SexWorker gegen das Nordische Modell
Sexworker gegen das „Nordische Modell“
Wir sind eine Gruppe Sexarbeiter*innen aus verschiedenen Bereichen der Branche, wir arbeiten in Stripclubs, in der Porn-Industrie, in Bordellen und für Eskort-Agenturen und organisieren uns derzeit gegen die (uns) drohende rechtskonservative Entwicklung in Deutschland, welche Sexarbeit weiter stigmatisiert, kriminalisiert und sogar verbieten möchte.
Die CDU/CSU drängt seit Beginn des Jahres darauf, die Gesetzeslage in Deutschland zum Thema Sexarbeit und „Prostitutionsschutzgesetz“ zu verändern – und Sexarbeit in Deutschland noch stärker zu kriminalisieren und zu verbieten. Im Februar 2024 wurde dieser Vorstoß der CDU/CSU bereits im Bundestag unter großer medialer Aufmerksamkeit diskutiert. Vorgeschlagen und angestrebt wird hierbei unter anderem die Einführung des sogenannten „Nordischen Modell“ in Deutschland.
Was ist das „Nordische Modell“?
Das Nordische Modell baut auf der Annahme auf, dass Sexarbeit, also das Anbieten von sexuellen Dienstleitungen für Geld, grundsätzlich als Gewalt anzusehen ist, und ein Hindernis für die Gleichstellung der Geschlechter sei. Das Nordische Modell zielt darauf ab, die Nachfrage nach Sexuellen Dienstleistungen zu bremsen, indem die Inanspruchnahme davon, also „Freier“ oder Kunde sein, strafbar gemacht wird. 1999 war Schweden das erste Land der Welt, das den Kauf von Sexualdienstleistungen kriminalisiert hat. Norwegen und Island (2009), Kanada (2014), Nordirland (2015), Frankreich (2016), der Republik Irland (2017) und Israel (2018) haben Gesetze dieser oder ähnlicher Art erlassen.
Sexkaufverbot zum Schutze von… wem?
Offiziell wird propagiert, dass die gesetzliche Kriminalisierung von Sexkauf dem „Schutz der Frauen“ dienen soll – sowohl der Personen die als Sexarbeiter*innen arbeiten, als auch der Gesamtheit der „Frauen in der Gesellschaft“, die angeblich durch die Existenz von Sexarbeit im Bestreben der Geschlechtergerechtigkeit gehindert werden. Diese Diskursstrategie kennen wir sowohl aus dem Kontext des sogenannten Selbstbestimmungsgesetzes für trans Personen als auch von queerfeindlichen Anti-LGBTQ Bewegungen: der angebliche Schutz von „guten“ und „schützenswerten“, als potenzielle universale Opfer imaginierte Frauen und die bürgerliche Kleinfamilie wird herangezogen, um die Rechte von marginalisierten Menschengruppen im Rahmen der Durchsetzung rechtskonservativer Gesellschaftsideale massiv einzuschränken.
Nordic Model und verschlechterte Arbeitsbedingungen
Die Praxiserfahrungen aus den Ländern, in denen das Nordische Modell bereits umgesetzt ist, zeigen deutlich, dass dessen Einführung in keinster Weise zu den Effekten und Zielen führt, die erreicht werden sollen. Im Gegenteil: statt die Nachfrage zu beenden führt das Verbot, wie auch in anderen Kontexten zu unübersichtlicheren, schlechteren und gefährlicheren Bedingungen.
Es gibt weiter und überall Sexarbeit, es steigt jedoch das Risiko durch Kriminalisierung enorm und Arbeitsbedingungen verschlechtern sich massiv.
→ Durch höheren Konkurrenzdruck fallen die Preise für die angebotenen sexuellen Dienstleistungen.
→ Durch die verschlechterten Preise erhöht sich der Druck, auch Kunden anzunehmen, die man unter anderen Umständen lieber ablehnen würde, zB. berauschte oder aggressiv wirkende Kunden.
→ Durch den gesteigerten Diskretionsbedarf der Kunden wird die Sexarbeit in abgelegene Straßen abgedrängt. Verhandlungen zwischen Sexarbeiter*in und Kundschaft müssen hastig unter Zeitdruck durchgeführt werden, mit nervöser Atmosphäre, was es schwieriger macht die Kunden einzuschätzen und sicherheitsrelevante Eindrücke zu sammeln. Wenn Bordelle dicht sind und Stundenhotels schärferen Kontrollen unterliegen, müssen wir uns öfter auf die Orte einlassen, die Kunden vorschlagen. Das macht unsere Arbeit unsichtbarer und gefährlicher.
→ Im Rahmen des Nordischen Modell werden auch Unterstützer*innen von Sexarbeit kriminalisiert. Es wird hierdurch gefährlich, unsere etablierten eigenen Sicherheitsnetzwerke zu nutzen, die uns tatsächlich schützen. Wenn Arbeiter*innen oder auch Allies eine Sicherheits-Struktur hinter einem Sexarbeitstreffen stellen, kann dies juristisch als Zuhälterei ausgelegt werden.
Diese Umstände machen unsere Arbeit viel riskanter, anstatt uns zu schützen.
Diese Umstände vereinfachen es für gewaltbereite Kunden, uns Gewalt anzutun.
Wenn Sexarbeiter*innen im gesellschaftlichen Diskurs, in den Medien und in den Gesetzen weiter stigmatisiert und kriminalisiert werden, senkt dies die Hürde, Sexarbeiter*innen Gewalt anzutun. Der Bevölkerung wird signalisiert, Sexarbeit sei ein Kriminalitätsproblem, entsprechend werden Sexworker zunehmend dem kriminellen Milieu zugehörig wahrgenommen. Wir kennen diese Diskursstrategie von der Ausgrenzung und Stigmatisierung von sowohl Drogenkonsumierenden, als auch von Asylbewerber*innen. Es ist falsch, gefährlich und es ist verdammt wirkmächtig.
Kriminalisierung bedeutet Polizei. Polizei bedeutet nix Gutes
Die Länder, in denen Sexarbeit kriminalisiert ist, lassen vor Allem eines deutlich erkennen: Polizeiliche Befugnisse werden erweitert, Kontrollen und Razzien in bestimmten Stadtteilen und Lokalen nehmen zu. Die Polizei nutzt die Chance, das deutsche Verfolgungsinteresse gegen legalisierte Migration durchzusetzen, indem bei Razzien gegen Sexarbeit maßgeblich Personen ohne gültige Aufenthaltsdokumente festgesetzt werden. Die Polizei, Ehrenleute im feministischen Kampf gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung, nutzt jede Gelegenheit, Personen in Abschiebegefängisse zu stecken und – als heldenhafte Befreiung aus der Sexarbeit – in die Länder zurückzuschieben, aus denen Sie geflohen sind. Über die Hälfte der registrierten SexArbeiter*innen in Dland kommt aus Ländern außerhalb der EU. Die intensive Kontrolle von Sexarbeit wird, das zeigen die praktischen Erfahrungen aus Ländern, in denen das Nordische Modell bereits seit Jahren implementiert ist, die Durchsetzung von restriktivem Aufenthaltsrecht mit sich bringen. Was nach der Abschiebung mit der arbeitenden Person passiert, juckt nicht. Während also die deutsche Frau angeblich geschützt werden soll, werden migrantisierte Personen auf Grundlage desselben Gesetzes abgeschoben.
SexArbeit und Feminismus
Wir als Sexarbeiter*innen müssen uns gegen die Kriminalisierung unseres Berufsfelds und Stigmatisierung von uns als Arbeiter*innen wehren – und wir brauchen hierfür Kompliz*innen und feministischen Zusammenhalt.
Sexarbeit ist eins der großen Streitpunkte in unseren feministischen Debatten, wir wissen – und verstehen auch – dass das Thema Sexarbeit die feministische Szene aufwühlt, kontrovers verhandelt wird und beizeiten spaltet. Wir möchten uns hiermit solidarisch verbündend an euch wenden, und unsere Perspektive mit euch teilen.
Um für bessere und sicherere Arbeitsbedingungen in der Sexarbeit streiten und kämpfen zu können muss es möglich sein, Missstände zu thematisieren ohne die ständige Sorge dass dies ein Schnitt ins eigene Fleisch ist, weil es zur Delegitimierung des Berufs – und somit natürlich auch seiner Arbeitskämpfe führt. Wir haben gesellschaftlich schon genug mit Stigma zu kämpfen, und wir haben auch innerhalb unserer Arbeitsrealitäten oft schon genug mit patriarchalen Chefs und respektlosen Kunden zu tun – wir wünschen uns zumindest innerhalb unserer feministischen Bewegung Unterstützung, dass ihr uns zuhört und uns Glauben schenkt, dass wir als Expert*innen unserer eigene Realität ernstzunehmen sind, auch wenn SexArbeit ein sehr weites, heterogenes Feld ist, welches sehr unterschiedliche Lebens- und Arbeitserfahrungen bedeuten kann. Wir möchten uns in unserer feministischen Bewegung aufgehoben und verstanden, supportet und respektiert fühlen können, wir wollen mit euch gemeinsam beklagen können, was Misstände in unserer Arbeit und unseren Betrieben sind, ohne dabei befürchten zu müssen, euch hiermit die argumentativen Vorlagen zu bieten die ihr schlussendlich gegen uns wendet.
Wir appellieren an alle Feminist*innen, die Kämpfe führen die sich intersektional mit unseren überschneiden, sich in Solidarität auf uns zu beziehen und unsere Selbstbestimmung und politischen Forderungen zu unterstützen!
Wir brauchen eine vollständige Entkriminalisierung der Sexarbeit!Wir fordern ein Ende der Abschiebungen und ein Ende der Polizeigewalt gegen Sexarbeiter*innen! Was uns befreit ist eine volle körperliche Autonomie und Entscheidungsfreiheit in unserem Leben und mit unseren Körpern.
passiert am 08.03.2024