Kampf gegen die Berliner Gefahrenzonen im Jahr 1872

150 Jahre Blumenstraßenkrawall: Am 24.Juli wollen Stadtteilinitiativen auf den Spuren dieses Mieter*innenaufstands durch Berlin-Friedrichshain wandelt .Dabei geht es um sehr aktuelle Themen, die Frage, wem gehört die Stadt.

Jeden Morgen, wenn wir zur Arbeit fahren
Wird eine neue Seite ins Geschichtsbuch geschrieben
Wer schreibt sie? Geschieht Geschichte mit uns?
Oder machen wir unsere Geschichte?

aus dem Song: Wer schreibt die Geschichte, Einführungslied der Rockoper Proletenpassion der Band Schmetterlinge

Der Andreasplatz in Berlin-Friedrichshain zwischen dem Ostbahnhof und dem Strausberger Platz gelegen, ist wenig bekannt. Schließlich ist er heute zugebaut. Die neobarocken Figuren fallen vielleicht ins Auge. Auf einen der vom Bezirksamt aufgestellten Schilder erfahren wir, dass hier eine bürgerliche Familie dargestellt werden soll. „Die Familiengruppe sollte den Platz laut Beschluss der Stadtverordnetenversammlung künstlerisch aufwerten. Unübersehbar ist der Versuch … mit lieblichen Bildmotiven von der sozialen Lage des damaligen Proletariats abzulenken“, heißt es auf einer dieser Tafeln. Auf einer anderen Tafel ist zu lesen, dass die Stralauer Vorstadt, wie die Gegend vor 150 Jahren hieß, verrufen war. Es handelte sich also um ein Gefahrengebiet vor 150 Jahren und die gefährlichen Klassen sollten zugunsten eines bürgerlichen Milieus verdrängt werden. Das hört sich doch alles sehr aktuell an.
Was auf den Tafeln nicht erwähnt wird, ist einer der ersten bekannten Berliner Mieter*innenaufstände, die als Blumenstraßenkrawalle in die Geschichte eingegangen sind.. Der unmittelbare Auslöser war die Zwangsräumung des Tischlers Ferdinand Hartstock aus einer Wohnung in der Blumenstraße 51 in unmittelbarer Nähe zum Andreasplatz. Nachbar*innen strömten herbei und wandten sich gegen Polizei und Vermieter. Nachdem sich die Sache beruhigt hat, wurde unabhängig von den Ereignissen ganz in der Nähe eine besetzte Siedlung abgerissen, auf denen sich die Teile der einkommensarmen Bevölkerung niederlassen hatten, weil sie in Berlin keine bezahlbare Bleibe finden konnten. Damals war der Zustrom in die deutsche Metropole Berlin groß, die Industrialisierung mit der Massenverelendung großer Teile der Bevölkerung hatte große Ausmasse angekommen. Gleichzeitig lebten die herrschenden Eliten in einer Parallelwelt der Reichen und Mächtigen. So hält sich die Vermutung, dass die Hüttensiedlung auch abgerissen wurden, weil dem russischen Zar, dessen Besuch anstand, ein „sauberes Berlin“ geboten werden sollte. Die Menschen gingen auf die Straße, schlugen Fenster ein und das eine oder Symbol von Herrschaft und Ausbeutung ging wohl auch in Flammen auf.

Die Angst vor den Aufstand der gefährlichen Klassen

Die Herrschenden vor allem der deutsche Kaiser fürchteten eine Revolution und wollten die Flammen der Revolte schnell austreten. Zumal sich die Unruhen auf andere Stadtteile auszuweiten begannen. Zudem stand der Aufmarsch im Kontext wachsender Unruhen, wie Jens Sethmann im MieterMagazin, der Zeitung des Berliner Mietervereins schrieb:

„Mieter*Innenproteste dagegen gab es schon 1871. In einem Polizeibericht vom 4. August über Ausschreitungen in der Brunnenstraße hieß es: „Zu verkennen ist indessen nicht, daß die in allen Stadttheilen gegen die Hauswirthe wegen ihres willkührlichen Schaltens und insbesondere wegen des fortwährenden Steigerns des Miethzinses herrschende Erbitterung in den eng und von meist unbemittelten Leuten bewohnten Stadttheilen, zu welchem die Brunnenstraße gehört, einen einigermaßen bedenklichen Grad erreicht hat.“ Und man darf nicht vergessen, nur ein knappes Jahr vorher hat auch mit Unterstützung der preussischen Eliten niedergeschlagene Pariser Kommune die Unterdrückten der Welt aufgerüttelt. Es wäre interessant zu erforschen, ob die rebellischen Berliner Mieter*innen davon beeinflusst waren. Sicher ist, dass die Herrschenden aller Länder der Schreck vor der Revolution in die Knochen gefahren war. Daher musste die Revolte schnell zerschlagen werden.Das in Berlin aufgefahrene Militär brauchte dafür nicht eingesetzt werden, auch die Polizei leistete ganz Arbeit. 159 Demonstrant*innen wurden mit Säbelhieben verletzt, mehr als 80 Personen wurden verhaftet und später teilweise zu langen Haftstrafen verurteilt.

Mietrebellen erinnern sich ihrer Geschichte

Lange Zeit waren die Blumenstrassenkrawalle aus dem Gedächtnis verschwunden Doch eine neue Mieter*innenbewegung hat unter Anderem mit der Ausstellung „Kämpfende Hütten“ nach ihrer Geschichte gegraben und ist dabei auch auf den Aufstand vor 150 Jahren gestoßen. Beim historischen Spaziergang wird auch daran erinnert, dass nicht ganz 50 Jahre später bei den Märzkämpfen 1919 in dem Gebiet der Stralauer Vorstand wieder starke Kämpfe stattgefunden haben und unbewaffnete Arbeiter*innen von den Freikorps ermordet wurden. Und heute? Wenn es in den meisten Ländern auch keine Könige und Kaiser mehr gibt, die kapitalistische Ausbeutung lastet weiterhin schwer auf den Massen vor allem der einkommensarmen Bevölkerung. Bei ihren heutigen Organisierungen beispielsweise in der Mieter*innenbewegung ist es gut, sich zu vergewissern, vorher wir kommen, wohin wir gehen.

Peter Nowak

24.07.2022, 15.00 Uhr, Andreas-/Ecke Singerstr. (Berlin-Friedrichshain)

Historischer Kiezspaziergang auf den Spuren von 150 Jahre Blumenstraßenkrawalle
https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/150-jahre-blumenstrassenkrawall-kampf-gegen-die-berliner-gefahrenzonen-im-jahr-1872

Denkmal.jpg

passiert am 24.07.2022