Statement zur kriminellen Ermittlungsmethodik der Bundesanwaltschaft
Am 16. März, dem 36. Prozesstag im Antifa Ost-Verfahren, wurde erneut sehr deutlich, wie der Staat mit seinen verschiedenen Institutionen arbeitet, um unsere Genoss:innen zu verurteilen, ein Exempel an ihnen zu statuieren und damit die gesamte Bewegung zu schwächen. Ein Beweisantrag der Verteidigung legte an diesem Tag dar, dass der Bundesanwaltschaft jedes Mittel recht ist, um ihr Ziel zu erreichen.
Einer der Angeklagten des Antifa Ost-Verfahrens ist ebenso Beschuldigter in einem weiteren Verfahren nach §129 – hier als Berliner Verfahren benannt. Als eine von vielen Überwachungsmaßnahmen wurden in zwei Fahrzeugen Wanzen verbaut. Auf Grundlage der dort entstandenen Abhörprotokolle aus dem Berliner Verfahren wurden Anklagepunkte im Antifa Ost-Verfahren konstruiert. Die Bundesanwaltschaft hat mehrere dieser Aufnahmen verwendet, um entsprechend ihrer bisherigen Ermittlungsthesen Taten und Menschen in einen Zusammenhang zu bringen, den es eigentlich nicht gibt und nicht geben kann.
Dieses Prinzip ist alt bewährt:
Strukturermittlungsverfahren nach §129 verlaufen meistens nach dem Prinzip, dass erst mal möglichst viele Informationen in der linken Szene oder direkt zu einzelnen Personen gesammelt werden. Dann werden die Puzzlestücke zu einem mehr oder minder klaren Bild ergänzt. Da überrascht es kaum noch, dass zur Not die Puzzleteile zurechtgeschnitten werden.
In mindestens einem Fall belegen nun eben jene Überwachungen, dass ein Angeklagter an einer der vorgeworfenen Taten nicht beteiligt gewesen sein kann.
Die zuständige Staatsanwältin der Bundesanwaltschaft, Alexandra Geilhorn, ist für das §129-Verfahren in Berlin zuständig und übernahm später dann den § 129-Prozess in Dresden. Es ist davon auszugehen, dass sie dementsprechend von dem Widerspruch gewusst haben muss, zumal sie auf Basis der entsprechenden Erkenntnisse zu eben jenem Tattag weitere Überwachungen veranlasst hat. Dennoch hielt sie an der Tatbeteiligung des Beschuldigten fest und überging den Entlastungsbeweis beim Verfassen der Anklageschrift vom Antifa Ost-Verfahren.
Auch wenn der Vorsitzende Schlüter-Staats im Gerichtssaal versuchte, den Beweisantrag schnell als „Versehen“ oder „Flüchtigkeitsfehler“ abzutun, gehen wir bei der sonst so pedantischen Hüterin-des-Rechtsstaats-Geilhorn von einer bewussten Entscheidung aus. Die Äußerungen des Vorsitzenden decken Geilhorn voreilig und unbegründet. Er unterstrich mit seiner Reaktion seine ohnehin parteiliche Haltung in diesem Verfahren, die sich schon mehrfach im Umgang mit Anträgen der Verteidigung spiegelte.
Die eigene Logik, jene Logik des sogenannten Rechts, die zu bald 500 Tage Haft unserer Freundin und Genossin Linas geführt hat, die die drei anderen Genossen seit mehr als einem halben Jahr zweimal die Woche nach Dresden zwingt und Aussicht auf mehrjährige Haftstrafen stellt und viele weitere Menschen bedroht, ausgeforscht, durchsucht und überwacht hat, scheint nicht nur die Bundesanwaltschaft nicht so genau zu nehmen.
Ihr eigenes Gesetz sagt, wer als Amtsträger zur Mitwirkung an einem Strafverfahren unschuldige absichtlich oder wissentlich strafrechtlich verfolgt, macht sich einem Verbrechen schuldig, dass mit mindestens 1 Jahr Haft bis zu 10 Jahren Haft bestraft werden soll. In ihren Gesetzesbüchern ein schwerwiegenderer Vorwurf als jede im Antifa Ost-Verfahren angeklagte Tat…
Im Falle dieser konkreten Beweise steht nicht nur deren Beschaffung und die Widerlichkeit im Raum, Menschen sowohl mit Innenraumüberwachung in Fahrzeugen als auch in allen anderen Lebenslagen zu verfolgen, zu durchleuchten und jede Privatsphäre zu begraben und auf die Schreibtische der verschiedenen Ermittlungsgruppen zu befördern. Sondern auch die manipulative Selektion der gewonnen „Erkenntnisse“, die das vehemente Streben auf eine Verurteilung – trotz der offensichtlichen Abwesenheit der betroffenen Person- nochmals verdeutlicht.
An diesem Beispiel zeigt sich der, sich das gesamte Verfahren durchziehende, politische Verfolgungswille der Bundesanwaltschaft, die zudem unter dem Druck steht, ihre bisherigen Mittel und Maßnahmen zu rechtfertigen. Dass in diesem Fall aber Beweise, die durch eben jene gesammelt wurden, nun durch die, die Angeklagten vertretenden, Anwält:innen angeführt werden, scheint uns absurd zu sein.
Doch es kann auch nicht erduldet werden, dass der Staat unsere Leben überwacht, sie versucht für seine Logik greifbar zu machen und sie schließlich noch selektiv für seine Beweisführung zusammenbastelt.
Zusammen mit der seit 2017 auch juristisch ermöglichten, vereinfachten Anwendung des §129 ergibt sich also eine zusehends bedrohliche Lage für linke Zusammenhänge aller Art. Denn auch die historisch-politische Verortung der verantwortlichen Behörden und die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt deuten eine Ausweitung der politischen Ermittlung an.
Umso notwendiger ist organisierter Antifaschismus und unsere Solidarität gegen ihre Repression!
Alle Maßnahmen und Möglichkeiten, die der § 129 für Ermittlungen und Verurteilungen bietet, werden durch eben dieses Exempel vereinfacht anwendbar sein.
Das Ziel ist die Ausweitung der Überwachung, das Durchleuchten von Strukturen und die Einschüchterung der Genoss:innen.
Der Wille des Staates, Menschen zu spalten und Kontakte, Bekanntschaften und Freund:innenschaften zu verfolgen und als Beweise für ihre Konstrukte zu nutzen, ist offensichtlich.
Diesem Versuch müssen wir unsere Solidarität entgegen setzen, nicht nur für die Genoss:innen, die im Antifa Ost-Verfahren beschuldigt sind, sondern gegenüber allen anderen, die von eben jenen Maßnahmen betroffen sind und sein werden.
Durch ihre verbreitete Angst wollen sie uns zur Distanzierung und in die Isolation zwingen, doch niemand ist allein, wir stehen hinter den Angeklagten, Beschuldigten, Betroffenen und neben den solidarischen Genoss:innen, die die Strategie durchschauen und sich gemeinsam die Straßen nehmen.
Ihr sogenannter Rechtsstaat ist nicht gerecht, sondern nur interessiert an der Aufrechterhaltung seiner Macht.
Wir sind alle §129 – Unsere Solidarität gegen ihre Repression!
Solidaritätsbündnis Antifa Ost, 16. März 2022
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Pressemitteilung Solidaritätsbündnis Antifa Ost : https://www.soli-antifa-ost.org/pressemitteilung-vom-16-03-2022-anlaesslich-der-unterschlagung-von-entlastendem-beweismaterial/
Pressemitteilung der Verteidiger:innen: https://twitter.com/RA_ufruhr/status/1504041213778968585
Weitere Informationen folgen in den Prozessberichten: https://www.soli-antifa-ost.org/prozessberichte/