Rüstungsindustrie: „Wir haben von allem zu wenig“
Als Rüstungsmanager ist Armin Papperger plötzlich gefragt wie selten zuvor: Der Chef des Panzerbauers Rheinmetall spricht über die Probleme der Bundeswehr und die Frage, ob man mit Krieg Geld verdienen darf.
Armin Papperger arbeitet seit 32 Jahren in der Rüstungsbranche, seit fast zehn Jahren führt der 59-Jährige das Düsseldorfer Unternehmen Rheinmetall, den größten deutschen Rüstungskonzern, der unter anderem gepanzerte Transportfahrzeuge und Panzer wie Marder oder Leopard herstellt. Lange hatte die Branche einen miserablen Ruf, seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine ist sie aber gefragt wie nie. Papperger, der lieber von Sicherheits- als von Rüstungsindustrie spricht, empfängt an diesem Dienstag die Aktionäre zur Hauptversammlung.
Interview von Caspar Busse und Thomas Fromm
SZ: Herr Papperger, darf man Geschäfte mit dem Krieg machen?
Armin Papperger: Ich glaube, dass es einfach notwendig ist, dass man Verteidigungsmaterial produziert. Das sehen Sie ja jetzt. Eine Nation, die nicht wehrhaft ist, ist verloren. Wir müssen Deutschland und Europa wieder wehrhaft machen, sodass wir unsere Demokratie und unsere Sicherheit schützen können.
Deutschland ist also nicht ausreichend wehrhaft.
Das ist ja keine Neuigkeit, das diskutieren wir bereits seit 20 Jahren.
Woran mangelt es besonders?
Wir haben in Deutschland nicht genügend in unsere innere und äußere Sicherheit investiert. Die Bundeswehr muss vernünftig ausgestattet werden. Wir haben hochqualifizierte Soldatinnen und Soldaten, aber wir haben ihnen in den vergangenen 20 Jahren einfach zu wenig modernes Material gegeben. Ich hoffe, dass der Kanzler die angekündigte Zeitenwende nun auch durchsetzen kann.
Sie haben ja schon lange auf die schlechte Situation aufmerksam gemacht. Spüren Sie jetzt so etwas wie späte Genugtuung?
Nein, Genugtuung spüre ich nicht. Es geht hier um die Sicherheit eines Landes, damit spielt man nicht. Diejenigen, die anderer Meinung waren, hatten vielleicht auch eine gute Begründung dafür. Ich bin aber der festen Überzeugung: Deutschland hat in den vergangenen zwanzig Jahren einen großen Fehler gemacht. Andere Staaten haben es anders und besser gemacht, und wir müssen das nun aufholen.
Die Regierung Scholz hat ein 100-Milliarden-Euro-Programm angekündigt und will den Wehretat dauerhaft auf mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anheben. Klingt nach viel Geld, aber: Reicht das?
Das ist natürlich nur ein Anfang. Wichtig ist, dass dauerhaft investiert wird und die Zwei-Prozent-Marke – immerhin ein gemeinsames Nato-Ziel – eingehalten wird. Dann können wir in den kommenden fünf bis sieben Jahren die Bundeswehr in einen Zustand bringen, den wir brauchen. Wenn man mehr als nur ein Strohfeuer anzünden will, dann reichen auch die 100 Milliarden Euro nicht.
Was fehlt?
Wir haben von allem zu wenig. Wir müssen bei Flugzeugen nachbessern, wir brauchen Kampfjets und den Tornado-Nachfolger. Wir brauchen dringend den neuen schweren Transporthubschrauber, der unsere Truppe national und international unterstützen kann. Sehr stark unterversorgt sind wir auch bei logistischen Landfahrzeugen, also bei gepanzerten und auch ungepanzerten Lkws mit Vier- bis zum Zehnradantrieb. Hier fehlen Tausende, wenn nicht Zehntausende Fahrzeuge, damit die Bundeswehr ihre Logistik aufrechterhalten kann. Dazu kommt, dass wir zu wenig stark gepanzerte Kräfte haben, da fehlt es an allen Arten von Panzern wie Puma und Leopard 2. Bei Munition gibt es enorme Lücken, zudem fehlt die Fähigkeit zur Abwehr von Gefahren aus der Luft, etwa Drohnen.
Können Sie das überhaupt schaffen?
Ja, denn wir sind schon dabei. Wir investieren bereits, obwohl die Verträge noch nicht beschlossen und noch nicht unterschrieben sind. Wir kaufen Material ein und sichern die Lieferketten ab, um Zeit zu gewinnen. Die Produktion von Lkws und Munition finanzieren wir bereits vor, um dann der Bundeswehr schnell helfen zu können.
Ist die deutsche Rüstungsindustrie in der Lage, die Bundeswehr alleine auszurüsten? Oder brauchen wir dafür ausländische Hilfe?
Deutschland hat immer noch eine ganz tolle Sicherheitsindustrie, auch wenn wir in den vergangenen Jahrzehnten ein wirklich schweres Leben hatten. Aber wir werden nicht alles liefern können, man wird auch in den USA kaufen müssen. Zum Bespiel schwere Transporthubschrauber, das geht nur mit den Amerikanern.
Kaum hatte Bundeskanzler Olaf Scholz im Februar seine Rede zur „Zeitenwende“ gehalten, da hatten Sie auch schon eine lange Liste mit militärischem Material im Wert von 42 Milliarden Euro an die Bundesregierung geschickt. Bei den Konkurrenten kam das nicht gut an. War das voreilig?
Nein, das war mit dem Verteidigungsministerium abgestimmt. Berlin wollte zwei Listen haben, eine mit Produkten für die Ukraine, eine mit Dingen, die wir relativ schnell an die Bundeswehr liefern können. Was allerdings stimmt: Wir waren etwas schneller als die anderen.
Der Krieg ist ein großes Konjunkturprogramm – ablesen kann man das am Kurs der Rheinmetall-Aktie: Plus 150 Prozent in wenigen Monaten.
Die Rheinmetall-Aktie war doch eh stark unterbewertet, das habe ich immer wieder gesagt. Da ist es fast normal, dass die Börse nun nach oben geht. Wir haben ja nicht nur in Deutschland eine enorm gestiegene Nachfrage, sondern in vielen Nachbar- und Partnerländern. Nun zahlt sich unser Internationalisierungskurs der vergangenen Jahre aus, denn in vielen dieser Länder sind wir mit Projekten und Produktionsstätten bereits präsent. Das hilft uns nun.
Rheinmetall ist also ein Krisengewinner!
Das klingt sehr negativ. Wir sind ein Krisenhelfer, würde ich lieber sagen. Rheinmetall ist ein Unternehmen für Sicherheitstechnik und Mobilität, und man braucht uns nun.
Sie verfügen über große Bestände von gebrauchten Panzern, etwa vom Typ „Marder“ und „Leopard 1“. Wann können Sie an die Ukraine liefern?
Ich muss noch mal klarstellen: Nach der Rede des Kanzlers am Sonntag, den 27. Februar, hat sich das Verteidigungsministerium bei uns gemeldet und wollte eine Liste unserer Bestände, also von dem, was wir schnell liefern können. Wir haben also nur das getan, um das uns die Regierung gebeten hat – aber wir haben diese Liste nie veröffentlicht, das waren andere. Auf der Liste stehen 66 Positionen, unter anderem auch Marder und Leopard 1, die mal an die Bundeswehr ausgeliefert wurden und später von Rheinmetall zurückgekauft wurden.
Wie weit sind Sie damit?
Diese Fahrzeuge werden aufbereitet. Vor vier Wochen haben wir bereits damit begonnen, obwohl es noch keinen konkreten Auftrag gibt. Wir machen das also auf eigenes Risiko.
Sie setzen also instand und warten ab?
Wir warten auf die endgültige Entscheidung der Regierung. Aber es gibt derzeit genügend Länder, die diese Fahrzeuge haben wollen, nicht nur die Ukraine. Wir könnten zum Beispiel mittelfristig insgesamt 100 Marder zur Verfügung stellen, die ersten wären in drei Wochen fertig.
Ausgerechnet Grünen-Politiker wie Annalena Baerbock und Anton Hofreiter haben sich schon früh für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ausgesprochen. Hat Sie das überrascht?
Nein, weil die Grünen das Thema Menschenrechte schon immer sehr stark priorisieren. Die Partei ist stark genug, um zwischen Menschenrechten und Pazifismus eine vernünftige Linie ziehen zu können.
Apropos Menschenrechte und Linien: Würden Sie Ihre Produkte überallhin liefern, wenn Sie dürften? Oder haben auch Sie Linien?
Ich würde unsere Produkte nicht überallhin liefern. Aber wir entscheiden ja immer mit den Regierungen zusammen, und wenn wir etwas exportieren, müssen wir vorher gemeinsam darüber diskutieren, ob das auch opportun ist. Wir haben keine detaillierten Länder-Informationen, wie sie zum Beispiel das Auswärtige Amt hat. Am Ende entscheidet immer die Politik, und das ist gut so.
Der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre wirft Ihnen in einem Gegenantrag zur Hauptversammlung an diesem Dienstag vor, „die Aufrüstung zahlreicher Konflikt- und Krisenregionen“ voranzutreiben. Beispiele: Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei.
Im Falle der Türkei wurde ich vor mehr als zehn Jahren von der Bundesregierung aufgefordert, mit ihr zu kooperieren. Weil die Türkei ein Nato-Partner ist und die Ostflanke des Bündnisses absichern soll. Die Türkei hat dann von der Bundesregierung als Länderabgabe Leopard-2-Panzer erhalten. Die Kooperation mit der Türkei war also eine rein politische Entscheidung und von Berlin gewollt. Aber: Was in zwanzig Jahren ist, können Sie nie wissen.
Ist es eigentlich richtig, dass ein Rüstungskonzern wie Rheinmetall börsennotiert ist? Da müssen Sie doch immer den Interessen des Aktionärs folgen, der möglichst hohe Renditen sehen will.
Glauben Sie, dass ein familiengeführtes Rüstungsunternehmen anders entscheidet als eine Aktiengesellschaft wie wir? Das macht doch keinen Unterschied.
Sie sind der größte deutsche Anbieter in dieser Branche, international sind Sie eher klein. Sind Sie international zu klein?
Nein, wir werden in den kommenden Jahren international in die richtige Größe hineinwachsen. Ich bin der festen Überzeugung, dass Rheinmetall in den nächsten Jahren beim Umsatz zweistellige Milliardenbeträge im Jahr erwirtschaften kann. Klar, gegen die Großen in den USA wird man nie konkurrieren können – außer man wird ein US-Unternehmen.
Sie könnten noch einmal versuchen, den Münchner Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann (KMW) zu übernehmen. Sie hatten das ja früher schon einmal vergeblich versucht.
Wir haben KMW unsere Vorschläge gemacht, die sind abgelehnt worden, die Diskussion ist für mich erst mal beendet.
Sie könnten jetzt einen neuen internationalen Champion aus Düsseldorf und München schaffen.
Es heißt da immer, wir wären dickköpfig. Wir kooperieren ja in vielen Projekten erfolgreich miteinander und wir reden ja auch miteinander. Und ich bin jederzeit bereit, mit Krauss-Maffei Wegmann zu sprechen. Aber es muss von beiden Seiten kommen.
Und von der anderen Seite kommt nichts?
Ich habe doch schon ein paar Mal angerufen. Vielleicht ruft die deutsch-französische Unternehmensgruppe KNDS, zu der KMW gehört, ja mal bei mir an.
Da wären dann auch die Franzosen mit im Boot. Wäre es nicht eh besser, wenn man die europäischen Kooperationen noch weiter stärkt?
Das ist ja das Thema – wir müssen in Europa noch viel internationaler werden. Wir bei Rheinmetall bauen ja schon überall Produktionsstätten auf. In den USA, in Kanada, in Australien, in Großbritannien und in Ungarn. Alle reden über Europa, aber wir sind global.
Können Sie sich auch andere Zukäufe vorstellen?
Wir schauen uns an die 200 Unternehmen im Jahr an, zuletzt haben wir vier Unternehmen aus den Bereichen IT und Service gekauft. Ich kann immer nur das machen, was machbar ist. Ich kann mich nicht hinstellen und sagen: „I have a dream.“
Rheinmetall ist jetzt groß im Gespräch – gefällt Ihnen das eigentlich?
Wir sind da, um unseren Soldatinnen und Soldaten vernünftiges Material zu liefern. Wir selbst sind nicht wichtig, wir dienen unserem Land.
Wir dachten, Sie dienen Ihren Aktionären.
Natürlich, wir sind eine Aktiengesellschaft. Man hat Eigentümer, und da muss man dafür sorgen, dass man erfolgreich ist.
passiert am 09.05.2022