„Kann illegal, kann scheißegal“: Polizei-Adbustings in Berlin
Die Berliner Adbusting-Szene hat wieder zugeschlagen. Mit vierzig selbst gestalteten Postern kritisiert die Kommunikationsguerilla-Gruppe „Polizei abschaffen“ die Polizei. Diese Plakate hing die Gruppe heute unautorisiert in Werbevitrinen der ganzen Berliner Innenstadt. „Der Staatsschutz veranstaltet Hausdurchsuchungen und sammelt DNA-Proben wegen veränderter Werbeplakate, wenn diese das Militär oder die Polizei kritisieren“ erklärt Barbara Jendro, Sprecher*in der Kommunikationsguerilla-Gruppe „Polizei abschaffen“. Gleichzeitig sei man dort nicht in der Lage, die Nazi-Chats der Kolleg*innen zu erkennen oder die Verstrickungen der eigenen Behörde in den „Neukölln-Komplex“ aufzudecken. „Eine Behörde, die lieber mit DNA-Proben und Hausdurchsuchungen beklebten Werbeplakaten hinterher jagt, statt wichtige Dinge zu tun, gehört besser heute als morgen abgeschafft.“
Webpage mit Fakten
Um die Argumente auf den Postern mit Fakten zu belegen, stellte die Gruppe außerdem einen Blog als Landing-Page ins Internet. Unter der Adresse abschaffen.noblogs.org findet man Bilder von der Adbusting-Aktion, einen „Darfschein“ für Aktivist*innen, der Einstellungsbescheide der Staatsanwaltschaft zusammen fasst und eine Liste mit rechten Vorfällen in der Berliner Polizei und verwandten Repressionsbehörden. Diese Adresse findet sich auch auf den Adbustings der Gruppe. Außerdem informiert die Landing-Page über das rechtswidrige Vorgehen der Behörden gegen Adbusting. „Denn die gehen mit Hausdurchsuchungen, dem Analysieren von DNA-Spuren und Meldungen ans Terrorabwehrzentrum GETZ gegen beklebte Werbeplakate vor“, erklärt Sprecher*in Barbara Jendro.
Adbusting-Poster kritisieren die Polizei
„Kann illegal. Kann scheißegal.“ Was auf den ersten Blick wie eine neue Werbekampagne der Polizei aussehen könnte, ist in Wirklichkeit eine Kritik. Denn weiter heißt es: „Statt Polizeigewalt zu hinterfragen, jagen wir lieber Adbuster*innen“ oder „Statt institutionellen Rassismus zu hinterfragen, jagen wir lieber Adbuster*innen.“ Auch das Polizei-Logo entpuppt sich auf den zweiten Blick als Fälschung. Denn der Bär schwingt einen Schlagstock und statt „Polizei Berlin“ lautet die Wortmarke „Polizei abschaffen“. Eine Plakat-Serie mit 40 derartigen Postern brachte die Kommunikationsguerilla-Gruppe „Polizei abschaffen“ unautorisiert in sogenannten Werbevitrinen unter. Diese lassen sich in Berlin meistens mit einem einfachen Rohrsteckschlüssel (Sechskant 8-9mm) aus dem Baumarkt oder einem einfachen 4-Zoll-Innenvierkantschlüssel öffnen.
Was ist legal?
Aber ist das nicht illegal, wenn man ein mitgebrachtes eigenes Poster in eine Werbevitrine im öffentlichen Raum hängt? Wo doch der Kapitalismus üblicherweise den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen Menschen mit viel Geld vorbehält? Ausgerechnet die Staatsanwaltschaft Berlin ist da anderer Meinung. Am 3.12.2019 beschloss Staatsanwält*in Eppert: „Strafrechtlich ist der Sachverhalt (…) wie folgt zu bewerten: Eine Strafbarkeit gemäß § 243 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 StGB kommt nicht in Betracht: Zum einen ist die Anwendbarkeit wegen Abs. 2 StGB fraglich. Zum anderen käme hier nur Versuch in Betracht. Da aber aus anderen Fällen des sog. Adbusting bekannt ist, dass die ursprünglichen Plakate nicht immer mitgenommen, sondern teilweise auch in dem Werbekasten belassen werden, kann hier nicht unterstellt werden, dass die Beschuldigten das ursprüngliche Plakat mitnehmen wollten.“
StA Berlin: Strafbarkeit scheidet aus
Die Entscheidung ist kein Einzelfall. Auch Staatsanwält*in Grenz stellte am 18.5.2020 ein Adbusting-Verfahren mit sofortiger Wirkung ein und verbot die vom LKA beantragte Hausdurchsuchung: „Eine Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls durch das Abhängen der ursprünglich im Schaukasten befestigten Plakate scheidet bereits aus, da die Plakate hinter dem Kasten versteckt aufgefunden wurden. Eine Zueignungsabsicht kann daher nicht festgestellt werden“ (Staatsanwält*in Grenz, 231 Js 1331/20).
GdP: Adbusting ist perfide Perversion
Bei der Staatsanwaltschaft, also den Vorgesetzten der Polizei, ist man also der Meinung: Adbusting mit Werbevitrinen ist nicht strafbar, wenn man nichts kaputt macht oder klaut und ein eigenes Poster mitbringt. Auf Twitter protestierte u.a. Benjamin Jendro, der Berliner Sprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) gegen die Entscheidungen: „Das ist keine Meinungsäußerung, sondern perfide, menschenverachtend und armselig – Kann nicht sein, dass das stärkste Mittel des Rechtsstaats gegen solche Perversion das Kunsturheberrecht ist.“ https://twitter.com/Djeron7/status/1311296266463318019
Lieber heute als morgen abschaffen
„Perfide, menschenverachtend, armselig und vor allem illegal ist eher das Handeln der Polizei“, sagt Barbara Jendro, die Sprecher*in der Gruppe. „Doch das ist dort allen scheißegal. Eine Polizei, die ihre Macht missbraucht, um Kritiker*innen zu verfolgen, statt Nazis auch in den eigenen Reihen zu jagen und nicht in der Lage ist, sich mit institutionellem Rassismus und Polizeigewalt kritisch auseinander zu setzen, gehört besser heut als morgen abgeschafft.“
Mehr Infos und Bilder gibt es unter abschaffen.noblogs.org.
passiert am 02.12.2020