Neue Ermittlungsdetails Neonazis von „Knockout 51“ wollten bei Corona-Demo Polizisten „wegknüppeln“
Wer Mitglied sein will, muss stets ein Messer tragen, die NS-Ideologie verehren und darf nicht leichter als 80 Kilo sein: So tickt die rechtsextreme Kampf-Gruppe „Knockout 51“, gegen die im April der größte Schlag gegen die militante Neonazi-Szene in den vergangenen Jahren gelungen ist. Nun kommen immer erschreckendere Details über die Vereinigung ans Licht.
Die rechtsextreme Kampf-Gruppe „Knockout 51“ aus dem thüringischen Eisenach wollte an jenem 29. August 2020 mit ihren Kumpels aus Dortmund ordentlich Randale machen. Auf der Demonstration von Corona-Leugnern in Berlin hatte man Gewaltattacken insbesondere auf Polizisten geplant. Dann aber mussten die ostdeutschen Neo-Nazis unter ihrem Anführer Leon R. zusehen, wie ihre mit Hämmern und Bengalo-Feuerwerk bestückten westdeutschen „Kameraden“ vor der Polizei kniffen.
Zwar starteten „Knockout“-Kombattanten Attacken auf einige Beamte. Die große Bambule blieb aber aus. Später ärgerte sich einer der Schläger, dass man unbewaffnet auf die Demo gegangen sei. Besser wäre es gewesen, einen Bengalo zu zünden und in „die Bullen reinzuflacken“.
„Knockout 51“: Größter Schlag gegen die deutsche Neonazi-Szene in den vergangenen Jahren
So steht es nach FOCUS-Online-Informationen in den Ermittlungsakten der Bundesanwaltschaft, die am 6. April eine Razzia gegen ein militantes braunes Netzwerk durchführte. 50 Protagonisten stehen auf der Beschuldigten-Liste, vier führende Mitglieder von „Knockout 51“ kamen wegen Bildung einer rechtsextremistischen kriminellen Vereinigung in Untersuchungshaft. Es ist der größte Schlag gegen die militante Neonazi-Szene in den vergangenen Jahren.
Die Nachforschungen führen in die faschistische Hardcore-Szene. Das Netzwerk reicht demnach von Ostdeutschland über Baden-Württemberg bis nach NRW. Insbesondere zum größten, westdeutschen Nazi-Hotspot in Dortmund. Mithin auch zur Splitterpartei „Die Rechte“ rund um die Schlüsselfigur der extremistischen Kampfsportszene: Alexander Deptolla. Laut NRW-Verfassungsschützern organisiert der hochrangige Partei-Kader den „Kampf der Nibelungen“, das größte Fighting-Event brauner Milieus in Westeuropa.
Wehrsportübungen, Schießausbildung im osteuropäischen Ausland sowie Straßenkampftrainings – mit Sorge beobachten die Sicherheitsbehörden, wie militante Nazi-Organisationen ihre Umsturzpläne für den Tag X forcieren. Zwar konstatieren die NRW-Verfassungsschützer für das vergangene Jahr einen Rückgang bei der Zahl der Rechtsextremisten von 1,6 Prozent auf 3875. Die Rate gewaltorientierter Neo-Nazis stagniert unverändert bei 2000 Personen. Und die verübten Gewaltdelikte sanken 2021 um knapp ein Fünftel auf 121 Fälle.
Bundesweit verzeichnet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) allerdings einen gegenläufigen Trend. Das rechtsextreme Personenpotenzial stieg nochmals um 600 Anhänger auf 33.900, auch der Anteil der gewaltbereiten Neo-Nazis kletterte um 200 auf 13.300.
Verfassungsschutzbericht: Faeser warnt vor „hoher Gewaltbereitschaft“ in der rechtsextremistischen Szene
Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte denn auch am Dienstag bei der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichts vor „einer hohen Gewaltbereitschaft“ in der rechtsextremistischen Szene. Zugleich wies die SPD-Politikerin vor einem „hohen Radikalisierungsniveau im gewaltorientierten Linksextremismus“. Laut dem BfV gilt jeder vierte der 34.700 Aktivisten als gewaltaffin.
Zugleich warnten die Staatsschützer vor einer unverändert hohen Gefahr durch „den islamistischen Terrorismus“. Zwar sanken die Anhängerzahlen um etwa 400 auf knapp 28.300 Personen. „Die Bedrohung in Deutschland und Europa geht weiter vorwiegend von jihadistisch inspirierten oder angeleiteten Einzeltätern sowie Kleinstgruppen mit einfachen und leicht zu beschaffenden Tatmitteln aus.
BfV-Präsident Thomas Haldenwang warnte „vor zahlreichen Bedrohungen aus sehr unterschiedlichen Bereichen für unsere Demokratie und die Sicherheit der Bevölkerung“. Verfassungsfeinde agierten demnach sehr heterogen: „Auf der einen Seite sehen wir diejenigen, die ihre Ablehnung gegen den Staat vereint, auf der anderen Seite beobachten wir selbstradikalisierte einzeln agierende Täter und digitalen Extremismus im Netz.“
Politisch motivierte Täter werden immer jünger – und Rechtsradikale nutzen Corona-Schutzmaßnahmen
So geschehen bei Jeremy R. aus Essen. Der 16-jährige Gymnasiast hatte sich übers Internet zu einem Ausländerhasser und Verehrer des NS-Regimes radikalisiert. Irgendwann begann er sich Utensilien zu beschaffen, um Klassenkameraden und Lehrer seiner Schule mittels selbstgebastelten Sprengsätzen und anderen Waffen auszulöschen. Kurz vor seinem Anschlag wurde er im Mai verhaftet. Bei ihm spielten offenkundig auch psychische Probleme eine Rolle. Bei dem Attentat wollte er auch selbst seinem Leben ein Ende setzen.
Die politisch motivierten Täter werden nicht nur immer jünger, sondern gerade rechtsradikale Kreise suchen seit Jahren die Proteste gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen für ihre Zwecke „antisemitischer sowie verschwörungsideologischer Narrative zu instrumentalisieren“, konstatierte das BfV. Zuletzt stellten die Verfassungsschützer auch fest, dass die Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen oder Rheinland-Pfalz ebenfalls für krude Hasstiraden aus der rechtsextremen Ecke benutzt wird.
Zugleich beobachten die Staatsschützer eine zunehmende Vernetzung zwischen führenden braunen Kadern in West- und Ostdeutschland. So siedelten etwa einige Hauptakteure aus dem Ruhrpott aufgrund des wachsenden Verfolgungsdruck durch die hiesige Polizei nach Sachsen und Thüringen über. Umgekehrt entsandte etwa die Kampfgruppe „Knockout 51“ aus Eisenach im August 2020 Schläger für einen Demo-Marsch der Partei „Die Rechte“ in die Dortmunder Nordstadt. Auch legte ein Emissär aus Eisenach einen Kranz auf das Grab des Dortmunder Rechtsextremisten Siegrid Borchard, genannt SS-Siggi, nieder. Auf Anti-Corona-Demos mit Gleichgesinnten aus NRW ging es offenbar darum Linke und „Bullen“ zu klatschen. Nach einer Auseinandersetzung in Leipzig schnitt ein Dortmunder Gesinnungsgenosse ein Video von der Schlägerei auf dem Protestmarsch zusammen.
Anweisung von „Knockout 51“-Chef: Mitglieder müssen stets Messer tragen und mehr als 80 Kilo wiegen
Als einer der führenden Netzwerker gilt laut Bundesanwaltschaft Leon R.. Spätestens seit dem Frühjahr 2020 soll der Eisenacher Kneipenwirt und Anführer der Schläger-Truppe „Knockout 51“ demnach den Kampf gegen politisch linke Gegner und Polizisten propagiert haben. In abgehörten Telefonaten, belauschten Gesprächen aus Fahrzeugen nebst ausgewerteten Telegram-Chats träumte R. davon, Hunderte gewaltbereiter Neo-Nazis unter einer neuen Führung zu vereinen. Diese Truppe sollte bei Demonstrationen oder Gewaltattacken bundesweit zum Einsatz kommen. Anfang 2021 sprach der Beschuldigte bei einer Autofahrt über Waffen. Mit im verwanzten Auto saß ein hoher Thüringer NPD-Funktionär und Stadtrat von Eisenach.
Ferner soll Leon R. intensive Beziehungen zu dem NPD-Bundesvize Thorsten Heise unterhalten haben. Der mehrfach einschlägig vorbestrafte Ex-Kameradschaftsführer, der ebenfalls inzwischen in Thüringen lebt, veranstaltete zahlreiche Nazi-Konzerte mit bis zu 1000 Zuschauern.
Die NPD in Eisenach stellte ihre Parteizentrale „Flieder Volkshaus“ für die Kampfsportübungen von „Knockout 51“ zur Verfügung. Dort soll der Anführer Leon R. die Losung ausgegeben, bei Konflikten gegen Linke Hieb- und Stichwaffen einzusetzen. Jedes Mitglied sollte stets ein Messer mit sich führen. Anwärter mussten bestimmte Voraussetzungen erfüllen: So sollten sie sich der nationalsozialistischen Ideologie verpflichten, durften nicht leichter als 80 Kilogramm sein. Auch sollten die „Knockout“-Kandidaten mindestens einmal einen so genannten „Robo-Cop“ umgeknüppelt haben. Einen Bereitschaftspolizisten in Schutzausrüstung.
Wer weniger als 80 Kilogramm auf die Waage brachte, hatte keine Chance, aufgenommen zu werden. Auch wurde jedes Fehlen bei den Trainingseinheiten sanktioniert. In Eisenach und anderswo verprügelten die Knockout-Schläger etliche Männer, die sie im linken Lager wähnten. Eisenach versuchte man in einen Nazikiez zu verwandeln, schließlich begann die Gruppe mit Kontrollfahrten. Während einer der Patrouille prahlte Leon R., dass man in Eisenach die Oberhand habe. In der Rauschgiftszene wolle niemand Stress mit ihnen. Weder „die Kanacken“ noch „die Drogenassis“.
Leon R. kannte das Who-is-Who der militanten Szene in Deutschland
In jener Phase soll Leon R. Attacken auf linke Gegner forciert haben. Hintergrund waren Überfälle aus der Antifa-Szene um die Aktivistin Lina E.. So hatten mutmaßliche Linksextremisten die Kneipe „Bull Eyes“ des „Knockout“-Anführers mit Sprengsätzen und Buttersäure-Attacken überfallen. Danach verkündete Leon R. nebst führenden NPD-Funktionären um Thorsten Heise, dass man nicht in die Defensive zurückweichen, sondern weiter in der Offensive bleibe werde.
Leon R. kannte das Who-is-Who der militanten Szene: So soll er laut Bundesanwaltschaft auch bei der rechtsterroristischen Vereinigung „Atomwaffen Division Deutschland“ (AWDD) mitgemischt haben. Die AWDD ist ein deutscher Ableger einer „Terror-Sekte“ („Spiegel“) aus den USA, die in einem Bürgerkrieg der „weißen Rasse“ zum Sieg verhelfen will.
Ferner führen Spuren von Leo R. zu Mitgliedern von „Combat 18“. Dazu sollen etwa auch Dortmunder Extremisten gehören. Am 21. Januar 2021 trafen sich die Eisenach Nazi-Schläger im thüringischen Holungen mit etlichen Combat-Mitgliedern rund um ihren Anführer Stanley R.. Die Zusammenkunft dient der Bundesanwaltschaft als ein Beweis dafür, dass die inzwischen verbotene Kampftruppe im Untergrund weiter existiert.
C18 steht für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets. Heißt: „Kampftruppe Adolf Hitler“. In die Schlagzeilen geriet die militante Gruppe bereits dreieinhalb Jahre zuvor. Seinerzeit hatte die Anti-Terroreinheit GSG9 eine zwölfköpfige-Gruppe von Combat-18-Anhängern an einem oberfränkischen Grenzübergang festgesetzt. Die Neonazis kehrten von einem zweitägigen Schießtraining in Tschechien zurück, wegen illegaler Einfuhr von Schussmunition wurde später einer der Verdächtigen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Combat 18 steht für das Konzept des „führerlosen Widerstands“: Gewaltbereite Neonazis sollen sich in kleinen autonomen Zellen zusammenschließen, Waffendepots anlegen und ohne Befehl aus der „Führungsriege“ Terroranschläge begehen.
passiert am 07.06.2022