Freisprüche im Verfahren „Wir haben eine Verabredung“
Heute am 15.07.2024 war der letzte Prozesstag im Verfahren „Wir haben eine Verabredung“. Die Staatsanwaltschaft hat nach einer Erklärung für Freispruch plädiert, da es keine ausreichenden Beweise dafür gebe, dass der Rucksack mit Kanister den Beschuldigten zuzuordnen sei. Die DNA Analysen könnten nicht verwendet werden, da die Bullen alles mögliche angefasst und zusammen gepackt hätten.
Die davon doch überraschten Anwält*innen stellten ihre Plädoyers um. Es gab eine Erklärung zur Herkunft und Bedeutung des §30 StGB. Dann eine über die Gefahr immer verfeinerter Technik bezüglich DNA Analysen, welche dazu führe, dass Mikrospuren, die sich sehr schnell übertragen, zu falschen Beweislagen führen könnten.
Als letztes fasste eine Anwältin die Auftritte der Bullenzeug*innen kurz und entlarvend zusammen.
Sie plädierten alle auf Freispruch.
Der Richter nahm sich 15 Minuten Bedenkzeit, nach der er in drei Sätzen seinen Freispruch formulierte.
Hier die Erklärung, die die beiden Angeklagten im Anschluss an die Plädoyers der Anwält*innen gemeinsam verlasen:
„Vor 17 Monaten wurden wir verhaftet. Anderthalb Tage saßen wir getrennt voneinander in der Gefangenensammelstelle am Tempelhofer Damm und wurden einem Haftrichter vorgeführt. Um die 85 Mal mussten wir uns anschließend auf einer Wache melden und unsere Unterschrift auf ein Blatt Papier kritzeln, zum Beweis, dass wir uns dem Verfahren nicht entziehen würden. Uns wurde unsere DNA entnommen und durch Datenbanken gejagt. Wir wurden an insgesamt 15 Tagen von Observationskräften bei unserem täglichen Leben und mit unseren Freund:innen und Gefährt:innen beobachtet, unsere Hauseingänge gefilmt. Einige Tage saßen wir nun vor diesem Gericht, an dem unsere Schuld verhandelt wird.
Wir haben damals nichts und werden auch heute nichts dazu sagen, warum wir an dem Ort waren, an dem wir verhaftet wurden. Diese Leerstelle unterstreicht nur, was in diesen paar Tagen auch vor Gericht klar wurde: Dass Polizei und Justiz im Dunkeln tappen. Unsere DNA in den Datenbanken hat nichts für euch ergeben. Eure Observationen haben scheinbar zu keinen relevanten Ergebnissen geführt. Es bleibt kaum mehr übrig als eine reißerische Geschichte, um dem eigenen Verfolgungswillen nachzukommen und die nötigen „Erfolge“ präsentieren zu können.
Die politische Ordnung erfordert nicht moralische Integrität, sondern Gesetzestreue.
Dabei könnten die fast schon an Arbeitsverweigerung grenzende Unmotiviertheit, mit der die Ermittlungen und auch die Hauptverhandlung von Seiten der Ermittlungsbehörde geführt wurden, sei es aus Unvermögen oder Hochmut, und auch die humoristischen Einblicke in das kriminalistische Geschick einiger Bundespolizisten, beinahe darüber hinwegtäuschen, dass wir hier vor einer Instanz der Klassenjustiz sitzen.
Wenn wir von Klassenjustiz sprechen, dann denken wir, dass wir immer noch in einer recht privilegierten Position hier sitzen. Gleichzeitig vergessen wir aber nicht, wessen Recht es ist, das hier durchgesetzt wird.
Wir vergessen die unzähligen Mieter*innen nicht, die von deutschen Gerichten zur Obdachlosigkeit verurteilt werden. Nicht die Tausenden in deutschen Haftanstalten, deren einziges Verbrechen ihre Armut oder ihre Herkunft ist.
Wir haben nicht vergessen, dass jeder uniformierte Gewalttäter und auch noch der letzte NSU-Unterstützer lachend den Gerichtssaal verlassen kann, während die faktische Abschaffung des Asylrechts koloniale Kontinuitäten aufrecht erhält und Betroffene sexualisierter sowie rassistischer Gewalt vor deutschen Gerichten nur neue Gewalt erwartet.
Wir vergessen nicht, wie deutsche Gesetze und Beamt:innen in dieser sogenannten Zeitenwende die massivste Militarisierung der BRD seit der Wiedervereinigung ermöglichen und deutsche Rüstungsunternehmen kontinuierlich von Genozid und Krieg in aller Welt profitieren.
Und nie wollen wir vergessen, dass es Menschen in Justiz-Uniformen waren, die, nur wenige Meter von hier, Ferhat Mayouf in einer Gefängniszelle haben verbrennen lassen.
Dieser Prozess ist nur einer unter vielen zahlreichen Versuchen dieser Tage, anarchistische sowie antifaschistische Individuen und Strukturen zu verfolgen und mit staatlichem Druck, Beschäftigung durch Repression und der Androhung unangenehmer bis harter Bestrafung, zum Aufgeben zu zwingen. Die sogenannte demokratische Mitte der Gesellschaft versucht die störenden Elemente zu entfernen, die ihr (Werte)System als unterdrückend und unfrei enttarnen. Nicht für Gerechtigkeit sondern um ihr Gewissen rein zu halten.
Wie weit diese bürgerliche Mitte allerdings wirklich noch von offener Sympathie für den erstarkenden Faschismus entfernt ist, können wir überall in Europa beobachten.
Dass sich unsere Antworten darauf nicht am bürgerlichen Recht orientieren können, ist historisch bewiesen und dementsprechend sollen in diesem Gebäude auch keine weiteren Worte darüber verloren werden.
Stattdessen wollen wir mit ein paar Worten der Verbundenheit zu einem Ende kommen:
Keinen Moment dieser Gerichtsverhandlung mussten wir allein ertragen. Diese Solidarität ist für uns ein Ausdruck der Kraft und Schönheit revolutionärer Ideen.
Die Unterstützung, die wir hier im Saal erfahren haben und die uns auch außerhalb dessen seit anderthalb Jahren begleitet und trägt, ist leider nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Insbesondere wollen wir denen danken, die uns nach unserer Verhaftung vor der GeSa in Empfang genommen haben, denen, die uns über all die Monate kontinuierlich den Rücken gestärkt haben und jenen Unbekannten in Nah und Fern, deren Grüße unsere Herzen immer wieder mit Freude gefüllt haben.
Last, but not least – geht ein Dank an unsere Anwält:innen, auf deren Rückhalt und Engagement wir uns immer verlassen konnten.
Was auch immer für ein Urteil hier am Ende über uns gefällt werden wird: Wir sind uns sicher, dass sich der Drang nach einer Welt der Würde, Freiheit, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit nicht in einem Gerichtssaal verhandeln lässt. Und wir werden diesen Saal mit der Gewissheit verlassen, dass weder Staatsschutz, Staatsanwaltschaft, noch dieses Gericht eine Ahnung davon haben, was wir wirklich denken, wollen oder tun. Und das bleibt, trotz aller Widrigkeiten, ein sehr zufriedenstellendes Gefühl.“
Freiheit für alle Gefangenen!
Freiheit & Glück den untergetauchten Gefährt*innen!
Wir haben eine Verabredung!