacht gefehlt hätten, antwortete er beide Male, dass er keine Ahnung habe. Er wisse noch, dass er den Rucksack erst nicht fest gestellt habe, weil der Kabelschacht erhöht sei. Er habe grundsätzlich immer Handschuhe im Einsatz an, aber hier wisse er nicht mehr wie es war.
Ob alles spurenschonend behandelt wurde? Das mache er immer so. Sie hätten dann zu dritt, mit Fritsche und Slaby den Rucksack ausgepackt.
Ob die anderen Handschuhe an hatten, auch das wisse er nicht.
Er habe dann alles, was in einen Rucksack passt, in einen gestopft. Den Rest in den anderen.
„Spurenschonend“ scheint doch eher ein individuelles Konzept zu sein.
Die Nahbereichs-Absuche war vorwiegend um die Frau zu finden, dessen Stimme er meint gehört zu haben, nicht wegen Gegenständen, erklärt er auf Nachfrage.
Zu der auch noch aufgefundenen Wasserflasche hatte er damals gedacht, dass die interessant sein könnte. Sie wurde geöffnet, um daran zu riechen. Eventuell habe auch Frau Drewitz daran geschnuppert.
Habe er denn mit seinem Kollegen Fritsche vor diesem Termin vor Gericht gesprochen? Sei er oft mit ihm unterwegs? Er sei nicht so oft mit ihm im Einsatz. Und ja, er habe ihn gefragt, wann er geladen sei, aber mehr nicht.
Dann wurde intensiv von der Anwält*innenbank nach gebohrt.
Ob er denn heute Herrn Fritsche angetroffen habe, mit ihm Kontakt hatte? Ob Fritsche ihm nicht vielleicht berichtet hatte, wie sein Auftritt war, um ihn darauf vorzubereiten?
Henschel kam ins Stolpern. Bei WhatsApp hätten sie sich geschrieben. Ja, Fritsche habe erzählt wie es gelaufen war, und dass er aufgeregt gewesen sei und sich verhaspelt habe.
Die Anwältin bleibt dran: „Haben Sie Ihr Handy dabei, können Sie uns das bitte vorlesen?“
Henschel läuft rot an, schaut hilfesuchend zur Richterbank. Zögernd zieht er sein Handy aus der Tasche. Er las unter anderem vor, dass Fritsche ihm die Daumen drücke. Henschel hatte zurück geschrieben, dass er ihm später ein Feedback gebe. Handshake.
Aja, sagt die Anwältin, da stehe ja gar nichts von „verhaspelt“. Kann es sein, dass sie auch noch miteinander telefoniert haben?
Der Zeuge fällt in sich zusammen. Er schweigt. Die Anwältin: „müssen sie darüber erst nachdenken?“ Er gibt kleinlaut zu „Ja, wir haben auch noch telefoniert“. Aber Fritsche habe am Telefon nicht gesagt, was schlecht lief.
Er muss nochmal mehr zur Zeugenschaftlichen erklären. Diese werde immer angefertigt, wenn man selber was mitbekommen habe. Es gebe immer eine Qualitätskontrolle. Bei ihm sei vieles anders, einiges auch gestrichen worden in der Zweiten.
Normalerweise werde nur die Rechtschreibung kontrolliert und der Inhalt bleibe gleich, gibt er daraufhin an. Es gebe dann Feedback über das System. Man müsse aber selber die Anmerkungen nach bessern.
Nochmal zur Frauenstimme. Wann habe er diese fest gestellt. Das wisse er nicht. Aber er wisse noch, dass Slaby die Abfrage nach den Namen gemacht habe.
Am Ende wurde noch ein Beweisantrag von den Anwält*innen eingereicht. Die Anwält*innen hatten für 72 Stunden einen neuen Rucksack in dem besagten Tunnel platziert. Das Ergebnis war, dass sich nach drei Tagen keine Staubablagerungen auf dem Rucksack befanden. Noch dazu beantragten sie, dass eine Zeugin geladen werde, die darüber aussagen könne, wie oft dieser Tunnel gereinigt oder kontrolliert werde.
Der Richter nahm den Antrag und die Fotoreihe mit und wird darüber am 15.07. entscheiden.
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Im zweiten Antrag ging es um die Inaugenscheinnahme von Lichtbildern eines Telefonmastes in räumlicher Nähe zum Ort der Festnahme.
Auch hier stimmte der Richter sofort zu, die Verteidigung beharrte diesmal jedoch auf dem Verlesen der Begründung.
Im Folgenden wurde dann ausgeführt, dass §30 StGB (Verabredung) aufgrund der Vorverlagerung der Strafbarkeit weit vor den Versuch, eine ausreichende Konkretisierung der Tatpläne erfordert, auch hinsichtlich des Tatobjektes. Der bloße Umstand, dass die Angeklagten in der Nähe von Kabelschächten festgenommen wurden, reiche dafür nicht aus. Da an den Kabelschächten weder Manipulationen festgestellt werden konnten, noch ermittelt wurde, ob sich in den Schächten denn überhaupt Kabel befänden, sei der in der Nähe befindliche Telefonmast als ein nicht weniger wahrscheinliches Tatobjekt in Betracht zu ziehen. Die erforderliche Konkretisierung wäre so nicht mehr gegeben.
Des Weiteren sei es fraglich, ob es sich bei den von der Anklage konstruierten Vorwürfen überhaupt um eine Brandstiftung im Sinne des §306 StGB handele. Dieser Tatbestand stelle die Brandstiftung an Betriebsstätten und technischen Einrichtungen unter Strafe. Ob mutmaßlich vor Ort vorhandene Signalkabel als technische Einrichtungen im Sinne des Gesetzgebers gelten können, sei in Frage zu stellen. Darüber hinaus ziele die Strafbarkeit des §306 StGB auf eine mit der Brandstiftung verbundene Gemeingefährlichkeit ab. Diese läge im konkreten Fall ebenso nicht vor. Die Inbrandsetzung von Kabeln in einem Kabelschacht hätte keine weiteren Folgen als das bloße mechanische Durchtrennen der Kabel. Eine Beschädigung anderer Sachen oder Personen durch das Feuer sei ausgeschlossen. Eine solche Tat müsste dementsprechend als Sachbeschädigung behandelt werden. Da somit der Verbrechenstatbestand nicht mehr vorliege, sei auch eine Strafbarkeit der angeklagten Tatverabredung nicht gegeben. Die Angeklagten wären folglich freizusprechen.