Häftlinge der JVA Tegel werden teils monatelang in Isolationszellen gesperrt
In der JVA Tegel können „Vollzugsstörer“ in spezielle Isolationszellen gesperrt werden – länger als 24 Stunden allerdings nur, wenn das für die Sicherheit unerlässlich ist. Die durchschnittliche Unterbringungsdauer lag zuletzt bei 125 Tagen. Von Roberto Jurkschat
Gewalttätige Gefangene können in der JVA Tegel in einer speziellen Station isoliert werden
Die JVA darf Gefangene länger als 24 Stunden isolieren, wenn das zur Abwehr von Gefahren unerlässlich ist
Im Schnitt verbringen Inhaftierte mehrere Monate in der Sicherungsstation
Berliner Vollzugsbeirat kritisiert: es sei unklar, wann die Gefangenen wieder herauskommen
Eins vorweg: Niemand kommt ohne Grund auf die Sicherungsstation B1 in der JVA Tegel. Selbst der Berliner Vollzugsbeirat, der die Interessen der Inhaftierten gegenüber der JVA-Leitung und der Senatsjustizverwaltung vertritt, spricht von meist „sehr schwierigen“ Gefangenen, die in den Isolationszellen im Erdgeschoss der Teilanstalt II sitzen.
Einer der Untergebrachten soll demnach einen Mitgefangenen in der Küche mit heißem Öl übergossen und einer Pfanne fast erschlagen haben. Versuche, den Mann in eine normale Zelle zurückzuverlegen, schlugen fehl, der Gefangene sei wieder gewalttätig geworden.
Ein zweiter Inhaftierter, den der Vollzugsbeirat bei einem Besuch der Isolationszellen im Mai 2023 traf, hatte in Kreuzberg drei Menschen in den Hals gestochen. Die Geschädigten überlebten, dennoch wurde der Mann wegen Mordes verurteilt. Nach einem körperlichen Angriff auf einen Mitgefangenen kam er in den „Bunker“ – so heißen die besonders gesicherten Hafträume im Knastjargon. Laut Besuchsvermerk soll der Mann angekündigt haben, bis zum Ende seiner Haft in der Sicherungsstation zu bleiben.
Knast im Knast
Das Berliner Strafvollzugsgesetz erlaubt es den JVAs, einzelne Häftlinge unter bestimmten Voraussetzungen vorübergehend „abzusondern“. Voraussetzung ist eine „fortbestehende erhebliche Gefahr der Selbst- oder Fremdgefährdung“, erklärt die Senatsverwaltung für Justiz. Gefangene, die suizidgefährdet sind, randalieren, oder eine Gefahr für Vollzugsbeamte, Sozialarbeiter, Psychologen oder andere Gefangene sind, können aus ihren Zellen herausgeholt und isoliert in einem besonders gesicherten Haftraum gesperrt werden – eine Art Knast im Knast.
Andererseits darf die JVA solche Maßnahmen laut der Justizverwaltung auch gegen Gefangene ohne erkennbares Suizid- oder Gewaltproblem verhängen – nämlich dann, wenn sie einen Fluchtversuch unternommen haben.
Der Dachdecker Mario K. etwa wurde 2015, ein paar Jahre nach einem bewaffneten Überfall auf eine Millionärsfamilie in Bad Saarow, zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Oktober 2019 fanden ihn Mitarbeiter morgens früh um halb fünf plötzlich im Hof der JVA. K. hatte die Gitterstäbe am Fenster seiner Zelle mit Chemikalien zertrennt und sich an der Fassade der Anstalt hinabgeseilt. Wie der Vollzugsbeirat bei der Begehung der in der Teilanstalt 2023 feststellte, wurde der Mann anschließend mehr als ein Jahr in eine Isolationszelle gesperrt.
125 Tage im besonders gesicherten Haftraum
Das Strafvollzugsgesetz schreibt den Anstalten vor, dass Menschen nur dann länger als 24 Stunden abgesondert werden dürfen, wenn das zur Abwehr von Gefahren „unerlässlich“ ist.
Auf Anfrage von rbb|24 teilte die Senatsverwaltung für Justiz mit, dass die durchschnittliche Unterbringungszeit von Inhaftierten auf der Sicherungsstation seit Anfang 2023 bei 125 Tagen liegt. 22 Personen sind in dieser Zeit in den Räumen eingesperrt worden, eine davon länger als ein Jahr. Auch in früheren Fällen verbrachten Menschen teils mehrere Jahre im „Bunker“.
Die Senatsverwaltung für Justiz betonte gegenüber rbb|24, die JVA habe ein Interesse daran, „die Unterbringungszeiten in derartigen Maßnahmen auf das Notwendigste“ zu reduzieren.
Ob Gefangene die Station verlassen dürfen oder nicht, werde in „angemessenen Abständen“ überprüft. Laut einem Besuchsprotokoll des Vollzugsbeirates treffen Sachverständige nach Angaben der JVA einmal pro Monat eine Einschätzung, ob die Personen in den besonders gesicherten Hafträumen weiterhin ein Sicherheitsrisiko darstellen – oder ob man sie wieder in ihre normalen Zellen verlegen kann.
Aus dem Besuchsprotokoll des Vollzugsbeirates geht hervor, dass der Gefangene Mario K. nach eigener Aussage so lange im „Bunker“ bleiben musste, weil er niemandem verraten wollte, wie genau er das Fenstergitter aufschweißen konnte.
Absonderung nach Fluchtversuchen
Gegen die Haftbedingungen in den besonders gesicherten Zellen hatten Gefangene in der JVA-Zeitschrift „Lichtblick“ schon im Jahr 2012 protestiert. Der Trakt auf der Station B1 sei in der Lage, „die härtesten Männer klein zu machen“.
Die Größe eines Haftraumes liegt bei etwa zehn Quadratmetern. Die Gefangenen müssen Anstaltskleidung tragen, persönliche Gegenstände sind verboten. Die Gefangenen dürfen die Zellen nur eine Stunde pro Tag verlassen – während die Gefangenen im normalen Haftalltag zum Essen oder Arbeiten raus aus ihren Zellen dürfen. Die Kommunikation mit anderen Menschen ist deutlich reduziert.
Die Ausstattung ist auf ein Minimum beschränkt: Die Räume verfügen laut Senatsverwaltung für Justiz derzeit über je ein Waschbecken, eine Toilette, eine Matratze, Kameraüberwachung, Licht und eine Rufanlage.
Kritik an der Dauer der Absonderungen
Weil Menschen hier im Schnitt vier Monate sitzen, fragt sich Vollzugsbeirat Olaf Heischel, ob die Verantwortlichen nicht mehr unternehmen könnten, um die Gefangenen schnellstmöglich wieder in normale Zellen zu verlegen.
„Es ist nicht ersichtlich, nach welchen Regeln die Gefangenen wieder in ihre normalen Zellen zurück verlegt werden“, sagt Heischel. „Mehrere Monate Isolation sind mit einem humanen Justizvollzug aus meiner Sicht nicht vereinbar und lassen sich angesichts der Gesundheitsrisiken auch nicht verantworten. Vor allem ist das nicht zu rechtfertigen bei denjenigen, die ohne Gewaltprobleme nach einem Fluchtversuch hier eingesperrt werden.“
Fachstellen warnen vor Risiken langer Isolationshaft
Tatsächlich haben sich in den vergangenen Jahren mehrere Fachstellen besorgt über mögliche Gesundheitsgefahren der Isolationshaft geäußert. 2021 hatte eine Delegation der „Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung“ in Wiesbaden nach einer Begehung der Sicherungsstation in Tegel in einem Brief an die Berliner Justizverwaltung geschrieben: Psychiater oder Psychologen würden den Trakt nur einmal pro Woche besuchen heißt es darin. „Es sollen weiterhin alle Anstrengungen unternommen werden, die Gefangenen engmaschig zu betreuen, um gesundheitliche und psychische Beeinträchtigungen zu vermeiden.“
Noch deutlicher wurde das „Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe“ (CPT), das 2022 in einem Bericht vor „extrem schädigenden Auswirkungen auf die geistige, körperliche und soziale Gesundheit der Betroffenen“ warnte.
„Besonders besorgniserregend“ sei, dass in den damals vom Komitee besuchten Gefängnissen in Celle und Lübeck, Menschen in Einzelhaft an „schweren und anhaltenden psychischen Störungen litten und in der Justizvollzugsanstalt nicht adäquat versorgt werden konnten“. Die Absonderung, so das CPT, sei offensichtlich nicht die passende Antwort auf ihre gesundheitlichen Bedürfnisse und habe wahrscheinlich sogar zu einer Verschlechterung ihres psychischen Zustands beigetragen.
Psychische Krisen und Medikamente
Der frühere Leiter des Bereichs für Psychiatrie und Psychotherapie des Berliner Vollzugskrankenhauses, Norbert Konrad, kritisierte im Gespräch mit rbb|24 zudem die Praxis, dass akut psychisch kranke Inhaftierte in Hafträumen der Station B1 isoliert werden. „Das sollte abgestellt und durch eine angemessene Betreuung ersetzt werden“, so Konrad. Es sei möglich, dass sich der Zustand einiger psychisch kranker Häftlinge verschlechtere.
Vollzugsbeirat Heischel sieht Anzeichen dafür, dass die Isolation Gefangene psychisch stark belastet. „Bei unserer Begehung sind uns in einem Stationsraum Tablettenboxen aufgefallen, die es scheinbar für jeden Gefangenen gab, der dort saß“, erklärt Heischel. Ein Sozialarbeiter, den Heischel bei seiner Begehung im Mai 2023 sprechen konnte, habe ihm gesagt, die Mitarbeitenden würden „allen Gefangenen“ der Sicherungsstation Tabletten zur Beruhigung anbieten. „Wir hatten den Eindruck, die Inhaftieren nehmen Sedativa, um die Isolation besser auszuhalten.“
Die Senatsverwaltung für Justiz betonte auf Nachfrage, dass die Versorgung mit Medikamenten nicht in der Form gehandhabt werde. In Einzelfällen werde Gefangenen, die sich in einem psychischen Ausnahmezustand befinden und im besonders gesicherten Haftraum untergebracht sind, nach sorgfältiger Prüfung eine Bedarfsmedikation angeboten. Konkretere Angaben könne man jedoch dazu nicht machen.
Vollzugsbeirat fordert mehr psychologische Betreuung
Auch der Berliner Vollzugsbeirat wandte sich nach der Begehung 2023 mit einem Brief an die Justizverwaltung und die Anstaltsleitung. Darin fordert er, dass Gefangene „zivilisatorischen Standards entsprechend“ untergebracht und besser psychologisch betreut werden, damit sie den „Bunker“ so schnell wie möglich verlassen können.
„Wir verkennen nicht, dass es gefährliche Gefangene gibt, die Vollzugsbeamte in Notlagen bringen können, die nur durch eine spontane Absonderung zu bewältigen sind“, so Heischel. „Aber längst nicht alle Haftanstalten in Deutschland haben überhaupt die Möglichkeiten, isolierende Einzelhaft für lange Zeit zu vollstrecken. Deshalb gehen wir davon aus, dass so lange Unterbringungen wie in Tegel auch nicht sein müssen.“ Eine abschließende Antwort auf seinen Brief, sagt Heischel, habe er bislang nicht bekommen.
passiert am 14.08.2024