Protestbericht No. 2 Revolution Iran
Balutschistan
Während in den meisten Regionen Irans der regelmäßige Protest auf den Straßen abnimmt, hat sich in Balutschistan etabliert, jeden Freitag nach dem Gebet zu demonstrieren. Diese Verbindung mit den Moscheen trägt dazu bei, dass der Bewegung in Balutschistan unterstellt wird, konservativ und religionsfokussiert zu sein. Doch die Menschen auf der Straße überzeugen uns vom Gegenteil: progressive Parolen wie „Nieder mit allen Unterdrückern – sei es Mullah oder Shah“ und feministische Forderungen dominieren die wöchentlichen Proteste.
Auch gestern (20.01.) haben sich trotz des massiven Aufgebots an Repressionskräften wieder zahlreiche Menschen in Zahedan versammelt.
Streiks in der Petrochemischen Industrie
Diese sind historisch betrachtet von großer Bedeutung: in der Revolution von 1979 gehörten die Streiks in der Ölindustrie, einer der zentralen Pfeiler der iranischen Wirtschaft, zu den wichtigsten Kräften, um das Shah-Regime zu stürzen. Im Unterschied zu damals fehlt heute aber die gemeinsame und überbetriebliche Organisierung der Arbeiter*innen, weshalb bisher nur die offiziellen Angestellten ihre Arbeit niederlegen und es noch nicht zu einem Generalstreik im gesamten Sektor kommen konnte.
Die anhaltenden Streiks müssen im Kontext der generellen Lage in der Öl- und Gasindustrie gesehen werden: Auch wenn Iran über eine der größten Öl- und Gasvorkommen weltweit verfügt, ist es in den letzten Wochen zu Gaskürzungen innerhalb des Landes gekommen. In Städten wie im nordöstlichen Torbat-e-Jam gab es massive Proteste aufgrund von Ausfällen in der Gaszufuhr, die sich bei den herrschenden Minusgraden lebensbedrohlich auswirken. Ein Grund für die Gaskürzungen ist neben den bestehenden Sanktionen des Westens, dass sich internationale Investoren und Abnehmer wie China und Südkorea beginnen zurückzuziehen. Dadurch und durch die generelle Wirtschaftskrise (siehe Protestbericht No.1) kommt es zu Schwierigkeiten bei der Förderung.
Einstufung der Revolutionsgarden (IRGC) als Terrororganisation
Im EU-Parlament wird darauf hingearbeitet, die IRGC auf die Terrorliste zu setzen, momentan fehlt noch die Zustimmung einiger Mitgliedsstaaten. Auch wenn dies politisch ein wichtiges Zeichen wäre, müssen wir uns dennoch eines bewusst machen: In der Vergangenheit wurden militärische Interventionen westlicher Staaten oder der NATO in Regionen des Mittleren Ostens meist mit „Terrorismusbekämpfung“ legitimiert, aber es ist klar, dass eigentlich die Ausweitung des eigenen wirtschaftlichen und politischen Einflussbereiches im Mittelpunkt stand.
Gerade im Kontext des Krieges in der Ukraine und des damit einhergehenden Verlustes für den Westen von Russland als billiger Öl- und Gasquelle dürfen wir uns nicht vormachen, westliche Staaten würden aus moralischen Gründen „demokratische“, neoliberale Kräfte in Iran unterstützen und sich, wenn auch sehr zaghaft, gegen das Islamische Regime stellen. Werden die IRGC als Terrororganisation eingestuft, öffnet das aber auch die Tür für direktere Interventionen.
Zusammenbruch rechter Koalition?
Die Anfang des Jahres angekündigte Koalition konservativer und liberaler Kräfte, konnte ihren Zusammenhalt nicht mal bis zum Ende des Monats bewahren. In den letzten Tagen versucht ein Teil von ihnen mit einem Hashtag den Sohn des Shahs, Reza Pahlavi, zum Anführer dieser Bewegung zu bevollmächtigen. Einerseits ist dies, sowie die faschistischen Kräfte an der Basis des monarchistischen Flügels, den Neoliberalen wohl doch zu radikal und sie beginnen sich abzuwenden. Andererseits erfährt diese „Koalition“, die nur das Gesicht, aber nicht die politischen und ökonomischen Machtstrukturen im Iran an sich verändern will, vor allem in der Bewegung vor Ort deutlichen Widerstand. Zwar können sie in westlichen Städten und auf Social Media-Plattformen gelegentlich viele Menschen mobilisieren, aber auf den Straßen Irans haben sich auch nach über 120 Tagen Protest keine bedeutenden Menschenmengen hinter sie gestellt. Auch wenn das Regime versucht sie zu nutzen, um von den emanzipatorischen Forderungen der Proteste abzulenken, indem sie z.B. mit Plakaten zur Unterstützung Pahlavis Demos infiltrieren, erfahren sie von den Menschen dort immer wieder klare Absagen. Wir freuen uns, dass diese konterrevolutionären Kräfte sich selbst entlarven und hoffentlich bald wieder in ihre Bedeutungslosigkeit verschwinden können.
Fazit
Nach wie vor sind es weder irgendwelche liberalen Koalitionen und Celebrities der Diaspora, noch westliche Staaten, die in der Revolution in Iran etwas zu sagen haben oder etwas zum Guten verändern werden. Es liegt im Wesen jedes Staates, imperialistisch zu handeln um die eigene Wirtschaft am Laufen zu halten – das dürfen wir nie vergessen.
Die Revolution sind die Menschen auf den Straßen in Iran, in Baluchistan, in Kurdistan; die Arbeiter*innen, die Frauen und LGBTIQ, die Jugend und die Studierenden. Die selbstorganisierten lokalen Komitees und Organisationen, die Netzwerke zur Unterstützung der Familien von Gefangenen und Märtyrer*innen.
Sie sind die Stimme der Zukunft. Hören wir zu was sie sagen und unterstützen wir sie wo wir können!
Komitee Mahabad International
21.01.2023
passiert am 21.01.2023