Postkarte aus der Klandestinität, Grußwort eines Anarchisten auf der Flucht
Meine Weggefährt_innen
Ein jährliches Grußwort schreibt sich nicht locker von der Feder, es ist anstrengend. Es versucht in ein paar wenigen Sätzen auszudrücken, was in einem ganzen Jahr – und darüber hinaus – gedacht, gefühlt und erlebt wurde. Eine Aufgabe, deren Scheitern aber etwas Schönes innewohnt: die gebündelte Aufmerksamkeit auf diesen einen Moment der verbalisierten Andacht. Es ist schön, euch in meiner Brust zu tragen, acht Jahre nach meiner Abreise in die Klandestinität.
Die letzten Tage waren eher trüb, da ich an mein altes Leben und an den damit verbundenen Verlust denken musste. Doch zum Glück überwiegt dieses Trübsal nicht, sondern macht sich nur ab und zu mal breit. Den überwiegenden Teil meiner Zeit bin ich guter Dinge, froh und stolz auf meine Entscheidung, die freien Füße auf ständig neuen Abenteuern den Ketten auf wenigen Quadratmetern Tristesse vorgezogen zu haben. Solltet ihr unglücklicherweise auch einmal vor einer solchen Entscheidung stehen – geht das Wagnis ein, es lohnt sich!
Es ist der achte Sommer auf meiner Reise und ich erinnere mich noch gut daran, wie ich damals als kleiner Junge jedes Jahr in den Sommerferien Postkarten an meine Freunde versendet habe. Der wenige Platz auf dem Postkartenformat und mein Unvermögen Zeilen zu schreiben, die nicht einem Ast einer Trauerweide gleichkamen, beschränkten mich im Erzählen meiner Erlebnisse. Damals ging es mir und meinen Freunden aber nicht um Inhalt, sondern schlicht darum, „in Kontakt zu bleiben“ in diesen fünf Wochen Ferien, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten. Dieses „in Kontakt bleiben“ mittels einer nun digitalen Postkarte ist auch hier mein Motiv, und nicht das Erzählen meiner Erlebnisse. Schließlich weiß man (nie), wer da so mitliest…
Meine Steine im Weg
Passt auf eure Ohren auf…
Alle anderen sollen sich umarmt fühlen – auf ein Wiedersehen!
Euer Freund und Gefährte aus dem Nirgendwo, Juli 2024