Auffällig unauffällig: Bundesservice Telekommunikation als Geheimdienst-Tarnorganisation

Treptow – Eine Berliner Adresse, ein Briefkastenschild, aber niemand ist erreichbar und niemand zuständig für den „Bundesservice Telekommunikation“ (BST). Nicht mal der Bund selbt kennt diese mysteriöse Bundesbehörde! Ist das bisher unbekannte Amt Teil des deutschen Geheimdienstes? B.Z. AM SONNTAG auf Spurensuche…

Die Entdeckung: Auf der Internetseite www.service.bund.de sind alle offiziellen Bundesbehörden gelistet – darunter bis zum 5. Dezember 2021 auch der Bundesservice Telekommunikation. Darüber hieß es: „Die Behörde ist Dienstleister des Bundes. Sie nimmt verschiedene Aufgaben ausschließlich für die Bundesministerien und ihre Geschäftsbereiche wahr […]“ Und weiter: „Die Kommunikations- und Informationstechnik ist Motor der Modernisierung. Die BST steht für eine weitere Professionalisierung und Standardisierung innerhalb der Bundesverwaltung.“
Aber: Unter der angegebenen Telefonnummer hebt niemand ab und elektronische Porst an die Mailadresse der Spezialisten für Kommunikation bleibt unbeantwortet. Nach einer Anfrage der Berliner IT-Expertin Lilith Wittmann, was die Behörde überhaupt tut, ist das BST plötzlich online gar nicht mehr auffindbar.

Der Standort: Unweit des Treptower Parks, zwischen Autowerkstätten und Schulen, sitzt der Bundesservice Telekommunikation in einem unscheinbaren Bürogebäude n der Heidelberger Straße 63-64 in Treptow. Laut Briefkasten hat hier auch das Bundesinnenministerium Büros. Ein offizielles Behördenschild gibt es aber nicht.

Die Fakten: Bei einer Bundespressekonferenz vor wenigen Tagen behauptete Marek Wede vom Bundesinnenministerium. „Im Geschäftsbereich des MBI gibt und gab es keine Behörde mit dem Namen Bundesservice Telekommunikation.“

Die Linken-Abgeordnete Heidi Reichinnek wollte im Dezember wissen, die viele Gelden dem BST zugewiesen worden seien. Staatssekretär Hans Georg-Engelke (58) antwortete: „Einem Bundesservie Telekommunikation sind in den letzten fünf Jahren keine Gelder zugewiesen worden.“ Kurios, denn mindestens Miete und Strom müssen ja von irgendwelchen Steuergeldern finanziert werden!

Auf B.Z. AM SONNTAG-Anfrage teilten jetzt auch das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung, das Finanz-, das Bildungs-, das Justiz-, das Verkehrs- und das Verteidigungsministerium mit, dass der Bundesservice Telekommunikation nicht ihrem Bereich angehöre. Die Antworten der anderen sieben Bundesministerien stehen noch aus.

Der Verdacht: Beim Bundesservice Telekommunikation könnte es sich um eine sogenannte Phantombehörde handeln! Solche werden immer wieder von deutschen Geheimdiensten (Verfassungsschutz, BND und Militärischer Abschirmdienst) eingesetzt. Aber: Der Verfassungsschutzt ist Teil des Innenminsteriums, laut Wede also raus. Der Militärische Abschirmdienst gehört zum Verteidigungsministerium, ist laut BZ-Anfrage also auch nicht zustänidg.

Und: Regierungssprecher Steffen Hebestreit beteurerte ebenfalls: „Beim Bundeskanzleramt gibt es eine solche Behörde nicht.“ Der Bundesnachrichtendienst untersteht direkt dem Bundeskanzleramt. Hebestreit versprach allerdings: „Aber ich werde da gerne noch mal nachfragen.“

Nicht die erste aufgeflogene Scheinbehörde:
Einen ähnlichen Fall gab es bereits 2016: Die Einwohner von Husum (SH) vermuteten schon lange, dass die „Prüfstelle Husum der Bundesstelle für Fernmeldetechnik“ (auch „Horch und Guck“ genannt) einen Außenstelle des Bundesnachrichtendienstes sei. Ein Berliner Jurist wollte die Gerüchte um seinen Geburtsort Husum klären. In einem Brief an den BND fragte er, ob die Prüfstelle ein Verwaltungszweig des BND sei. Und tatsächlich: Der BND bestätigte seinen Verdacht.
Im Mai 2014 deckte der BND einige seiner Tarnorganisationen sogar selbst auf – unter anderem die „Hauptstelle für Befragungswesen“ und das „Amt für Schadensabwicklung“ in Berlin.

 


 

INTERVIEW Geheimdienst aufgeflogen?
„Mit der Behörde stimmt etwas nicht“

Eine Behörde ohne Budget, Erreichbarkeit und konkrete Zuständigkeiten? So etwas gibt es in Deutschland offenbar. Eine IT-Sicherheitsexpertin hat sie entdeckt – und vermutet einen Nachrichtendienst dahinter.

Sie hat Sicherheitslücken in der Luca-App ausfindig gemacht und Schwachstellen in der Wahlkampf-App der CDU offengelegt. Nun ist die IT-Sicherheitsexpertin und Aktivistin Lilith Wittmann erneut auf brisantes Material gestoßen: Hinter einer bis dato unbekannten Bundesbehörde vermutet sie einen deutschen Nachrichtendienst. t-online hat mit ihr über ihre Recherche gesprochen.

t-online: Frau Wittmann, was genau tun Sie eigentlich?

Lilith Wittmann: Ich beschäftige mich viel mit der Digitalisierung der Verwaltung. Dabei geht es mir aber nie nur um die Digitalisierung an sich, sondern viel mehr um den gesellschaftlichen Wandel hin zu einem offenen und transparenten Staat. Und deswegen schaue ich mir einerseits Software an und erstelle Sicherheitsanalysen, aber analysiere auch die Strukturen, in denen Software eingesetzt wird.

Und bei dieser Arbeit haben Sie zuletzt eine Entdeckung gemacht: Sie glauben eine Tarnbehörde eines deutschen Geheimdienstes identifiziert zu haben?

Ich habe mir im Dezember die gesamte deutsche Verwaltung angeschaut. Ich wollte alle Bundesbehörden katalogisieren und festhalten, was sie tun. Das ist offenbar ein etwas neuer Ansatz, sollte aber eigentlich eher Grundlagenarbeit sein, um sichtbar zu machen, wie Verwaltung funktioniert – wer für was zuständig ist und wer mit wem kommuniziert. Dabei tauchte dann diese Behörde auf: „Bundesservice Telekommunikation“. Und mit der Behörde stimmt etwas nicht.

Was hat Sie stutzig gemacht?

Ich müsste irgendwann einmal von ihr gehört haben. Das ist nicht nur mir eine völlig unbekannte Behörde. Niemand aus dem Bereich kennt sie. Sie ist nirgends sonst gelistet. Auch aus der Verwaltung ließ sich nichts in Erfahrung bringen. Das ist enorm ungewöhnlich. Unter normalen Umständen lassen sich solche Wissenslücken leicht mithilfe anderer Fachleute schließen. Hier nicht.

Aber es muss doch irgendwelche Informationen über eine öffentliche Behörde geben?

Das wäre anzunehmen – wenn es sich um eine normale Behörde handelt, die offenbar seit mehr als zehn Jahren existiert. Aus der Beschreibung der Behörde lässt sich aber auf keine konkrete Aufgabe schließen. Fax- und Telefonnummer sind vertauscht. Das E-Mail-Postfach existierte bis vor Kurzem nicht. Der „Bundesservice Telekommunikation“ ist faktisch nicht zu erreichen. Am Gebäude gibt es Klingelschild und Briefkasten, aber kein offizielles Amtsschild.

Was war also Ihr nächster Schritt?

Eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Ich habe mich für die Kommunikation zwischen Bundesverwaltungsamt und diesem „Bundesservice Telekommunikation“ interessiert. Und da wurde es richtig verdächtig: Die erste Antwort darauf ging per E-Mail auch der Geheimschutzbeauftragten des Bundesverwaltungsamts zu. Parallel zur förmlichen Antwort etwas später – das Ergebnis war erwartbar nichtssagend – wurde der Eintrag in der Verwaltungsliste stillschweigend gelöscht.

Das ist zumindest interessant. Gibt es die Behörde vielleicht nicht mehr?

Faktisch scheint sie nie existiert zu haben. Eine parlamentarische Anfrage der Linken hat kurze Zeit später nämlich ergeben: Dem „Bundesservice Telekommunikation“ sind in all den Jahren seines angeblichen Bestehens noch nie Gelder zugewiesen worden. Es wäre eine Behörde völlig ohne Budget, sie könnte nicht mal Miete und Telefonrechnung bezahlen. Damit steht fest: Es ist keine Behörde der regulären Bundesverwaltung. Das kann ich ausschließen.

Aber gibt es konkrete Hinweise auf einen Nachrichtendienst hinter der Behörde?

Das alles erinnert stark an frühere Tarndienststellen des Bundesnachrichtendienstes, zum Beispiel an die „Bundesstelle für Fernmeldestatistik“. Hier würde ich allerdings eher auf den Verfassungsschutz tippen. Einen konkreten Hinweis darauf gibt derjenige, der die parlamentarische Frage beantwortet hat.

Der betreffende Staatssekretär war bis Ende des Jahres im Innenministerium unter anderem zuständig für Verfassungsschutz und das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum (GTAZ). Er ist auch selbst ehemaliger Verfassungsschützer.

Nehmen wir an, es steckt ein Nachrichtendienst dahinter? Wofür werden solche Tarnbehörden verwendet?

Beispielsweise zur Legendenbildung in der Informationsbeschaffung. Es klingt natürlich unverdächtig, wenn man sich als Mitarbeiter des „Bundesservice Telekommunikation“ vorstellt. So etwas gab es zumindest beim Bundesnachrichtendienst früher häufig. Der Dienst hatte 2013 angekündigt, die Tarndienststellen zu schließen – kurz darauf flog eine weitere auf. Also gehe ich davon aus, dass es so etwas weiterhin gibt. Von anderen Geheimdiensten war das allerdings bis dato nicht weitläufig bekannt.

Was finden Sie problematisch daran?

Ich halte Geheimdienste per Definition für problematisch. Sie agieren geheim und entziehen sich damit aus meiner Sicht demokratischer Kontrolle. Das gilt natürlich in gleicher Weise für solche getarnten Dienststellen.

 


 

Anschrift: Heidelberger Straße 63-64, 12435 Berlin

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passiert am 23.01.2021