Gehasst von Rockern, Clans und Linken: Berlins SPD verliert ihren Sicherheitsexperten
Tom Schreiber brachte die Anliegen von Polizei und Feuerwehr in die Politik und setzte die Alex-Wache durch. Er erklärt, was Politik „so hässlich“ macht.
Mit den Wahlen zum Abgeordnetenhaus hat die Berliner SPD nicht nur Sitze im Parlament verloren. Sie verliert auch ihren versiertesten Sicherheitsexperten: Tom Schreiber. Wie kein anderes Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses kennt sich Schreiber bei der Polizei und der Feuerwehr aus.
Der 44-Jährige hatte es seit 2006 bei vier Wahlen als Direktkandidat für den Wahlkreis 5 Treptow-Köpenick ins Abgeordnetenhaus geschafft. Schreiber war unter anderem Sprecher für Verfassungsschutz, Inneres und für Queer-Politik sowie der G10-Kommission, die die Arbeit des Verfassungsschutzes kontrolliert.
Fast keine Woche verging bei ihm ohne eine Hospitation, bei der er eine Einsatzhundertschaft begleitete oder sich die Arbeit von Zielfahndern und Kriminaltechnikern anschaute. Und so qualifizierte er sich zum Übersetzer aus der Polizeipraxis für die Politik und das Parlament. Schreiber brachte Themen wie Clan-, Rocker- und Organisierte Kriminalität in die Öffentlichkeit und forderte eine Verstärkung des Landeskriminalamtes.
Tom Schreiber steht unter Polizeischutz
Dabei konnte er auch seine eigenen Genossen nerven. Immer wieder forderte er eine Verstärkung des Basisdienstes bei der Polizei und mehr Uniformierte auf der Straße. Die Alex-Wache war seine Idee, die er 2016 in den Koalitionsvertrag mit Grünen und Linke schreiben ließ. Jahrelang hat er sich zudem für die Aufstellung einer weiteren, einer 17. Einsatzhundertschaft eingesetzt – und war jetzt erfolgreich. Ab September soll diese in den örtlichen Direktionen 1 bis 4 die Polizeiabschnitte unterstützen und damit die Straßenpräsenz in den Bezirken stärken, die nicht unmittelbar zur Innenstadt gehören.
Tom Schreiber steht unter Polizeischutz. Denn er wird von vielen gehasst: von kriminellen Rockern, von Neonazis und von Linksextremisten. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen ist er für ein hartes Vorgehen gegen Straftäter, die in der Autonomen-Hochburg „Rigaer 94“ Unterschlupf gefunden haben. Die Linksextremisten rächen sich an ihm unter anderem mit öffentlichen Fahndungsplakaten zu seiner Person.
Die können nun aufatmen. Denn beim Gerangel um die vordersten und damit sichersten Listenplätze siegten andere Parteifreunde. Wegen offensichtlicher Absprachen hinter seinem Rücken verzichtete Schreiber bei der Wahl 2021 ganz auf einen Listenplatz – und zog als Direktkandidat wieder ins Parlament ein. Bei der Wiederholungswahl galten die alten Listen – und Schreiber verlor gegen einen bislang völlig unbekannten CDU-Kandidaten. Der Furor, mit dem die Wähler die regierende rot-grün-rote Koalition abstraften, fegte auch Schreiber aus der Politik.
Tom Schreiber sagt: „In der Politik kommt nicht derjenige weiter, der die meiste Kompetenz, sondern wer die besten Netzwerke hat.“ Das sei es, was Politik auch hässlich mache und was Nachwuchs und Seiteneinsteiger abschrecke. „Ginge es nach Leistung, dann würden etliche Listen aller Parteien anders aussehen.“ Schreiber bezeichnet sich als jemanden, der lieber „draußen“ bei den Leuten sei als bei denen, die Netzwerke bilden und auf eigene Mehrheiten hoffen.
Im Gespräch klingt nicht durch, dass er sauer wäre. „Es war klar, dass ich das nicht bis an mein Lebensende machen werde“, sagt er. Schreiber, der Erziehungswissenschaft und Politikwissenschaft studiert hat, weiß noch nicht genau, wie es für ihn weitergeht. Seit fünf Jahren hat er einen Lehrauftrag an der Hochschule für Wirtschaft und Recht und unterrichtet dort den Polizeinachwuchs. Er wolle erst einmal durchatmen, sagt er. Sich erholen. Die Politik sei auch ein Hamsterrad.
[nach der letzten Wahl versprach Tom Schreiber „das Ende der Rigaer 94 in dieser Legislaturperiode“. Mit Bedauern nehmen wir Abschied von einem der unterhaltsamsten Politclowns der letzten Jahre. R.I.P.]
passiert am 15.02.2023