Aufarbeitung des patriarchalen Ist-Zustands (Teil 6)
Erneut fand in Berlin ein gruppenübergreifender Austausch zum Thema Männlichkeit und sexualisierte Gewalt in antifaschistischen Strukturen statt (1). Diesmal schauten wir zurück auf patriarchale Dynamiken rund um das Antifa Ost Verfahren und was wir daraus lernen können. Außerdem wurde über Konzepte antipatriarchaler Praxis in gemischtgeschlechtlichen Gruppen gesprochen. Es beteiligten sich rund 20 männlich sozialisierte Personen. Wir schreiben den Bericht, weil wir meinen, dass solche Diskussionen nachvollziehbar und sichtbar sein sollten. Gleichzeitig wollen wir andere ermutigen ähnliche Vernetzungen zu etablieren um Sexismus in der antifaschistischen Bewegung zu begegnen.
Learnings aus dem Antifa-Ost-Verfahrens
Als Diskussionsgrundlage für den ersten Teil wurden einige Texte von WirSindAlleLinx, sowie dem Solibündnis Antifa Ost angeschaut und die Eindrücke aus den letzten zwei Jahren nochmal zusammengefasst. Der Fokus lag hier nicht auf der antifaschistischen Praxis, die in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht verhandelt wurde und die Konsequenzen, die aus so einem Repressionsschlag zu ziehen sind (3), sondern mehr auf den patriarchal geprägten Strukturen, die zur Integration eines Verräters und Vergewaltigers wie Johannes Domhöver in antifaschistische Arbeit geführt hat. Dabei haben sich einige grundsätzlich Punkte herausgestellt, die wir nochmal festhalten wollen:
1. Informationen über sexistisches und übergriffiges Verhalten wurde in den verschiedenen Städten seines Wirkens über Jahre hinweg ignoriert, verharmlost und nicht an Genoss*innen und andere Strukturen, die möglicherweise konsequenter gewesen wären, weitergegeben. Was genau gegen eine Aufarbeitung und gegen einen möglichen Ausschluss aus politischen Zusammenhängen gesprochen hat, werden wir nie erfahren, aber es wird viel mit dem eigenen Desinteresse an dem Problem zutun gehabt haben. Zuletzt wurde ein Geraune um Vertraulichkeit im laufenden Verfahren als Grund für das Stillschweigen über Domhöver wahrgenommen, das erst durch den Outcall (4) einer Betroffenen sein Ende fand. Diese Fehlinterpretation von sinnvollen Schutzmechanismen in Strukturermittlungsverfahren hat letztlich zum Schutz eines Täters beigetragen und auch verhindert das im Sinne von Betroffenen agiert werden konnte. Einigen wäre viel erspart geblieben, wenn seine Umfelder in Bayern, Sachsen und Berlin früher gehandelt hätten. Denn als die Repression so nah war, und sich um so vieles gleichzeitig gekümmert werden musste, wurde mit soviel Hektik agiert, dass wieder Standards der Rücksichtnahme gegenüber Betroffenen nicht eingehalten wurden.
2. Männliche Monokulturen, ob nun in der Freizeitgestaltung oder als politischer Rahmen wurden ebenso als Gelegenheitsstruktur für Leute wie Domhöver ausgemacht. Ein rein männliches Umfeld, in dem Meinungen von FLINTA* oder Feminismus keine Rolle spielen, führen nicht nur zur Normalisierung von Sexismus (z.B. durch Humor), sondern schirmen Täter auch von Kritik ab. Frauen mit denen die Männer in Heterobeziehungen stecken, bleiben meist unbekannt. Übergriffiges Verhalten in der Beziehung kann so nicht in der Gruppe kritisiert und bearbeitet werden. Ein erster Schritt kann sein, zumindest Beziehungsstatus der Freunde, die Namen und Kontakte der Freundinnen zu kennen und zu den Partnerinnen selbstverständliche Beziehungen aufzubauen, die im Krisenfall dafür sorgen können Betroffenen-zentriert zu agieren. Heteropartnerschaften, auch die linken, sind nachweislich der Ort wo am meisten sexualisierte Gewalt und Übergriffigkeit passiert. Also müssen sie auch als grundsätzliches Problemfeld anerkannt werden.
Letztlich muss an cis-Männerfreundschaften und an hauptsächlich männlich geprägte Politumfelder die Fragen gestellt werden, auf welcher Grundlage sie bestehen. Der gegenseitigen Kritiklosigkeit, gemeinsamer politischer Motive und Wertevorstellung, emotionalen Bindungen oder der Freude an Militanz? Woraus speisen sich Vertrauensvorschüsse gegenüber cis Männern und Misstrauen gegenüber FLINTA?
3. Versuche sexistisches Verhalten zu hinterfragen oder sogar einen Prozess der Tataufarbeitung zu starten sind im Domhöver-Fall zu spät abgebrochen worden. Obwohl es früh große Zweifel daran gab, dass er sich wirklich ändern und Verantwortung für die durch ihn begangenen Übergriffe übernehmen will, wurde zu lange daran festgehalten irgendeine Art von Prozess mit ihm zu haben. Ab einem bestimmten Punkt ging es nur noch um Schadensbegrenzung (auch für das laufende Strafverfahren) durch Sanktionen (er sollte bestimmte Orte meiden) und Kontrolle. Druck durch soziale Bezüge konnte aufgrund des losen Bezugsrahmen und fehlenden ernsthaften Beziehungen nicht aufgebaut werden und dem hat er sich auch schnell durch Wegzug entzogen.
4. Im Zuge der Soliarbeit im Antifa-Ost-Verfahrens gab es eine Reihe von Aufarbeitungsprozessen, die den Sexismus und Fälle sexualisierter Gewalt durch die Angeklagten und deren Umfelder thematisierten. Die Bilanz dieser Prozesse ist durchwachsen. Zum Teil als lästige Zusatzaufgabe (Stichpunkt Prioritätensetzung) gewertet, wurden Forderungen von FLINTA zumindest formal umgesetzt. Dabei konnte nicht verhindert werden, dass sich einzelne schnell wieder der Selbstkritik entweder durch Fernbleiben oder durch das Auswendiglernen feministischer Vokabeln entziehen konnten (Stichwort: Konsequenzenlos). Längere Prozesse um mangelnde Empathie mit Betroffenen anzugehen oder um die Definitionsmacht von Betroffenen was ein Übergriff ist, anzuerkennen, erfordern mehr als alle bereit sind zu geben. Immer mal wieder vorgebrachte Erklärungsansätze dafür (z.B. militante Selbstschutzmentalität) sind keine Entschuldigung dafür, dass daran nicht gearbeitet wird. Das Verstehen und Verinnerlichen kommt nach dem Befolgen von Anforderungen, die im Rahmen von Aufklärungs- und Aufarbeitungskonjunkturen an cis Männer gestellt werden. Die immer wieder neu zu durchlaufenden Spiralen aus Krise, Bildung, Austausch und Kontrolle sind eine Frage der Aufrichtigkeit im Kampf gegen Unterdrückung, Patriarchat und Faschismus.
Diskussionsgruppen: Was habt ihr gelernt, was ist hängen geblieben vom Antifa Ost Verfahren, dem Verrat und dem Outcall? Was habt ihr in eurer Praxis geändert?
Antipatriarchale Praxis in Gruppen
Auch wenn sich Antifagruppen feministisch betätigen, heißt das nicht, dass sie das auch nach innen so halten. Zwei Gruppen stellten ihre Bemühungen vor dem Selbstverständnis gerecht zu werden. Am Anfang stand die Einsicht, dass trotz Awarenessworkshop und Lektüre einschlägiger Literatur im konkreten Fall doch die Antworten als Gesamtgruppe uneins und schlicht mangelhaft sind. Die Verantwortungsübernahme für feminsitische Themen oblag weiterhin FLINTA und die Kritikfähigkeit der cis Männer ließ zu wünschen übrig.
Eingeführt wurden separate FLINTA-Treffen, ein gemeinsamer feministischer Lesekreis, eine Geschlechtsquotierung der Mitglieder und für cis Männer verpflichtende kritische Männlichkeitstreffen mit Rückkopplung ins All-Gender-Plenum. Außerdem wurde zusätzlich zu den Emo-Checkin-Runden noch regelmäßige Kritik & Selbstkritik-Runden eingeführt, um die einzelnen Mitglieder noch mehr herauszufordern eigene Prozesse der Gesamtgruppe deutlich zu machen. Nach dem Bericht schloss sich eine Kleingruppenphase zu Emoarbeit und Kritikfähigkeit an. Daraus ergab sich, dass nur wenige Gruppen eine ähnlich institutionalisierte Bearbeitung des Themas haben. Auf die Relevanz anderer Ungleichheitsmechanismen (z.B. soziales oder kulturelles Kapital) wurde hingewiesen. Auch die Gruppengröße ist bei vielen ein Problem, da mit zuwenigen und zuvielen der Grad der Formalisierung nicht aufrecht erhalten werden kann.
Die vorgestellten feministischen Standards in der Organisierung bergen aber auch Risiken. In separaten kritischen Männlichkeitstreffen wird die Beziehung der cis-Männer untereinander gestärkt, was in Männerbündelei und ein gegenseitiges Schulterklopfen umschlagen kann. Das Outsourcing von Problemen mit Männlichkeiten in separate Plena kann zur Problemverschiebung und Intransparenz beitragen. Die Anbindung an das Gesamtplenum ist für beides wohl entscheidend. Auch sollte keine Parallelstruktur zum Gesamtplenum entstehen, wo schonmal alles vordiskutiert wird. Eine Maßnahme kann sein, das Treffen im ungeschützten Rahmen (z.B. mit eingeschalteten Handys) zu machen, um nicht auf die Idee zu kommen politische Strategien zu diskutieren. Vor den bekannten Problemen mit kritischer Männlichkeit, wie der Immunisierung gegen Kritik, der Verschleierung tatsächlicher individueller Prozesse und das Um-Sich-Selbst-Kreisen solcher Treffen sind auch diese, in einer Gesamtstruktur integrierte, nicht gefeit. Wichtig ist immer, die Gesamtgruppe und die gemeinsame Politik zu fokussieren und nicht zu sehr zu abstrahieren und Auseinandersetzungen um die eigene Rolle im Patriarchat und eigene Täterschaften nicht losgelöst zu führen, sondern als selbstverständlicher Bestandteil der politischen Arbeit an sich selbst, an der Gruppe, an der Szene und der Gesellschaft zu betrachten.
Abschluss und Ausblick
Wie soll es mit diesen gruppenübergreifenden Treffen weiter gehen? Bei dem Termin wurden schon ein paar Themen wiederholt (kritische Männlichkeit als Konzept) und wir sind ohne externe Moderation und Input ausgekommen. Es fehlen weiterhin relevante Teile der antifaschistischen Szene Berlins. Die sollten nochmal anders und direkter angesprochen werden. Einzelne Learnings können auch mal zusätzlich zu Indymedia in sozialen Medien auftauchen. Öffentliche Veranstaltungen zu den einzelnen Punkten können auch dazu beitragen Standards der Organisierung zu etablieren. Schön wäre aus diesen Treffen eine Art Ansprechstrutur zu bilden (5), mit gutem Beispiel (Verantwortung für Fälle übernehmen) und Erfahrungswerte weiterzugeben (Reader zu den bisherigen Treffen). Diskussionen müssen wiederholt werden, immer wiederkehren um auch neue Genoss*innen an die Grundlage der eigenen Standards heranzuführen. Manche Diskussionen sind auch noch nicht außreichend geführt, wie die Essentials aus dem Antifa-Ost-Verfahren beweisen. Es gibt das Bedürfnis wieder zu mehr Geführtheit (externe Weiterbildungsmodule) zurückzukehren. Festgehalten wurde zumindest noch vor dem Sommer ein weiteres Treffen durchzuführen.
Fußnoten
(1) Berichte im AIB zu den bisherigen Treffen (1.-3.): https://antifainfoblatt.de/aib136/aufarbeitung-des-patriarchalen-ist-zustands und (4./5.) https://antifainfoblatt.de/aib140/von-den-schwierigkeiten-einer-konsequenten-aufarbeitung-des-patriarchalen-ist-zustands.
(2) Patriarchale Strukturen, sexualisierte Gewalt und der Umgang damit in der linken Szene https://www.wirsindallelinx.org/patriarchale-strukturen-sexualisierte-gewalt-und-der-umgang-damit-in-der-linken-szene/ und Stellungnahme zu Täterschaften und Täterschutz im SAO https://www.soli-antifa-ost.org/stellungnahme-zu-taeterschaften-und-taeterschutz-im-sao/
(3) Mittlerweile gibt es auch Beiträge, die sich in Manöverkritik üben wie „Immer Glück ist Können. Aber was ist dann viel Pech?“ (in AIB 142) und etwas breiter angelegte „Einsichten aus dem Antifa Ost Verfahren“ (https://knack.news/5272)
(4) Outing Johannes Domhöver https://de.indymedia.org/node/156448
(5) Nach dem Vorbild von Gegengewalt Würzburg: https://gegengewalt.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1625/2022/02/Orientierungshilfe-zum-Umgang-mit-sexualisierter-Gewalt-Stand-07.02.22.pdf