Aufruf zu Gewalt an Lina E.: Rechtsextremist Sven Liebich in Chemnitz vor Gericht
Die Szenegröße rief den Insassinnen des Chemnitzer Frauengefängnisses zu, sie sollten eine Mitgefangene angreifen. Vor Gericht behauptete er, es sei nur um „ein lustiges Video“ gegangen.
Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt nennt Sven Liebich einen der „bekanntesten Einzelakteure der rechtsextremistischen Szene im südlichen Sachsen-Anhalt“. Der 52-Jährige aus der Nähe von Halle ist regelmäßig auf Demos von Flüchtlingsgegnern, Corona-Leugnern und Putin-Unterstützern zu Gast. Und war zuletzt auch des Öfteren vor Gericht anzutreffen.
Das Landgericht Halle verurteilte ihn unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer zehnmonatigen Bewährungsstrafe. Am Amtsgericht Halle wurde laut MDR zuletzt eine neue Anklage eingereicht. Und nun musste sich Liebich vor dem Amtsgericht Chemnitz verantworten. Der Vorwurf an ihn und drei Mitangeklagte: die öffentliche Aufforderung zu Straftaten.
Liebich und die drei Begleiter waren am 30. Mai 2021 auf dem Rückweg von einer Kundgebung in Zwönitz zum Frauengefängnis am Südring gefahren. Vor der Mauer der JVA stehend schrie Liebich mit einem zur „Flüstertüte“ umfunktionierten Absperrkegel in Richtung der Insassinnen und forderte sie auf, einer Mitgefangenen Gewalt anzutun.
Aktion gefilmt und auf Telegram verbreitet
Bei dieser Mitgefangenen handelt es sich Lina E. aus Leipzig. Sie sitzt in der JVA in Untersuchungshaft. Wegen des Vorwurfs der Bildung einer kriminellen linksextremen Vereinigung muss sich die junge Frau mit weiteren Mitangeklagten vor dem Oberlandesgericht Dresden verantworten. Dabei geht es um gewalttätige Übergriffe auf Vertreter der rechtsextremen Szene. Der bundesweit beachtete Prozess hat Lina E. zur Symbolfigur werden lassen – sowohl für ihre Unterstützer als auch für Rechtsextreme.
Konkret rief Liebich damals: „Lina E. darf nie wieder dieses Gefängnis verlassen als lebende Person. Gebt Lina E. eine ordentliche Abreibung, wenn ihr sie erwischt.“ Einer der Begleiter Liebichs filmte die Aktion, das Video wurde auf Telegram hochgeladen. Es wurde bis heute mehr als 10.000 Mal aufgerufen. Derzeit ist es nicht mehr zu finden. Lina E. wurde im Übrigen nicht angegriffen.
Vor Gericht gab Liebichs Verteidiger an, sein Mandant habe nur „ein lustiges Video“ für seinen Telegram-Kanal machen wollen. Es sei nie darum gegangen, Lina E. zu töten, auch sei mit dem Wort „Abreibung“ keine körperliche Gewalt gemeint gewesen. Überdies sei Liebich bewusst gewesen, dass seine Rufe in dem Häftlingstrakt nicht wahrnehmbar seien.
Waren die Äußerungen in der JVA zu verstehen?
Letzteres war Dreh- und Angelpunkt des Verfahrens. Das Gericht hatte ein Gutachten zur Wahrnehmbarkeit der Äußerungen im Gefängnis eingeholt. Es kam zu keinem klaren Fazit. Offen bleibt also, ob die Wortlaute Liebichs in der JVA zu verstehen waren – und nur dann wären sie strafbar. In dem Video selbst ist allerdings deutlich zu hören, wie eine Insassin „Halt’s Maul, Wichser! Verpiss Dich!“ zurückbrüllt.
Dennoch einigten sich die Prozessbeteiligten auf eine Einstellung des Verfahrens. Im Falle der drei Mitangeklagten ohne jegliche Auflagen. Im Falle Liebichs verbunden mit einer Geldauflage in Höhe von 1200 Euro. Diese Geldauflage hatte Liebich der Ableistung von 100 Stunden gemeinnütziger Arbeiten vorgezogen. (mit micm)
Kommentar: Mehr Aufwand nötig
Der Aufruf zur Gewalt ist keine Bagatelle und kann selbst ohne, dass es tatsächlich zu einem Übergriff kommt, mit fünf Jahren Haft bestraft werden. Umso verwunderlicher ist es, dass Staatsanwaltschaft und Gericht nicht mehr Anstrengungen unternommen haben, um zu klären, ob die Äußerungen nun im Gefängnis zu hören waren, oder nicht. Dafür sprechen die im Video deutlich zu verstehenden Rufe der Insassinnen. Sie beweisen noch nicht, dass die Wortlaute und damit die Gewaltaufforderung Liebichs klar verstanden wurden. Klären können hätte man das aber, indem diese Insassinnen oder JVA-Bedienstete als Zeugen geladen worden wären. Das wurde versäumt.
passiert am 23.02.2023