Fight the Players, Hate the Game! Stellungnahme des Bündnis Deutschland ist Brandstifter zum Ukraine-Krieg
Jetzt ist es also passiert. Im Morgengrauen des 24. Februar 2022 begann eine russische Militäroffensive gegen die Ukraine, die sich nicht nur auf die Donbassregion beschränkt, sondern ein Generalangriff auf dem gesamten ukrainischen Hoheitsgebiet ist.
Durch die Entscheidung Russlands, die militärische Option in diesem Konflikt zu ziehen, ist ein neuer Höhepunkt einer Eskalationsspirale erreicht, an der mehr Verantwortliche mitgeschraubt haben, als im derzeitigen öffentlichen Diskurs hierzulande vermittelt wird. Wir wollen nicht falsch verstanden werden: Auch wir reihen uns ein in das Schalmeienkonzert derjenigen, die Entscheidung der Russischen Regierung zum Angriff zu blasen, zum Kotzen finden. Denn Krieg ist immer scheiße!! Aber auch die brutale Spitze eines Eisbergs, der auf einer breiten Basis ökonomischer und machtpolitischer Interessen schwimmt und letzten Endes immer sehr viele Menschen an die Grenzen ihrer nackten Existenz – wenn nicht sogar darüber hinaus – bringt, die in der Oper der internationalen Politik anscheinend dazu verdammt sind, nicht mehr als Statist*innenrollen einzunehmen.
Allerdings ist für uns auch klar: Es ist nicht nur Putins Krieg. Klar ist Putin eine Arschgeige im Orchestergraben des internationalen Politikgeschehens. Er ist dabei aber bei weitem nicht alleine.
Immer wieder wurde vom Truppenaufmarsch an der russisch-ukrainischen Grenze berichtet, von russischer Seite noch als Manöver dargestellt und letztendlich zurecht als Kriegsvorbereitung kritisiert. Was aber bis jetzt im medialen Diskurs unterschlagen wird, ist, dass Krieg üben immer auch Teil von Krieg führen ist.
Und hier sind die sich gerade echauffierenden Nato-Paktierenden alles andere als unbeschriebenen Blätter. Im Gegenteil: Sie haben fleißig an der Eskalationsspirale mitgedreht. Stichworte hier: Nato-Osterweiterung jetzt auch Schweden, Finnland, Defender 2020 usw. auf die wie hier nicht in Gänze eingehen werden.
In der jetzigen Situation sind Völkerrechstdiskussionen müßig und werden am Ende sowieso von denjenigen entschieden ,die militärisch als Sieger aus dem Konflikt hervorgehen. Fest steht für uns aber, dass es dokumentierte Aus- und Zusagen gab, die, wenn mensch sie ernst nimmt, den Schluss zulassen, dass sie von Nato-Seite wissentlich gebrochen wurden und so ein Bedrohungsszenario für die Reste der ehemaligen Staaten des Warschauer Pakt haben entstehen lassen, die weiterhin unter der Ägide Russlands geblieben sind.
Aber bei gebrochenen Versprechen blieb es nicht. Die Nato-Diplomatie wurde in den letzten Jahren zunehmend auch mit kriegerischen Mitteln fortgesetzt, wenn auch noch als Trockenübungen in Manöverform. Zu nennen sind hier die als Dauermanöver verniedlichten Truppenstationierungen im Rahmen der Enhanced Forward Presence im Baltikum ,zuletzt noch auf die Spitze getrieben durch die Ankündigung der Bundeswehr, eigens dafür eine Kaserne in Litauen bauen zu wollen. Und selbstverständlich die Defender-Manöver, eine seit 2020 jährlich stattfindende Aufmarschübung mit Zielrichtung Nato-Ostflanke unter Beteiligung mehrerer zehntausend Soldat*innen. Auch wenn die Corona-Pandemie bislang verhindert hat, dass diese Kriegsübungen ihre volle Größe erreichten, dürfte das Signal in Richtung Russland klar und deutlich gewesen sein. Nebenbei sei erwähnt, dass die von der Nato ach so kritisierte einseitige Anerkennung abtrünniger Gebiete eines souveränen Staates durch Russland ihr historisches Vorbild 1999 in der westlichen Anerkennung des Kosovo inkl. deren kriegerischen Durchsetzung durch die Nato findet.
Was wir damit sagen wollen ist, dass an der jetzigen Situation mehrere Köch*innen beteiligt sind, die die Suppe bis zum Krieg in der Ukraine zum Überkochen gebracht haben. Und das sollte auch im Hinterkopf bleiben, wenn wir jetzt nach Adressat*innen unserer Kritik suchen.
Die Zeiten einfacher Freund-Feind-Schemata sind lange vorbei. Vielmehr scheint es so zu sein, dass sich die Figuren im internationalen Machtgefüge neu positionieren und sortieren. Und zu welchen Konsequenzen das führen kann, bekommen gerade die Menschen in der Ukraine zu spüren.
Vor allem, weil es noch völlig unklar ist, welche Folgen der Ukraine-Krieg noch haben wird und weil uns damit klar und deutlich vor Augen geführt wird, dass derzeit Krieg führen als Mittel zur Durchsetzung eigener Interessen als offene Karte auf dem Tisch liegt. Es ist an uns zu zeigen, dass wir dieses Spiel nicht mitspielen werden.
Dabei sollten wir aber nicht bei der allgemeinen Forderung nach Frieden stehenbleiben.
Dass die Herrschenden bei aller gespielten Zurückhaltung dazu bereit sind, an der Eskalationsspirale weiterzudrehen, wurde schnell an den Reaktionen der Nato-Staaten klar. Diese reicht von eher symbolischen Beteiligungen bis zur Inmarschsetzung größerer Truppenverbände.
Auch in der BRD stehen die Zeichen auf Krieg mit der ersten größeren Mobilmachung des Militärs seit Ende des 2. Weltkriegs. Derzeit bereitet sich die Bundeswehr auf den Fall vor, dass die Nato beschließt, ihre schnellen Eingreiftruppen gen Osten zu verlegen. Diese bestehen immerhin aus 50.000 Soldat*innen, davon 13.700 von der Bundeswehr.
Flankiert wird das Ganze noch von der Ankündigung der Bundesregierung, das sog. 2% Ziel der Nato (jährlich 74 Mrd.) zu erfüllen sowie die Bundeswehr mit einem „Sondervermögen“ von 100 Mrd., den Wehretat massiv zu erhöhen, um die angeblich marode Bundeswehr kriegsfähig aufzurüsten. Darüber hinaus hat Deutschland Waffen an die Ukraine als Kriegspartei geliefert. Damit ist die BRD indirekt am Krieg beteiligt und die sich überschlagenden Meldungen lassen befürchten, dass es dabei nicht bleiben wird.
Neben den konkreten Maßnahmen stehen die Zeichen auch medial auf Sturm. So versteigt sich der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger auf Twitter zu der rhetorischen Frage, ob Putin denn nicht klar sei, dass er mit seinem Überfall auf die Ukraine die Nato-Russland-Grundakte gekündigt habe – dort ist unter anderem festgehalten, dass keine Nato-Truppen entlang der Grenzen zum russischen Einflussgebiet dauerhaft stationiert werden dürfen – und damit jetzt auch die Möglichkeit für die Nato bestünde, nukleares Arsenal dort aufzufahren. Damit ist vor allem gesagt, dass die implizite Drohung Putins, bei einem aktiven Eingreifen von Nato-Truppen, die nukleare Option zu ziehen, auf Gegenseitigkeit beruht. Den Vogel hat aber die FAZ – das Zentralorgan der parlamentarischen politischen Klasse Deutschlands – abgeschossen, als sie am ersten Tag des Krieges einen Kommentar mit der Überschrift „Putins Zivilisationsbruch“ veröffentlichte. Die Vokabel „Zivilisationsbruch“ wird eigentlich verwendet, um ein Wort dafür zu haben, die Greuel des Holocaust zumindest ansatzweise beschreiben zu können. Diese Analogiebildung des deutschen politischen Establishments zu Kriegszeiten ist nicht neu. 1999 zog die Bundeswehr in den Krieg gegen Jugoslawien mit Josef Fischers verlogenem Halali, ein neues Auschwitz verhindern zu wollen. Wenn diese Vokabel wieder aus der Trickkiste der deutschen Kriegs-PR geholt wird, steht das schlimmste zu befürchten.
Internationale Solidarität!
Krieg bedeutet auch immer Flucht und Vertreibung. Die aktuelle Lage zeigt wieder die hässliche Fratze des nützlichkeitsrassistischen Europas. Während ukrainische Geflüchtete die uneingeschränkte Solidarität und Unterstützung der Gesamtgesellschaft erhalten, erfrieren weiterhin Menschen in den Wäldern zwischen den Grenzen Belarus/Ukraine und Polen auf der Flucht aus Afghanistan. Seit 2001 sind 2,7 Mio. Afghan*innen ins Ausland geflohen. Gleiches gilt für Flüchtende aus weiteren Kriegs- und Krisengebieten. In Deutschland droht ihnen weiterhin die Abschiebung. Die selektive bundesdeutsche Flüchtlingspolitik ist menschenverachtend. Diese verbrecherische Politik wird von derselben Bundesregierung fortgeführt, die aktuell Ukrainer*innen für ihre Zwecke instrumentalisiert. Selten hat sich eine Klassifizierung in „gute“ und „schlechte“ Geflüchtete so offen und für alle ersichtlich gezeigt wie in diesem Krieg. Diese Doppelmoral gilt es deutlich zu machen.
Was tun?!
Der derzeitige Angriffskrieg hat dramatische Konsequenzen – vor allem für die Menschen in der Ukraine, aber auch absehbar weltweit. Wir verstehen unter Antimilitarismus, Perspektiven einzunehmen, die diese Konsequenzen nicht unter den Tisch fallen lassen.
Auf den Ukraine-Krieg angewendet bedeutet das, die Antikriegsbewegung in Russland und Belarus dort zu unterstützen, wo es noch geht; hier wie dort die ganz praktische Sabotage der Kriegsvorbereitung verfolgen; Strukturen aufbauen, die das Desertieren ins Ausland oder dem Abtauchen im Inland ermöglichen (denn das sind diejenigen, die von der bürgerlichen Hilfe stets ausgeschlossen bleiben werden). Je länger der Krieg andauern wird, desto relevanter wird der letzte Punkt werden. Andere werden dazu kommen; es bleibt also wichtig in Bewegung zu bleiben, die Situation immer wieder neu zu bewerten und nicht zynisch abzudriften und wegzusehen.
Wir fordern, alle weiteren Abschiebungsversuche zu verhindern und Solidarität mit allen Menschen, die auf der Flucht vor Kriegen und Terror sind.
Vor allem ist es in kriegerischen Zeiten wie diesen an uns klar zu machen, dass wir uns allen kriegerischen Bestrebungen widersetzen, ihren militärischen Strukturen und Denkweisen verweigern und gegen ihre kriegerische Ordnung revoltieren werden.
Dieser Krieg begann auch hier – Stoppen wir ihn hier!