Besançon (FR): Die medizinischen und juristischen Mächte verfolgen Boris weiter
Im April 2020 hat unser Freund und Gefährte Boris Funkmasten von vier Telefonanbietern sowie Bullen und Gendamerie am “Mont Poupet” (Jura) in Brand gesteckt. Er wurde durch eine DNA-Spur an einem Flaschendeckel identifiziert, und im September 2020 in das Gefängnis von Nancy eingesperrt; im April 2021 wurde er dann zu vier Jahren Knast verurteilt, zwei davon auf Bewährung. In einem von ihm aus dem Knast veröffentlichtem Brief1 verteidigt er laut und deutlich seine Taten motiviert durch sein Verlangen, sich der wachsenden Digitalisierung unserer Leben – mit all der Kontrolle, und der Verwüstung der Umwelt und der gesellschaftlichen Verhältnisse die sie mit sich bringt – durch die direkte Aktion zu widersetzen. Im August 2021 wurde Boris durch ein Feuer in der Zelle schwer verletzt und befindet sich deswegen seitdem in der Gewalt der medizinischen Autoritäten. Aus juristischer Sicht wurde seine Gefangenschaft im darauf folgendem September, am angesetzten Tag der Berufung, beigelegt, während der Prozess selbst (auf unbestimmte Zeit) verschoben wurde. Zur selben Zeit wurde eine Ermittlung, die immernoch läuft, einer Richterin aus Nancy übergeben, um die Ursache des Brandes der Zelle zu klären und um die Zeit zu ermitteln, die sich die Wärter liessen, um unseren Gefährten in seiner Zelle ersticken zu lassen.
Da Boris sich einige Monate im künstlichem Koma und semi-bewussten Zuständen befand, konnte er damals keine eigenen Entscheidungen treffen. Es ist natürlich vorgekommen, dass die Ärzte sich mehrmals in den Diagnosen irrten, aber immer mit unerschütterlichen Selbstvertrauen. Anfang März 2022 wurde Boris von der Station für schwere Verbrennungen des Metz-Krankenhauses in die Intensivstation des Uni-Klinikums von Besançon verlegt. In dieser wurde im April entschieden ihn loszuwerden, indem er in eine andere Station verlegt wurde, die eigentlich für seinen Gesundheitszustand nicht geeignet ist, und ohne dass seine Meinung über diese Entscheidung in Betracht gezogen worden wäre. Diese schwerwiegende Entscheidung, die konkret das Ausbleiben einer angemessenen Versorgung zur Folge hat, wurde hauptsächlich dadurch gerechtfertigt, dass keine Besserung seines Gesundheitszustandes festzustellen gewesen wäre; diese Einschätzung wurde auf der Basis von schrecklichen statistischen Kriterien getroffen. Diese Kriterien beziehen offensichtlich nicht das spezifische Individuum mit ein, auf das sie auf so absolute, sachliche und allgemeingültige Art und Weise angewendet werden. Selbst wenn dieses Individuum seinen unbändigen Willen weiterzuleben und um Besserung zu kämpfen ausdrückt. Unter dem Vorwand seiner aktuellen Quadriplegie und obwohl er im Stande ist zu sprechen, bei klarem Bewusstsein und kämpferisch ist, haben die Ärzte entschieden, ihn nicht wiederzubeleben, falls eine neue ernsthafte Infektion auftreten würde. Nur dadurch, dass u.a schriftlich protestiert wurde, wurden die Ärzte dazu gezwungen, seinen Willen zu überleben zu berücksichtigen und ihm ein Minimum an aktiver Behandlung zu zugestehen.
Selbstverständlich ist das Ganze mit der Zeit für die Krankenhaus-Autoritäten inakzeptabel geworden. Ein anarchistischer ex-Häftling, der es wagt das medizinische Dogma in Frage zu stellen, der sich weigert deren tödliche Diagnosen ohne zu mucken hinzunehmen, kann wohl nicht bei klarem Verstand sein! Gemäss der Bosse in Weisskitteln soll er notwendigerweise zu “beeinflussbar” (aufgrund seiner anti-autoritären Ideen?) sein. Dazu versucht Boris unnachgiebig Zugang zu seinen medizinischen Akten zu bekommen, trotz all den Hindernissen, die ihm die Krankenhausverwaltung bis jetzt stellt, um ihm diesen Zugang zu verwehren. Ausserdem verlangt er, dass zusätzlich zu seiner Familie ihm nahestehende Personen über seine Situation mit der Ärztin diskutieren können; diese Forderungen brachten das Fass der Autoritäten zum überlaufen.
Und so hat am 8. Juni 2022 Frau Elisabeth Batit, Ärztin des Uni-Klinikums von Besançon und beauftragt mit Boris Fall, bewaffnet mit der Macht die ihre Funktion ihr zuspricht und die sie um jeden Preis durchsetzen möchte, entschieden; in ihrem Unterfangen den Gefährten als Individuum zu brechen, einen Schritt weiter zu gehen. Ohne sein Wissen und in einer gerichtlichen Ausschreibung, die sie zusammen mit der Sozialarbeiterin des Klinikums unterzeichnet hat und an das öffentliche Büro der Staatsanwaltschaft von Besançon schickte (jenem Staatsanwalt, der zuvor schon mit den Ermittlungen zu den brennenden Antennen betraut wurde), stiess sie einen “Unterschutzstellungsverfahren” an, angeblich um ihn vor seinen eigenen Entscheidungen zu “schützen”. Wie könnte es nur besser laufen, für den eifrigen Staatsanwalt, welcher direkt am selben Tag befohlen hat, einen psychiatrischen Experten zu Boris zu schicken, um zu verordnen, dass unser Gefährte zusätzlich zu seiner Lähmung auch noch “unfähig” wäre “selbst für seine Interessen zu sorgen”. So ist am 14. Juni der Folterer des Geistes, Thomas Carbonnel, – kein anderer als der Vizedirektor der lokalen Psychiatrie und welcher von dem Staatsanwalt extra auf seiner kleinen offiziellen Liste ausgewählt wurde – unangekündigt in Boris Zimmer erschienen, um letztendlich zu empfehlen, ihn unter “verstärkte Beistandschaft” zu stellen.
Daraufhin hat eine Jugendrichterin aus Vesoul, die seit einigen Wochen beim Gericht von Besançon als “Richterin für Vormundschaften” tätig ist, in einem vorläufigem Eilverfahren einen Notfall-Beschluss, bezeichnet als “gerichtliche Pflegeschaft”, gegen unseren Gefährten ausgesprochen. Diese Massnahme wird eventuell bei einer Gerichtssitzung, die innherhalb eines Jahres stattfinden muss, verschärft werden. Dies könnte dazu führen, dass er für einige Jahre unter Beistand- oder Vormundschaft gestellt wird. Aus der muffigen Dunkelheit ihres Büros, ohne irgendjemanden zu warnen, selbst die betroffene Person nicht, entschied die Richterin Marie-Lee Avena am 8. Juni, dass Boris “übermässige Handlungen ausführen” könnte und ernannte in Folge dessen einen gesetzlichen Bevollmächtigen: die UDAF 25 (Union Familiale du Doubs), die ab diesem Moment die Kontrolle über all seine Post, seine Konten und seine zukünftigen Ressourcen (wie zum Beispiel den Zuschuss für behinderte Erwachsene) übernommen hat.
Die UDAF wurde durch ein Familiengesetz des Vichy-Regimes gegründet und im Jahre 1945 reformiert. Sie setzt sich aus dutzenden religiösen und sekulaeren Verbänden zusammen, die einen der Grundpfleiler des Patriarchats vertreten: die Familie. Es ist eine der Hauptorganisationen, auf welche der Staat sich stützt, um die Autonomie von einer Million Menschen, die unter Vormundschaft oder Beistandschaft gestellt werden, zu zermalmen. Zwischen 1968 und 2007 geschah dies u.a mit der Begründung von “Verschwendertum, Unenthaltsamkeit oder Müssiggang”, ….
An der UDAF 25 nehmen, zusätzlich zu einer Hunderschaft von Mitarbeiter*innen, natürlich auch Leute teil, die nach immer mehr Macht streben, wie zum Beispiel die neue Präsidentin, Karima Rochdi, ehemalige Stellvertreterin des Bürgermeisters von Besançon (Mitglied der Macron Partei, LREM). Sie, die jetzt mit eisernen Faust über die notwendigen administrativen Schritte, zu denen der Gefährte verpflichtet ist um aus dem Krankenhaus zu kommen, bestimmen will, ist dieselbe Person, die u.a ständig gegen die ZAD von Vaites in Besançon gehetzt hat und die Gegner der Betonierung der alten Schrebergärten dieses Viertels als Pack “extremistischer Ökologen” beschimpfte. Ausserdem: der neue Generaldirektor von der UDAF 25, Thierry Pilot, der insbesondere mit den “Massnahmen zum gerichtlichen Schutz von Erwachsenen” beauftragt ist, die gerade unserem Gefährten auferlegt werden, hat einen grossen Teil seiner Karriere als Manager bei einem der grössten Ausbeuter von behinderten Personen in Doubs absolviert; früher ADAPEI genannt, jetzt Stiftung Pluriel. Ihr Verwaltungsrat setzt sich u.a aus dem Oberarzt der Abteilung in der Boris sich noch befindet, einem Repräsentanten des Innenministeriums und dazu noch der ehemaligen Direktorin der Strafvollzugsbehörden von den Regionen Doubs und Jura zusammen…
Die Ausbeutung und die Bevormundung und Disziplinierung von Menschen, die als “labil” oder “von der Norm abweichend” bezeichnet werden, ist ein staatlich subventioniertes Geschäft und ein gut etabliertes Räderwerk, welches durch eine ganze Clique von Autoritätsfiguren und von paternalistischen “guten” Absichten am Laufen gehalten wird.
Seit Jahren verteidigt Boris anarchistische Ideen gegen die Macht in all ihren Formen, und wieder einmal zahlt er dafür einen hohen Preis. Für die Demokratie, die uns immer mehr als einzig möglichen Horizont unter dem Paradigma der technologischen Freiheit verkauft wird, ist das Pathologisieren von sogenannten “anormalen” oder zu widerspenstigen Verhaltensweisen ein Mittel, um diese zu neutralisieren und ihre eigene Hegemonie durchzusetzen. Sei es durch die brutalste Repression oder durch Zwangsbevormundungsversuche gegen diejenigen, die sich nicht den bestehenden Verhältnissen fügen. Und warum sollte es auch anders laufen gegen einen Anarchisten oder all diejenigen, die aus der Reihe tanzen, wenn diese Lakaien für die Misere, die sie tagtäglich säen, wenigstens nicht eins ausgewischt kriegen?
Noch dazu geht es auch darum, gegen die stattfindende Entmündigung unser aller zu kämpfen,
Lebhafte Solidarität mit Boris, auf die Art und Weise, die jede*r als geeignet betrachtet…
Solidarische Anarchist*innen und Kompliz*innen von Boris
28 Juli 2022
“Wieso ich die zwei Antennen vom Mont Popuet abgefackelt habe”