Interview mit einigen Menschen, die zu dem Kollektiv der geräumten Liebig34 gehören
Fast zwei Monate ist es her, dass die Liebig34 geräumt wurde und die Intensität dieser Phase droht hinter dem pandemischen Ausnahmezustand und aktuellen Ereignissen zu verblassen. Daraus entstand die Idee, den Konflikt der letzten Jahre zeitnah und subjektiv zu reflektieren. Auch um möglichst viele der gemachten Erfahrungen nicht der Vergessenheit zu übergeben. Das Interview gibt einzelne Positionen wieder und spricht keineswegs für das ganze Kollektiv. Kommentierungen und weitere Interpretationen sind ausdrücklich erwünscht.
Frage: Einige von uns und ihr sicher auch, haben sich teilweise zwei Jahre auf die Räumung der Liebig34 vorbereitet. Lange waren wir im Ungewissen wann der Tag X eintritt, zwischenzeitlich wurde spekuliert ob Padovicz das wirklich durchziehen kann oder sich die Verantwortlichen in der Politik doch nicht die Finger verbrennen möchten und dann ging es doch ganz schnell. Im Rückblick, wie seht ihr die Reaktion der Szene in Berlin und wie habt ihr für euch die Räumung ausgewertet?
A: Über eine Auswertung der Räumung zu reden, ist für uns immer noch etwas schwer. Wir arbeiten gerade an diesem Prozess, weil wir gründlich und längerfristig eine Auswertung über unseren über zweijährigen Kampf liefern wollen. Über zwei Jahre zu reflektieren und dann damit auch an die Öffentlichkeit zu gehen, ist viel Arbeit. Und gerade weil die Räumung einfach noch nicht so lange her ist und wir erstmal noch mit diesem Trauma und dem ganz einfachen alltäglichen Leben klarkommen müssen, braucht das noch Zeit.
Aber insgesamt können wir sagen, dass uns die Solidarität überwältigt hat. Die Voraussetzungen waren einfach nicht die Besten, gerade in Zeiten einer Pandemie, dem rechten Aufschwung und antifeministischer Formierung ist ein Häuserkampf auch mal untergegangen. Und zu sehen, dass es doch für so viele zu einem wichtigen und gemeinsamen Kampf wurde, war enorm empowerend. Natürlich müssen wir auch klar sagen, dass wir im Vergleich zu der Liebig14 Räumung nicht so viele Leute auf die Straße gebracht haben, aber dazu müssen auch die Umstände und das politische Umfeld betrachtet werden – überall brennt es momentan. Aber wir haben gerade mit unserer klar anarchafeministischen Ausrichtung inhaltliche Standpunkte gesetzt, die den Kampf nochmal anders begleitet haben und verschiedene Diskurse zusammengebracht haben. Das war auch einer der großen Ziele bei der Verteidigung des Hausen, wir wollten Anti-Gentrizierungskämpfe mit militant-feministischen Kämpfen verbinden. Das hat funktioniert. Wir werden in der Zukunft sehen wie und wo Liebig34 weitergewirkt hat.
L.: Ich denke, dass sich die Räumung auf verschiedenen Ebenen bemerkbar macht. Sie war eine Art kollektives Trauma, und damit meine ich nicht nur die Menschen die unmittelbar und physisch Teil dieser Räumung war. Viele Menschen haben sich mit der Idee der Hauses, dieser Art der Gesellschaftskritik und dieser Form des Zusammenlebens identifiziert und haben sich dafür engagiert. Das die Räumung am Ende tatsächlich passiert ist, hat bei diesen Menschen verschiedene Gefühle hinterlassen – Wut, Ohnmacht, Trauer, Entsetzen, Ungläubigkeit. Bei manchen hat die Wut das Bedürfnis freigesetzt, sich zu organisieren und eigene Konzepte zu entwickeln. Die schreiben uns dann, schicken Fotos und solidarische Grüsse. Andere fühlen sich durch die Trauer wie gelähmt und teilen ihren Schmerz auf andere Weisen mit uns. Ich denke auch, das sich die Auswirkungen der Räumung noch zeigen wird. Gerade ist durch Covid 19 und die Winterzeit wie eine Art Moratorium. Die Aufarbeitungsprozesse, politisch sowie emotional, finden nicht ganz so sichtbar auf der Strasse statt, wie es vielleicht sonst passiert wäre. Sie passieren noch mehr im inneren, kleineren Raum. Dennoch gibt es zum Beispiel unsere ehemaligen Nachbar_innen, die auf der einen Seite vor Ort die Stellung halten und auf der anderen Seite den Verlust der Liebig34 stärker erleben müssen. Sie versuchen neben den Resten dieses Hauses durch Aufrufe und Aktionen ein Mahnmal für Gentrifizierung und Verdrängung zu gestalten, und verbünden sich darin. Wir stehen im engen Kontakt mit ihnen und es gibt uns einerseits Kraft, auf der anderen Seite macht es uns auch traurig. Denn sie erzählen uns auch, wie sehr sich nun schon alles verändert. Nachbarinnen erzählen uns beispielsweise, dass sie seit der Räumung meistens die Gardinen geschlossen halten, da sie den Anblick der ehemaligen Liebig34 kaum ertragen können. Das die Leere der Liebig34 ein grosses Loch hinterlässt. Berichten uns von ihrer Wut auf den Hauseigentümer und die Firma, auf die Enttäuschung bzgl. der rotrotgrünen Regierung, den Ärger auf das hohe Polizeiaufgebot vor Ort am Tag und die Sorge vor der Zukunft dieses Kiezes.
Dabei gehen die Generationen von alteingesessen Kiezbewohner_innen bis hin zu jungen Menschen, die durch die Räumung noch mal stärker politisiert wurden.
Ich bin ganz sicher, dass die Räumung noch eine ganze Weile weiterwirken wird – und sich die Auswirkungen auf verschiedene Weisen präsentieren wird. Und zwar so unerwartet und vielfältig, wie auch schon der Kampf um die Liebig34 im vorhinein war.
Frage: Der Vergleich mit der Liebig14 biete sich an. Dieses Haus wurde ja damals im Vorfeld von der Presse als unpolitische Säuferbude diffamiert, mit der sich niemand solidarisieren würde. Dann waren alle von den Ausschreitungen überrascht und es wurden in den Medien heftig skandalisiert. Ihr hingegen wurdet von der Presse oft im Schatten der Rigaer94 behandelt, die Verzerrungen eures Projekts wurden etwas professioneller gesteuert und Anschläge und Krawalle eher kleingeredet. Dabei wollten zum Schluß viele Medien Interviews mit euch. Wie seht ihr die Rolle der Presse in diesem Konflikt? Wie kann die autonome Szene mit der Presse umgehen, bekämpfen oder benutzen? Und habt ihr Ideen, wie wir die Fixierung auf Resonanz in den bürgerlichen Medien beenden können bzw. wie die Nutzung eigener Medien verbreitet werden kann? Das auch vor dem Hintergrund, dass Twitter irgendwann als Infoquelle ausgefallen ist, weil es von Nazis unter #liebig34 vollgespamt wurde?
A.: Wir haben in dem Prozess der letzten Jahre immer wieder dieses Thema neu diskutiert und unsere Haltung überarbeitet. Wir waren aber durchgehend davon überzeugt, dass wir mit der Presse reden würden, aber da von Jounalist*in zu Journalist*in entscheiden. Zwischendurch hatten wir die Meinung, dass jede Art von Berichterstattung wichtig ist und wir immer wieder aufs Neue versucht haben, da durch die Medien einer breiteren Masse zugänglich zu machen, wer wir sind und für was wir stehen. Da war häufig auch mit eingerechnet, dass die Presse uns eben auch nicht ernst nehmen wird und und diffamiert, auch wenn wir persönlich mit denen geredet haben. Das war uns dann einfach irgendwie egal. Das ist auch ein wichtiger Teil der Auswertung – unsere Pressearbeit. Es war auf jeden Fall wichtig den Schritt gewagt zu haben und auch außerhalb der Komfortzone Interviews zu führen – auch wenn nicht viel dabei rausgekommen ist.
L.: Ich finde vor allem beachtlich, das die Berichterstattung über die Liebig34 in der Regel auch immer ziemlich misogyne Züge hatte – in den Erzählungen während und vor allem nach der Räumung war es dabei am deutlichsten. Ich denke, dass die Anfeindungen ganz stark damit zu tun hatte, das es sich um feministisches LGBTIQ Projekt handelte. Das hat schon immer zu Irritationen geführt. Für die bürgerlichen Medien war es oft schwer einzuordnen, was für eine Art Haus wir eigentlich sind, da es nicht so gut in vorherige Schubladen passte. Es war auf der einen Seite zwar radikal in seinem Auftreten, Protestweisen und Forderungen, aber gleichzeitig auch sehr nah an Themen dran, mit welchen sich auch der kritische Mainstream der Gesellschaft beschäftigt: mehr Schutzräume für Frauen, Trans*Menschen und Queers, Wohnungslosigkeit, Prekarisierung von marginalisierten Menschen, Gentrifizierung, steigende Mieten, die Veränderung dieser Stadt in den letzten Jahren. Das hat die Medien in ihrer Berichterstattung schnell überfordert. Und oft haben sie es sich dann einfach gemacht, und es bei halbherzigen Recherchen und dem „linken Chaos“ – Image belassen. Wir haben in all den Jahren wirklich viel undifferenzierten Journalismus erlebt. Manchmal haben wir damit gespielt, wenn zum Beispiel wiederholt das Bild der „hysterischen Frauen“ aufgemacht wurde, was ja eine relativ bekannte Diffamierungstrategie gegen feministische Gruppen ist. Der erste Gerichtsprozess beispielsweise war ja ein einziges Theaterstück – es war ein Schauprozess, den wir als Schauprozess entlarvt haben, durch medienwirksame Bilder und lauten Protest.
Trotzdem kann man natürlich nur bedingt Einfluss auf die eigene Darstellung in den Medien haben, vor allem in so einer Ausnahmesituation wie einer (bevorstehenden) Räumung. Wichtig war uns vor allem, das wir in unserem Handeln und Auftreten authentisch bleiben. Das macht es manchmal schwierig die richtige mediale Plattform zu finden.
Frage: Könnt ihr was dazu sagen, wie sich das lange Warten auf die Räumung emotional auf euch ausgewirkt hat?
A.: Es ist komisch den Kampf als „Warten auf die Räumung“ zu sehen. So hat es sich eigentlich nie angefühlt (außer vielleicht in den letzten drei Wochen). Aber wir haben das ja immer als etwas Größeres verstanden, in dem wir die Öffentlichkeit, die wir bekommen haben, dazu nutzen wollten unsere Inhalte zu diskutieren und weiterzubringen. Die tatsächliche Räumung hat, bei mir persönlich, selten eine tatsächlich emotionale Rolle gespielt. Es waren viele Etappen auf dem Weg dahin, die immer wieder schwierig, aufregend und/oder schön waren. Gerichtsprozesse, Festnahmen, Events, Feste, Diskussionsrunden, Vernetzung. Diese Jahre waren ein Strudel der Gefühle und jetzt ist da irgendwie erstmal ein Loch.
L.: Ich denke auch, dass es tatsächlich kein Warten war. Dafür war das Aktions- und Stresslevel einfach zu hoch. die ganze Zeit. Wir haben ja unsere ganze Energie und Kapazitäten in diesen Ort gesteckt. Wir wussten natürlich das es sein kann, das irgendwann die Räumung kommt. Das wir nicht wussten wann und wie, war tatsächlich Kräftezehrend. Vorbereiten kann man sich emotional kaum auf so eine Situation. Die verschiedenen Gefühle die damit einhergehen waren ziemlich überwältigend und der Schmerz über den Verlust und die Bilder der Räumung werden auch noch eine Weile bleiben. es ist wie ein Schockzustand, der sich sehr, sehr lange zieht.
Frage: Gibt es etwas was ihr vermisst habt an Formen der Unterstützung während der heißen Phase bzw. habt ihr Kritik an der Mobilisierung der autonomen und linksradikalen Szene in Berlin?
A.: Da gibt es zwei Dinge. Was immer wieder kritisiert worden ist, ist der praktische Feminismus aus vor allem der autonomen und linksradikalen Szene. Es ist ja schon immer sehr problematisch und müßig gewesen, dass Feminismus in diesen Kreisen nicht so ein großes ernstzunehmendes Thema ist. Es wird immer wieder gesagt: Ja klar – Patriarchat ist scheiße. Aber konkrete Konsequenzen folgen zu lassen, war immer schwierig. Das war auch in unserem Struggle ein Thema. Da wurden auf militant auftretenden Demos die feministischen Sprüche von männlich gelesenen Stimmen übertönt, um ACAB zu rufen. ACAB zu rufen ist ja schön und gut, aber ruf doch verdammt nochmal auch den feministischen Spruch mit! Über Emotionen reden, Reproarbeit bei Aktionen umverteilen, sich füreinander Sorgen – das sind alles feministische Tools in einer autonomen Praxis. Das wäre schön, wenn das mehr zu Thema gemacht wird. Uns hat das auch gefehlt.
Ich glaube, dass uns auch feministische Solidarität gefehlt hat. Es gab und gibt unglaublich viele FLINTA’s, die aktiv waren und auch feministische Gruppen, wie der International Women’s Space und WTF haben ihre Solidarität gezeigt. Leider haben viele feministische Gruppen sich nicht eindeutiger solidarisch gezeigt, gerade weil es ja so viele davon, auch in Berlin gibt. Das gab uns schon auch ein bisschen das Gefühl, dass wir stark als Nischending gesehen wurden, obwohl die L34 Kämpfe verbunden hat und eben auch einen klaren intersektionalen Feminismus gelebt hat.
L.: es gibt in Deutschland auch einfach nicht so viel Vorbilder was die Verbindung von feministischen Kämpfen und Häuserkampf angeht – wir hatten oft das Gefühl das Rad neu erfinden zu müssen um unsere Standpunkte und Vorgehensweisen in den einzelnen Gruppierungen zu etablieren. Oft kochen in Berlin auch einfach alle ihr eigenes Süppchen, sind gespalten oder mit sich selbst beschäftigt. Aber wo wir uns an manchen Stellen offensichtlichere Solidaritätsbekunden gewünscht hätten, kam an der anderen Stellen völlig überraschend Unterstützung. Und wir haben auch viel Zuspruch und Solidarität aus anderen Städten und anderen Ländern bekommen.
Frage: Zum ersten Teil eurer Antwort – ja stimmt. Aber viele Menschen haben den Kurs der Liebig34 auch oft vor allem als Abgrenzung zu anderen Strukturen wahrgenommen. Hätten nicht einige, wenn auch kompliziertere, Versuche unternommen werden können, breitere Bündnisse zu etablieren um den politischen und materiellen Preis für die Räumung in die Höhe zu treiben?
Zum zweiten Aspekt eurer Antwort: was Solidarität betrifft, nicht nur die feministische, vielleicht ist es einfacher sich mit einem Konflikt zu solidarisieren, der soweit entfernt ist, dass mensch nicht eingreifen muss? Beispielsweise würden sich alle mit der feministischen Perspektive der kurdischen Bewegung solidarisieren – was einfacher ist weil es schwerer praktisch umzusetzen ist. Sich mit euch zu solidarisieren, entwickelt leicht die Erwartung sich dann auch die Hände schmutzig machen zu müssen. Ist das so? Und wie bewertet ihr im Rückblick diese Erklärung von Prominenten für euren Erhalt? Bedeutet Solidarität auch etwas zu Riskieren?
A.: Viele Fragen auf einmal. Ich würde nicht sagen, dass der Kampf um die Liebig34 vor allem aus Abgrenzung zu anderen Strukturen bestand. Bündnisse, wie die Interkiezionale und regelmäßig stattfindende FLINTA-VV’s sind aus der Arbeit des Projektes entstanden. Es wurde auch immer wieder diskutiert, dass wir uns auch an breitere Bündnisse, z.B. Mietenwahnsinn oder anderen feministischen Kämpfen beteiligen – aber die Kapazitäten waren unglaublich knapp. Das Leben in der Liebig34 war ein permanenter Ausnahmezustand, bei dem schon allein Alltägliches sehr viel Arbeit bedeutet hat. Mit einer Mischung aus Angst vor Repression und dem Wissen, dass wir auch von Sicherheitsbehörden in den Fokus gesetzt worden sind, war es auch nicht einfach neue Leute ins Kollektiv zu bekommen, die diesen Ausnahmezustand mittragen. Wir haben vieles, was wir machen wollten, einfach nicht geschafft.
Die Analyse z.B. dass eine Solidarität mit der kurdischen Bewegung einfacher ist aus einer feministischen Perspektive, weil das weit weg ist – puh, weiß ich nicht, ob das so ist. Die Kämpfe haben auch andere Dimensionen und ich würde auch sagen, dass z.B. aus der feministischen Bewegung auch Solidarität für die kurdische Bewegung fehlt. Da sind einfach auch viele Grabenkämpfe und fehlende gemeinsame Analysen, z.B. was die Haltung zu Identitätspolitik, Antikapitalismus und/oder Internationalismus geht. Es wird nichts Gemeinsamen ausgehandelt, manchmal kommt mir Feminismus halt einfach nur als Lifestyle vor. Es wird sich an Events entlang gehangelt, wie der Fundimarsch, aber es wird nicht gemeinsam überlegt, was setzen wir in einen Fokus. Und wenn da Differenzen sind, muss eben auch darüber gesprochen werden und es ausgehandelt werden. Wir brauchen Diskussionen und eben auch Konflikte, um einen gemeinsamen Kampf zu entwickeln. Aber dem wird häufig ausgewichen und sich nur an Organisatorischen abgearbeitet. Das ist aber nicht nur ein Problem in feministischen Kreisen.
L.: Dem würde ich zustimmen. Aber wichtig ist auch zu bedenken: es gibt nicht DEN Feminismus. Alleine die verschiedenen Ansätze in dieser Stadt der verschiedenen Zusammensetzungen macht die Dimensionen der Lebensrealitäten deutlich, die sich in den unterschiedlich gelebten und diskutierten Feminismen wiederspiegeln. Da sind Widersprüche, die wir lernen müssen auszuhalten bzw. zu bearbeiten und oft wird es sich da zu einfach gemacht. Diese Widersprüche waren allerdings an einem so von Diversität geprägten Ort wie der Liebig34 an der Tagesordnung. Deswegen denke ich auch, dass dieses Haus für einen intersektionalen Zugang zum Feminismus eine gute Plattform geboten hat – das wurde eben teilweise genutzt und teilweise leider nicht. Und wie vorher schon gesagt wurde, wir mussten bei unseren Bündnissen auch immer Prioritäten setzen. Aus persönlichen und zeitlichen Kapazitäten, aber auch weil wir den Anspruch hatten und nicht bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen- Und manchmal passt man dann eben nicht mit allen Gruppen zusammen.
Frage: Was bedeutet der Verlust des Hauses für die feministische Perspektive in dieser Stadt?
A.: Auf jeden Fall ist es ein großer Verlust in der feministischen Praxis. Ein Ort, an dem Veranstaltungen stattgefunden haben, an dem Feminist*innen gewohnt haben, an dem international Feminismen diskutiert werden konnten. Ganz praktisch ist da jetzt einfach ein Loch. Außerdem haben wir als L34 ein eindeutiges Profil gezeigt, das nicht so häufig eine breite Plattform bekommen hat. Wir führten einen antipatriachalen Kampf, der sich nicht dem Kapitalismus oder dem Staat angebiedert hat. Häufiger konnten wir die entgegengesetzte Entwicklung bei feministischen Kämpfen erkennen. Als Anarchist*innen und Feminist*innen haben wir Anarchafeminismus wiederbelebt, der immer öfter in Vergessenheit geriet.
L.: Ich denke, dass es auf jeden Fall möglich ist, die Ideen weiterzuleben, die in und mit der Liebig34 entwickelt wurden. Allerdings braucht es dafür Räume. Und leider wächst für jeden Raum der genommen wurde nicht einfach so ein neuer nach. Deswegen ist alleine auf der Ebene des faktischen Ortes eine Lücke entstanden. Gleichzeitig empfinde ich die Räumung an sich, die Art wie sie vollzogen wurde und die vielen diffamierenden Berichterstattungen danach ziemlich gewaltvoll. Und diese Gewalterfahrung hat auf jeden Fall Auswirkungen auf die feministische Perspektive. Es schafft zwar eine Wut, die auch Kräfte frei setzen kann. Aber es hat auch Hoffnung genommen und Wunden hinterlassen. Ich denke, wenn es keine Räumung gegeben hätte, hätte es positivistischeren Ausblick auf das feministische Wirken in dieser Stadt gegeben. Die Räumung und der Umgang der Medien und der Stadt damit hat das Selbstbild vieler Feminist*innen verändert und deutlich gemacht, das feministische und queere Räume trotz dem bunten Berliner Image immer noch sehr vulnerabel sind.
Frage: Jetzt ist es ja in Berlin nicht so einfach neue Orte zu besetzen. Andererseits, wenn es einen Bedarf für eure Praxis gibt, lassen sich Orte auch anders aneignen. Viele Hausprojekte dümpeln nur als Wohnnischen vor sich hin, andere warten vielleicht neuen Input. Könnte das eine Forderung an die existierenden Strukturen in der Stadt werden, gemeinsam einen Weg zu finden, der eurem Ansatz einen neuen Ort gibt?
A.: Wir müssen erstmal evaluieren, was unser Ansatz überhaupt ist. FLINTA-Organisierung reicht ja nicht aus um einen Kampf zu definieren. Wir haben im Laufe des Kampfes ja Standpunkte gebracht. Aber wir müssen auch ehrlich sein, dass dies unter der Prämisse der bevorstehenden Räumung geschah und das sich auch einfach darauf ausgerichtet hat diese Räumung zu verhindern und dabei klar konfrontativ mit Staat und Patriarchat zu sein und eben so eine Art von Häuserkampf zu führen. Jetzt ist das Haus weg. Das heißt der Häuserkampf ist rein objektiv auch beendet – außer wir definieren diesen neu. Wir müssen gemeinsam analysieren, was wir uns von der Zukunft wünschen und wo wir unseren gemeinsamen Kampf in Zukunft sehen. Brauchen wir einen Raum oder können wir auch eine Gefahr für den Staat bilden, wenn wir zerstreut sind? Es sind Fragen, die sich eigentlich schon in der Vergangenheit gestellt haben, aber die Zeit hatte gefehlt inne zu halten und zu überlegen.
L.: Ich weiss auch nicht ob die Stadt die Bereitschaft hätte, einfach eine neue Liebig34 entstehen zu lassen. In der Regel wollen sich auf dem Gebiet wenige die Finger schmutzig machen.
Und so sehr ich mir wünschen würde diese gelebte Utopie der Liebig34 wieder an einem anderen weiter existieren zu wissen, damit mehr Menschen die Chance haben, diese Erfahrung zu machen. Ich würde mir auch wünschen, das wir es schaffen, die Idee der Liebig34 weiter zu denken, über die Wände dieses geräumten Hauses hinaus. Aber das ist ein Prozess, der Zeit, Raum und Heilung braucht.
Frage: Eine Gefahr für den Staat bilden – das wird wird vermutlich auch einen quantitativen Sprung benötigen. Leider ist ja im Frühjahr der Kongress Militanter Feminismus wegen Corona abgesagt worden. Glaubt ihr das da nochmal was kommen wird in die Richtung? In diesem Jahr 2020 sind so viele Sachen passiert, die einer Auswertung bedürfen und die auch Ansatzpunkte für uns hier liefern könnten. Seht ihr das auch so, dass zum Beispiel die feministische Organisierung und Mobilisierung, wie sie aktuell in Mexiko oder Polen passiert, etwas für die Szene in Berlin bedeuten kann? Oder ist in Deutschland die Gewalt des sozialen Friedens schon so perfektioniert, dass sich solche Formen der Selbstverteidigung nicht etablieren können?
A.: Ich habe gehört, dass es auf jeden Fall Bestrebungen gibt den Kongress 2021 stattfinden zu lassen Der wird nach den letzte Entwicklungen wegen der Pandemie nicht so stattfinden kann wie geplant. Aber es werden neue Wege gefunden werden. Vielleicht ein größeres Event im Sommer und draußen oder eben Hygienekonzepte. Wir werden sehen.
International können wir viel lernen von feministischen Kämpfen. Momentan sind wir allerdings wegen der Pandemie in einer besonderen Situation, die auch eine Chance bilden kann. Gerade feministische Inhalte sind da massentauglicher geworden und immer mehr Menschen machen diese Umstände wütend, die Frage nach Verteilung von Reproduktionsarbeit, das Thema häusliche Gewalt und die ansteigenden Zahlen, das Thema Carearbeit, die nun plötzlich beklatscht werden, aber unter unterdrückenden Umständen arbeiten müssen. Das alles kann und muss eine breitere Masse mobilisieren. Inmitten all dessen ist ja auch unser Haus geräumt werden, das diesen Entwicklungen etwas entgegengesetzt hätte.
Frage: Werdet ihr als Kollektiv in irgendeiner Form weiter bestehen?
A.: Das Liebig34-Kollektiv besteht noch und ist weiterhin aktiv. Wir stehen in Diskussionen, wie es ohne Raum weitergehen kann und welche Form und Struktur unser Plenum haben kann.
L.: Nach der Räumung fühlt sich manchmal an wie wie vor der Räumung. es gibt immer noch so viel zu tun und zu besprechen… Liebig lebt ist nicht einfach nur ein Phrase. es steht immer noch viel dahinter.