Oberlandesgericht schüchtert JournalistInnen ein

Fabian Kienert von Radio Dreyeckland wird nun doch eine Einladung zur strafrechtlichen Hauptverhandlung vor der Karlsruher Staatsschutzkammer des Landgerichts Karlsruhe bekommen

Wie hier am 15.05.2023 [Anklage gegen einen Journalisten von Radio Dreyeckland (RDL) wegen Verlinkung des Archivs von linksunten.indymedia] und 19.05.2023 [Ein erfreuliches Ergebnis mit ein paar Wermutstropfen] berichtet, wurde Fabian wegen eines Links in einem Artikel auf Webseite von RDL vor dem Landgericht Karlsruhe angeklagt, das die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Fabian aber ablehnte. Das angebliche Vergehen: Der Link führte zum Archiv von linksunten.indymedia. Huhu – wo kämen wir da auch hin, wenn sich der viel beschworene „mündige Bürger“ und auch auch die mündigen Bürger*innen ein eigenes Bild von linksunten machen würden…

Dass nun das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart die Hauptverhandlung jetzt doch eröffnet hat (s. z.B. golem.de und heise.de – jeweils vom 13.06.2023), kommt schon recht überraschend. Es war zwar schon nach dem Beschluss des LG vor allzu viel Euphorie gewarnt worden1, aber das ändert nichts daran, dass das Ganze ein ziemlich ungutes Geschmäckle hat.

Ein OLG-Beschluss mit wenig Auseinandersetzung mit der aufgehobenen LG-Entscheidung

Auffällig ist vor allem, dass das OLG auf die sehr ausführlichen Begründungen für den Nicht-Eröffnungs-Beschluss des Landgerichts kaum eingegangen ist (es beschäftigt sich zwar teilweise mit denselben Fragen wie das Landgericht; nimmt auch teilweise abweichende Bewertungen vor, aber geht kaum auf die Gründe ein, die das LG für seine Bewertung anführte2). Es werden im Prinzip nur zwei ‚Argumente‘ vorgebracht, die man nur mit viel Wohlwollen überhaupt als Argumente gelten lassen kann.

Das OLG ist der Ansicht, es sei überwiegend wahrscheinlich, dass Kienert am Ende verurteilt werden müsse. Dies sei deshalb überwiegend wahrscheinlich, weil zum einen ebenfalls überwiegend wahrscheinlich sei, dass der unterstütze verbotene ‚Verein‘ noch existiere und zum anderen wiederum überwiegend wahrscheinlich sei, dass Kienert diesen ‚Verein‘ durch Verbreitung (nämlich Verlinkung) dessen „Gedankengut“ (sapere aude3 – war einmal…), unterstützt habe.

Was den ersten Punkt anbelangt, so untermauert das Oberlandesgericht seine Prognose kaum mit Tatsachen oder auch nur Anhaltspunkten. Dies kritisiert auch Kienerts Anwältin Angela Furmaniak in einen Interview (https://www.freie-radios.net/122659; ab Min. 5:11).

So stützt sich das OLG hinsichtlich seiner These, dass die verbotene Vereinigung linksunten.indymedia wahrscheinlich nach wie vor existiere, vor allem darauf, dass die alte URL seit 2020 wieder mit Inhalten bestückt ist, ohne der Frage nachzugehen, welche Leute – dankenswerterweise – dafür gesorgt haben, dass dort wieder Inhalte zu lesen sind. Letzterer Aspekt ist aber entscheidend, wenn es um die Frage geht, ob der alte BetreiberInnenkreis weiterhin existiert.

Hat sich Kienert strafbar gemacht?

Zu dem anderen Punkt: Das OLG hält es für überwiegend wahrscheinlich, dass für Kienert „die Information der Öffentlichkeit über Propagandatexte“ einer verbotenen Vereinigung (d.h.: über die URL des linksunten-Archivs) „nur ein Vorwand“ war, „um in Wahrheit die mit den Texten angestrebte propagandistische Wirkung für die dem Verbot unterliegende Vereinigung zu erzielen“ (S. 15 unten / 16 oben des OLG-Beschlusses4).
Dies sei jedenfalls dann5 nicht nur straflose Sympathiewerbung (dass bloße Sympathiewerbung nicht unter Strafandrohung steht, wird auch vom OLG anerkannt!), sondern strafbare Unterstützung, wenn das identifikatorische / zu eigen machende Informieren der Öffentlichkeit über die Propagandatexte der Vereinigung die Form der Verbreitung/Verlinkung dieser Texte annimmt:

Daraus lässt sich schlußfolgern:
• Es muss sich (nach Ansicht des OLG) um Verbreitung handeln – damit es mehr als (Sympathie-)Werbung ist;
und außerdem gilt (nach Ansicht des OLG)
• die Verbreitung muss identifikatorisch erfolgen – damit die Presse- bzw. Rundfunkfreiheit (wegen ‚Missbrauchs‘ o.ä.) zurücktritt:

Mit anderen Worten:
Bloße Werbung ist zwar – auch nach Ansicht des OLG – straflos; aber Werbung + Verbreitung von Propagandamitteln eines verbotenen Vereins sei strafbare Unterstützung dieses Vereins.

Es ist also – nach dem Maßstab des OLG – zu prüfen,
(1.) ob eine Verlinkung eine Verbreitung ist
und
(2.) ob Fabians Kienerts Artikel identifikatorisch ist
Und es ist
(3.) noch – in der immanenten Logik des geltenden Rechts – zu prüfen, ob diese beiden Voraussetzungen nach der tatsächlichen Gesetzeslage für die Strafbarkeit (als Unterstützung) ausreichen.
Schließlich könnte noch gefragt werden, was gegebenenfalls nötig wäre, um das geltende Recht zu ändern oder umzustürzen – aber der hiesige Artikel soll nicht mit Themen überladen werden.

Lassen wir im Moment auch beiseite, dass – wie das Oberlandesgericht selbst sagt – bloße (Sympathie-)Werbung nicht strafbar ist und betrachten nur den Tatbestand der Unterstützung.
Die juristisch entscheidende Frage lautet also: Kann die Setzung eines Links auf Propagandamittel eines verbotenes Vereins eine Unterstützung dieses Verein sein, wenn gleichzeitig aber die Unterstützung von der bloßen (Sympathie-)Werbung zu unterscheiden ist? Und lassen wir hier nun wiederum die Frage außen vor, ob der BetreiberInnenkreis von linksunten überhaupt noch existiert. (Man sieht schon, es gibt in diesem ganzen Verfahren so viele Wenns und Abers, dass unverständlich ist, wie das Oberlandesgericht zu der Annahme gelangen konnte, es sei überwiegend wahrscheinlich, dass Kienert eine – verbotene und zum Tatzeitpunkt trotzdem noch existierende – Vereinigung unterstützt hat. Umso näher liegt die Vermutung, dass dieser Entscheidung tatsächlich tieferliegende politische Motive zugrunde liegen.)

Verlinkung ist keine Verbreitung

Nehmen wir zunächst einmal an, Kienerts Anliegen, die Öffentlichkeit zu informieren, sei tatsächlich nur Vorwand gewesen (was der Artikel bei objektiver Betrachtung nicht hergibt, wie das Landgericht schon richtig festgestellt hat6), dann ist dem Oberlandesgericht als erstes entgegenzuhalten, dass Verlinkung keine Verbreitung ist:

Denn Verbreitung setzt – jedenfalls in der Regel – eine physische Weitergabe voraus. Die Ausnahmen, die von der herrschenden juristischen Meinung von dem Erfordernis der körperlichen Weitergabe gemacht werden (eine Datei wird per mail versandt; gedruckte Broschüren werden abgesandt, aber gehen auf dem Postweg verloren; ein Plakat wird aufgehängt und lässt sich nur um den Preis der Zerstörung entfernen [also nicht von einer anderen Person in Besitz nehmen]; Flugis werden ausgelegt, aber landen gleich danach im Müll), sind bei einer bloßen Linksetzung nicht einschlägig:
Denn ein Link-SetzerIn hat weder die (technische) Kontrolle über den Bereitstellungsort (= Server der Webseite, die verlinkt wird), noch über das Verhalten seiner Leserschaft:
• Der/Die LinksetzerIn besitzt also gar nichts, was er/sie anderen zur Verfügung stellen könnte.
und,
• es liegt in der Entscheidung der LeserInnen, ob sie einen Link anklicken oder nicht. Der Link ist – jedenfalls für sich – nur eine Quellenangabe bzw. ein Hinweis – ähnlich einer Fußnote in einem gedruckten Buch oder einem wissenschaftlichen Zeitschriften-Aufsatz: Der/die AutorIn, der/die die Fußnote setzt, verbreitet damit nicht die Quelle, die in der Fußnote genannt ist.

Trotzdem hat – ebenfalls – das Oberlandesgericht Stuttgart bereits 2006 entschieden:
„die Frage […], ob der Linksetzer als Täter oder Gehilfe einzuordnen ist, [kann] letztlich offen bleiben. Der Senat neigt allerdings dazu, die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme von den im jeweiligen Tatbestand vorausgesetzten Handlungsformen abhängig zu machen und nach den auch sonst üblichen Kriterien vorzunehmen. Das Setzen eines – wie hier – direkten Links auf strafbare Inhalte wird das Zugänglichmachen regelmäßig in der Form der Täterschaft erfüllen (vgl. Stadler, Haftung im Internet, 2. Aufl. Rn 183; Malek, Strafsachen im Internet Rn 135), da mit einem Seitenaufruf verbundene Schwierigkeiten beseitigt und die Verbreitung strafbarer Inhalte wesentlich beeinflusst werden können (Heghmanns JA 2001, 71, 73; Satzger CR 2001, 109).“ (Urteil vom 24.4.2006 zum Aktenzeichen 1 Ss 449/05; http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=7170, Textziffer 14)

Und der Bundesgerichtshof hatte 1975 – aus Anlass der Beschlagnahmung von Broschüren, die den KPD-Programmentwurf von 1968 enthielten – entschieden, dass die Verbreitung von Propagandamitteln verbotener Organisation (§ 86 StGB) auch Unterstützung dieser Organisationen sei oder zumindest sein können:
„§ 84 StGB n.F. ist auch neben § 86 StGB n.F., […], anwendbar. Er sollte durch diese Vorschrift nicht eingeschränkt werden.“
(BGH, Urteil vom 17.12.1975 zum Aktenzeichen 3 StR 4/71 I; https://research.wolterskluwer-online.de/document/8054a460-efed-411b-aa31-e12b4230f1db, Textziffer 107)

In dem Verfahren gegen Fabian geht es zwar nicht um § 84 StGB, sondern um § 85 StGB – aber das, was § 84 StGB in Bezug auf verbotene Partei sagt, sagt § 85 StGB in Bezug auf verbotene Vereine/Vereinigungen.

Abgesehen von den in FN 7 genannten juristischen Einwänden gegen die BGH-Entscheidung aus dem Jahre 1976 gibt es auch einen wichtigen faktischen Unterschied zwischen dem damaligen Fall und aktuellem Fall. Im Falle der KPD ging es um einen gedruckten Programmentwurf, bei dem man zumindest eine physische und möglicherweise auch finanzielle Aufwendung voraussetzen kann, die dann vielleicht als „Unterstützung“ durch diejenigen, die Arbeitskraft und Geld zur Verfügung gestellt haben, klassifiziert werden kann.
Kienert hat aber seine eigenen Gedanken in seinem Artikel zum Ausdruck gebracht und den Link zum Archiv von linksunten bloß als zusätzliche Informationsquelle (wie das guter journalistischer Usus ist) hinzugefügt. Dies als ‚Unterstützung‘ auszulegen, dürfte – unabhängig von der Frage, ob der BetreiberInnenkreis von linksunten zum ‚Tatzeitpunkt‘ noch existierte oder nicht – die Gesetzestexte überstrapazieren.

Die Aussichten für den Kollegen Kienert

Sind die Aussichten für den Kollegen Kienert also düster? – Nicht unbedingt:

• Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Bundesgerichtshof 50 Jahre später doch noch dazu bequemt, die die Systematik des Strafgesetzbuches und den diesbezüglich gesetzgeberischen Willen zu beachten: „Einigkeit bestand unter den Ausschußmitgliedern darüber, dass auf die §§ 84, 85 StGB i. d. AF [= Ausschussfassung (im Unterschied zum vorhergehenden Regierungsentwurf)] und § 20 Vereinsgesetz nicht zurückgegriffen werden darf, wenn dies auf eine Umgehung der in § 86 StGB i. d. AF beschlossenen Einschränkungen hinauslaufen würde.“ (Bundestags-Drucksache V/2860; https://dserver.bundestag.de/btd/05/028/0502860.pdf, S. 9)

• Es ist auch nicht auszuschließen, dass sich die Gerichte davon überzeugen lassen, dass es Quatsch ist, von der Zugänglichmachung von etwas, das ohnehin bereits Allgemein-zugänglich ist, zu sprechen.

• Und die allererste Frage ist: Existierte die angeblich unterstützte Vereinigung zum angeblichen Unterstützungszeitpunkt überhaupt noch? – Diesbezüglich hat das Oberlandesgericht nur die ‚überwiegende Wahrscheinlichkeit‘ bzw. den ‚hinreichenden Tatverdacht‘ bejaht. Für eine Verurteilung Kienerts (statt bloß Eröffnung des Hauptverfahrens) müsste das Landgericht Karlsruhe aber – rechtsfehlerfrei – zur „Überzeugung“ gelangen, dass die Vereinigung zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Kienerts Artikel tatsächlich (noch) existierte.

• Und die letzte der in diesem Artikel bisher behandelten Fragen ist: War Kienerts Artikel – wie das Oberlandesgericht für „überwiegend wahrscheinlich“ hält – tatsächlich ein bloßer „Vorwand […], um in Wahrheit die mit den Texten angestrebte propagandistische Wirkung für die dem Verbot unterliegende Vereinigung zu erzielen“? Oder hat Kienert ausschließlich – wahr – berichtet und – zulässigerweise – das Verbot kritisiert?

• Außerdem stellt sich dann noch die in diesem Artikel bisher nicht angesprochene ganz grundsätzliche Frage: Ist ein Strafgesetz, das in seinem Tatbestand auch Äußerungen (zum politischen Zeitgeschehen) erfasst, die weder ehr-verletzend noch dem Jugendschutz abträglich sind, überhaupt verfassungsgemäß? Oder ist ein solches Gesetz nicht ein Musterbeispiel für ein Gesetz, das sich gegen „Meinungsäußerung[en …] als solche“ – d.h. gegen deren staatlicherseits politisch unerwünschte „geistig[e] Wirkung“ – richtet und deshalb verfassungswidrig ist?

Wie soll also die Kombination von lauter(en) Elementen/Handlungen/Haltungen, die jeweils für sich nicht strafbar sind, im Ergebnis trotzdem eine Straftat darstellen? Ist das die Hohe Schule des juristischen Argumentierens?

Allein gute Argumente werden aber nicht ausreichen, um das Landgericht und vor allem den Bundesgerichtshof und das Bundesverfassungsgericht zu zutreffenden Entscheidungen zu bewegen, es gilt also weiterhin wachsam zu bleiben und eine breitere Öffentlichkeit für den Fall herzustellen und auch Menschen zu mobilisieren, denen an ihrer eigenen Meinungsäußerungsfreiheit mehr liegt als an der Freiheit zu Äußerungen und Freiheit der Berichterstattung über linksunten.indymedia. Dafür gibt es durchaus Ansatzpunkte:

Die Entscheidung des OLG: Ein Einschüchterungsversuch für die Medienschaffenden?

Darauf, dass das Verfahren gegen ihn selbst auch auf alle anderen Medienschaffenden einen Einschüchterungseffekt hat, hat Fabian selbst schon hingewiesen:
„Die Kriminalisierung belastet nicht nur mich, sondern verunsichert Journalist:innen in der ganzen Republik. Es muss möglich sein, kritisch über Vereinsverbote zu berichten, ohne sich direkt dem Vorwurf auszusetzen, eine verbotene Vereinigung zu unterstützen.“
Dies bestätigt auch der Geschäftsführer des Landesverbandes Baden-Württemberg des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Gregor Schwarz: Er spricht von einem „Einschüchterungspotenzial“, das die OLG-Entscheidung habe.

Aber offensichtlich wird aktuell die Grenze zwischen [angeblich] (staatlich) akzeptiertem politischen Spektrum und Kriminalisierungspotential einem brisanten Stresstest unterzogen8. Man darf gespannt sein, ob diejenigen, die in der Gefahr stehen, als grenzwertig eingestuft zu werden, darauf anders als mit Angst reagieren werden.

PS.:
Siehe auch den Artikel von dg und mir de.indymedia vom 23. Juni 2023: https://de.indymedia.org/sites/default/files/2023/06/Achim_u_dg_zu_OLG_Stuttgart__FIN.pdf (18 Seiten).

[1] Siehe dazu EmRaWi vom 20.05.2023 (Abschnitte „Problematische Punkte in der Landgerichts-Entscheidung“ und „Resümee“); de.indymedia vom 19.05.2023 (Eine Warnung vor voreiliger Entwarnung und eine (weitere) erfreuliche Neuigkeit) und Artikel in der Freitag-Community vom 19.05.2023 (Abschnitt „Die Staatsanwaltschaft kann Beschwerde einlegen“).
[2] So wies das Landgericht zur Bebilderung von Fabian Kienerts Artikel auf folgendes hin: Die „Bebilderung [wird] – wenn auch in einer kleingeschriebenen, in der Presse aber üblichen Bildunterschrift – dadurch relativiert, dass hinsichtlich des auf der Hauswand zu lesenden Schriftzugs ‚Wir sind alle linksunten‘ angemerkt wird: ‚ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.‘ Eine eindeutig unterstützende Zielrichtung kann folglich auch insoweit nicht konstatiert werden.“ (S. 26)
Diese Bild-Beschriftung und deren Bewertung durch das Landgericht wird aber an keiner Stelle des OLG-Beschlusses erwähnt.
[3] wage, selbst zu denken (wörtlich: wage, weise zu sein).
[4] Die Grenze zur Strafbarkeit bei der Wiedergabe fremder Texte ist aber überschritten, wenn die Information der Öffentlichkeit über Propagandatexte verbotener Vereinigungen nur ein Vorwand ist, um in Wahrheit die mit den Texten angestrebte propagandistische Wirkung für die dem Verbot unterliegende Vereinigung zu erzielen (BGH, Urteil v. 09.04.1997, 3 StR 387/96). Es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Artikel als eine solche Propaganda anzusehen sein wird.“
[5] Wo genau nach Ansicht des OLG die Grenze zwischen „(Sympathie-)Werbung“ und „Unterstützung“ zu ziehen ist, wird in dem Beschluss nicht deutlich.
[6] „Die […] Ermittlung des Aussagegehalts des hier in Rede stehenden Artikels ergibt keine eindeutig für die verbotene Vereinigung fürsprechende Zielrichtung.“ (S. 24 des Landgericht-Beschlusses vom 16. Mai 2023)
[7] Höre bzw. lies kritisch zu dieser Entscheidung:
• https://www.freie-radios.net/120448 vom 18.02.2023.
• Becker, in: Matt/Renzikowski, Strafgesetzbuch, 20202, § 84, RN 7: „Wer zwar Propagandaschriften herstellt oder verbreitet, ohne aber dabei im gesamten Prozess der Organisationspropaganda als prägende Gestalt“ – das heißt: als sog. „Rädelsführer oder Hintermann“ i.S.v. § 84 Absatz 1 StGB (und entsprechend: § 85 Absatz 1 StGB) – „zu erscheinen, kann sich […] allenfalls nach § 86, nicht jedoch tateinheitlich nach § 84“ – und entsprechend: nicht nach § 85 StGB – „strafbar machen.“
• „§ 86 ist lex specialis zu § 84 Absatz 2 (vgl. 32).“ (Sonnen, in: Reihe Alternativkommentare.Kommentar zum Strafgesetzbuch. Band 3, Luchterhand: Neuwied/Darnstadt, 1986, § 84, RN 39)
„lex specialis“ bedeutet „speziell(er)es Gesetz“. Es gilt die juristischen Regel, das das speziellere Gesetz das allgemeinere Gesetz verdränge (https://de.wikipedia.org/wiki/Lex-specialis-Grundsatz).
(Die beide Zitate sind von mir angeführt nach: https://blogs.taz.de/theorie-praxis/olg-stuttgart-blosse-sympathiewerbung-ist-nicht-strafbar/ vom 18.06.2023.)

passiert am 24.06.202