PKK und deutsche Justiz: Ganz im Sinne Erdogans

In Deutschland ist die Empörung über den repressiven „Anti-Terror-Kampf“ in der Türkei groß. Dabei geraten Parallelen zur eigenen Rechtsprechung außer Acht.

Am 16. Juli 2020 wurde der Journalist Denis Yücel von einem Gericht in Istanbul zu zwei Jahren, neun Monaten und 22 Tagen Haft verurteilt. Der Vorwurf, er habe im Juli 2015 ein Interview mit Cemil Bayik, der Nummer Zwei in der Führung der PKK nach Abdullah Öcalan, in der Zeitung „Die Welt“ veröffentlicht. Yücel hatte dieses Interview in den irakischen Kandil-Bergen geführt, in die sich Bayik mit einem großen Teil der Guerilla zurückgezogen hatte. Das genügte offensichtlich, Yücel wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu verurteilen. Das Urteil löste in der Bundesrepublik in Medien und Politik zu Recht empörte Kritik aus.

Die deutsche Rechtsprechung

Ganz anders jedoch die Reaktion, wenn es um Urteile deutscher Gerichte geht. Am 2. Juli 2020 wurde vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg ein Strafverfahren gegen einen kurdischen Bürger wegen Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach §§ 129 a/b StGB eröffnet. Ihm wird vorgeworfen, als „hochrangiger Führungskader“ das „PKK-Gebiet Bremen“ geleitet zu haben und für organisatorische, propagandistische, finanzielle und personelle Angelegenheiten verantwortlich gewesen zu sein.

Er habe z.B. an Demonstrationen gegen den Besuch Erdogans in Deutschland, gegen die Isolationsbedingungen von Abdullah Öcalan und zum Gedenken der drei von türkischen MIT-Agenten in Paris 2013 ermordeten kurdischen Frauen teilgenommen. Er habe sich zudem um eine erkrankte „PKK-Aktivistin“ gekümmert, die in Deutschland Asylbeantragt hat.

Schließlich wurden ihm seine Gesprächskontakte zur Partei „DIE LINKE“ vorgeworfen, die die Anklage als „Einflussnahme für die PKK“ wertete. Eine strafbare Handlung konnte ihm nicht vorgeworfen werden, dennoch wurde er jetzt zu 2 Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

Das Hanseatische Oberlandesgericht hatte bereits am 13. Februar 2013 einen Kurden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129 b StGB zu 2 Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.1 Sein Vergehen bestand in den Augen des Senats darin, dass er zwischen 2007 und 2008 in Norddeutschland die kurdische Arbeiterpartei PKK geleitet habe. Konkrete Straftaten wurden auch ihm nicht vorgeworfen.

Derzeit stehen weitere Kurden in Berlin, Celle, Düsseldorf und Koblenz vor Gericht. Allen wird die Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, der PKK, vorgeworfen.Bisher ist in Deutschland keine Empörung, kein Wort der Kritik in den Medien oder der Politik gegen diese Verfahren laut geworden, die auf den Straftatbeständen §§ 129 a/b StGB beruhen, die noch aus der Zeit des Kampfes gegen die RAF datieren.

Möglich werden diese Verfahren überhaupt erst auf Grund einer Ermächtigung des Justizministeriums vom 6. September 2011, nach der bereits begangene oder künftige Taten der Europaführung, des Deutschlandverantwortlichen sowie der Regionalverantwortlichen der PKK strafrechtlich zu ahnden sind. Initiativen, diese Ermächtigung zurückzunehmen, sind bisher gescheitert.

Präsident Erdogan mahnt auf seinen Deutschlandbesuchen die Strafverfolgung immer wieder an. Grundlage ist die in den europäischen Ländern weitgehend einhellige Ansicht, dass die PKK eine terroristische Organisation sei. Die EU hat sie wie die meisten Staaten als terroristische Vereinigung gelistet, nur die Schweiz macht in Europa eine Ausnahme.

Deutsche Gerichte lehnen entlastende Beweisanträge ab

Damit haben sie der Justiz ihrer Länder weitgehend einen entscheidenden Teil ihrer Rechtsfindung abgenommen, die auf die Listung der PKK verweisen und sich eigene Untersuchungen ersparen kann. Die Gerichte lehnen zumindest in Deutschland bisher alle Beweisanträge der Verteidigungen ab, die den Terrorcharakter der PKK ablehnen oder in Frage stellen. Selbst das Rufen der Parole „PKK“ auf Demonstrationen, das Zeigen ihrer in Deutschland kaum bekannten Flagge oder Plakate mit dem Bildnis von Abdullah Öcalan werden strafrechtlich verfolgt.

Die Rechtsprechung in Deutschland ist für die Einordnung der PKK und ihrer Handlungen weitgehend der Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 13. Februar 2013 gefolgt, die am 6. Mai 2014 durch einen Beschluss des Bundesgerichtshofs bestätigt worden ist. Danach können sich die Mitglieder der PKK nicht auf das sog. Kombattantenprivileg berufen, das ihre Handlungen völkerrechtlich rechtfertigen würde.

Dieses Privileg stehe nach Art. 43 des Ersten Zusatzprotokolls von 1977 (ZP I) nur den Kämpfern in internationalen Konflikten zu. Die Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und der PKK seien aber ein nicht internationaler Konflikt, in dem die nichtstaatlichen Kämpfer keinen Kombattantenstatus hätten.

Da die PKK sich auch nicht darauf berufen könne, dass sie einen Befreiungskampf gegen „Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regimes“ i.S. des Art. 1 Abs. 4 ZP I führe, fehle ihr auch diese Rechtfertigung für ihr Handeln, welches deswegen nach der nationalen Strafrechtsordnung beurteilt werden müsse.

Der BGH bezieht sich dabei ausdrücklich auf die „Überzeugung der Staatengemeinschaft“, bei der er sich allerdings wohl nur bei der westlich atlantischen Staatengemeinschaft sicher sein kann. Die Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas dürften das auf Grund ihrer Erfahrungen mit den Kämpfen der Dekolonisation auch anders sehen. Der BGH ist sich allerdings sicher: „Im Übrigen besteht im hier konkret zu beurteilenden Fall gerade keine Überzeugung der Staatengemeinschaft dahin, der bewaffnete Kampf der PKK und ihrer Unterorganisationen und die damit verbundene Begehung von Straftaten sei gerechtfertigt.
Die PKK wird vielmehr international weitgehend als terroristische Organisation eingeordnet.“7 Diese Rechtsprechung hat der BGH auch in der Folge gegenüber den islamistischen Gruppen, die gegen die Regierung in Damaskus kämpfen, bestätigt.

Bundestagsgutachten: PKK-Kämpfer ohne Privileg der Straffreiheit

Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestag haben sich ebenfalls mit dem völkerrechtlichen Status der PKK beschäftigt. Sie werten die türkisch – kurdischen Auseinandersetzungen und Kämpfe ebenfalls als nichtinternationalen bewaffneten Konflikt und sprechen den Kämpfern der PKK wie die Rechtsprechung den Status von Kombattanten mit dem Privileg der Straffreiheit ab. Sie beziehen sich dabei auf verschiedene War Manuals z.B. der USA und der Schweiz, und zitieren die Zentrale Dienstvorschrift „Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten“ des Bundesministeriums der Verteidigung:

Im Gegensatz zum internationalen bewaffneten Konflikt kennt das Recht des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts den Status des Kombattanten und Kriegsgefangenen nicht. Die der Staatsgewalt gegenüberstehenden Kräfte haben keine Befugnis zur Gewaltanwendung. Denn es obliegt dem Staat, über diese Befugnis zu entscheiden und die Personen, die gekämpft haben, gerichtlich, insbesondere strafrechtlich, für die Teilnahme an Feindseligkeiten zu verfolgen. Dementsprechend kann der Staat Personen, die auf Seiten der nichtstaatlichen Konfliktpartei unmittelbar an den Feindseligkeiten teilgenommen haben, auch dann nach seinem Strafrecht ahnden, wenn diese nicht gegen das völkerrechtliche Kampfführungsrecht des nichtinternationalen bewaffneten Konflikts verstoßen haben.

Die Wissenschaftlichen Dienste räumen zwar durchaus ein, dass diese rigide staatszentrierte Sicht in neuerer Zeit in verschiedenen Beiträgen in Frage gestellt wird, setzen sich aber nicht mit den kritischen Argumenten auseinander. So nehmen sie auch nicht Stellung zu dem Verbot der PKK im Jahr 1993 und der Aufnahme in die Terrorliste des Europarats, die sie lediglich referieren.

Das Urteil der belgischen Gerichte

Eine derartige kritische Auseinandersetzung mit der bisherigen „Überzeugung der Staatengemeinschaft“ haben jedoch jetzt drei belgische Gerichte unternommen. Sie haben bis zum Obersten Gericht entschieden, dass es sich bei der PKK nicht um eine Terrororganisation handele, ihre Guerilla genauso dem humanitären Völkerrecht unterliege und das Kombattantenprivileg beanspruchen könne wie die regulären Truppen der türkischen Armee, die sie bekämpfen.

Die belgische Justiz hatte seit 2010, als die Polizei Razzien in den Büros des kurdischen Nationalkongresses und in den Produktionsstätten des kurdischen Fernsehens, die sich in Brüssel befinden, durchführte, Verfahren gegen kurdische Exilpolitikerinnen und Politiker und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der kurdischen Medienunternehmen, insgesamt 40 Personen, eingeleitet.

In einem Verfahren lautete der Vorwurf auf Teilnahme an Aktivitäten der verbotenen Organisation wie Finanzierung, Rekrutierung von Mitgliedern und Propaganda. In dem anderen Fall ging es darüber hinaus um die Versendung von elektronischer Kommunikationstechnik nach Nordirak, wohin sich große Teile der kurdischen Guerilla zurückgezogen hatte.

In einem ersten Prozess entschied das Gericht erster Instanz (Chambre du Conseil) am 3. November 2016, die 39 Beschuldigten und zwei Mediengesellschaften nicht dem Strafgericht (Tribunal Correctionnel) zu überweisen und den Fall einzustellen, da es sich bei der PKK um eine Partei in einem bewaffneten Konflikt handele und nicht um eine Terrororganisation. Dagegen legten sowohl die belgische Staatsanwaltschaft wie der Türkische Staat Berufung ein. Diese wies das Berufungsgericht (Indictment Chambers) am 14. September 2017 zurück und bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung.

Gegen dieses Urteil legten Staatsanwaltschaft und türkischer Staat Revision begrenzt auf die Rechtsfragen ein. Der Kassationshof (Court de Cassation) verwarf die Entscheidung des Berufungsgerichts am 13. Februar 2018 und wies den Fall an das Gericht in anderer Besetzung zurück. Dieses bestätigte jedoch am 8. März 2019 die erste Entscheidung des Berufungsgerichts, wogegen Staatsanwaltschaft und türkischer Staat erneut Revision einlegten.

In seiner letzten und nun unangreifbaren Entscheidung verwarf der Kassationshof die Revision am 28. Januar 2020 und bestätigte diesmal die Entscheidung des Berufungsgerichts. In dem zweiten Fall, in dem es um die Versorgung der PKK in Irak mit elektronischer Technik ging, entschied der Kassationshof am gleichen Tag ebenfalls zugunsten des Beschuldigten.

Die entscheidenden Fragen lauten: Was ist eine terroristische Organisation und was ein terroristisches Delikt. Das belgische Strafgesetzbuch von 2003 hat beides definiert. Nach Art. 139 ist eine terroristische Organisation „ein auf längere Dauer angelegter organisatorischer Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, die zusammenwirken, um in Art. 137 erwähnte terroristische Straftaten zu begehen“.

Nach Art. 137 ist eine Handlung terroristisch, wenn sie begangen wird, „um eine Bevölkerung ernsthaft einzuschüchtern, um öffentliche Behörden oder eine internationale Organisation unberechtigterweise zu Unterlassungen oder Handlungen zu zwingen oder um politische, verfassungsmäßige, wirtschaftliche oder soziale Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu vernichten.“

Art. 141 bis wiederum lautet:

Der vorliegende Titel findet weder Anwendung auf Handlungen der Streitkräfte während eines bewaffneten Konflikts, wie sie im humanitären Völkerrecht definiert und durch dieses Völkerrecht geregelt sind, noch auf Handlungen der Streitkräfte eines Staates im Rahmen der Ausführung ihrer offiziellen Aufgaben, sofern sie durch andere Regeln des Völkerrechts geregelt sind.“

Kassationshof: Konflikt erstreckt sich auf ganze Türkei

Innerhalb dieses gesetzlichen Rahmens war also der Charakter der PKK zu entscheiden.Das Berufungsgericht (Indictment Chamber) ging in seiner Entscheidung v. 8. März 2019, die durch die Entscheidung des Kassationshofs am 28. Januar 2020 rechtskräftig wurde, zunächst der Frage nach, ob der Konflikt überhaupt unter die Regelungen des Völkerrechts falle. Dies hatte die Staatsanwaltschaft bestritten, da dem Konflikt die notwendige Intensität fehle und der Organisationsgrad der PKK nicht die erforderliche Höhe als nichtstaatliche Partei habe.

Die Verteidigung konnte beide Behauptungen mit ausreichendem Beweismaterial aus den militärischen Angriffen der türkischen Armee auf kurdische Ortschaften in Ost-Anatolien (Nord-Kurdistan), wie es während eines Internationalen Tribunals der Völker in Paris im Frühjahr 2018 bereits der Öffentlichkeit präsentiert worden war, widerlegen. Das Gericht entschied somit, dass es sich bei dem Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der PKK um einen nichtinternationalen Konflikt handele und die militärischen Aktivitäten der PKK-HPG „Aktivitäten von Streitkräften während eines bewaffneten Konfliktes“ i. S. von Art. 141 Strafgesetzbuch seien.

Es prüfte dabei ausführlich und bestätigte den andauernden Charakter und die Intensität des Konflikts, die weit entwickelte Organisation der PKK und die Unterscheidbarkeit der HPG-Kämpfer, sowie die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts auf den Konflikt.

Die Staatsanwaltschaft allerdings bestritt weiter, dass die Aktivitäten der PKK in Belgien unter die Ausnahmevorschrift des Art. 141 fallen. Die PKK habe Angriffe gegen nicht-militärische Ziele in der Türkei geführt, gegen die Polizei, ökonomische Infrastruktur wie Dämme, Pipelines oder Eisenbahn. Die Unterorganisation TAK (Freiheitsfalken Kurdistan) habe sogar rein zivile Objekte angegriffen.

Die Verteidigung konnte allerdings nachweisen, dass spezifische Einheiten der Polizei, insbesondere die Jandarma, aktiv an den militärischen Auseinandersetzungen beteiligt waren, und die Führung der PKK ihre Angriffe strikt auf diese Einheiten beschränkte. Dämme, Pipelines und Eisenbahn seien als legitime strategische Ziele mit militärischer Bedeutung angegriffen worden. Schließlich würde die TAK nicht von der PKK kontrolliert, wie es z.B. der BGH annimmt, und es gäbe auch keine zuverlässigen Beweise dafür.

Sehr wahrscheinlich sei die TAK eine radikale Abspaltung der PKK, auf die die PKK keinen Einfluss mehr habe. Der Kassationshof stellte zunächst fest, dass sich der Konflikt auf das ganze Territorium der Türkei erstrecke und es genügend Gründe dafür gäbe, dass die Position der Verteidigung nicht unwahrscheinlich sei. Die Kampfhandlungen der PKK könnten nur dann terroristisch genannt werden, wenn sie in keinem Zusammenhang mit dem Konflikt ständen.

Gäbe es aber einen solchen Zusammenhang, dann müssten sie gegebenenfalls als Kriegsverbrechen aber nicht als Terrorhandlungen verfolgt werden. Das Gericht hebt also die Kampfhandlungen der PKK und ihrer Guerilla-Organisation HPG auf eine Stufe mit den Kampfhandlungen des türkischen Staates. Infolgedessen müssten sie auch völkerrechtlich gleichbehandelt werden.

PKK als „Partei in einem bewaffneten Konflikt“

Auf den Vorhalt der Staatsanwaltschaft, die PKK verübe aber terroristische Handlungen in Europe durch Brandstiftung mit Benzinbomben, räumte das Gericht ein, dass eine Organisation durchaus einen Doppelcharakter haben könne, Partei in einem bewaffneten Konflikt und als Terrororganisation. Das Gericht sah sich die französische und deutsche Rechtsprechung an, fand aber keine Beweise dafür, dass die PKK irgendeine Rolle bei der Organisierung, der Beauftragung oder Anstiftung der Handlungen in Belgien hatte, sodass sie nicht der Organisation angelastet werden könnten, sondern als Handlungen von Einzelpersonen zu gelten hätten.

Im Unterschied zur PKK können mit dieser Unterscheidung zB. die diversen Rebellengruppen des IS und Nachfolgeorganisationen von AlQaida als Partei in einem bewaffneten Konflikt und zugleich als Terrororganisation identifiziert werden, denen das Kombattantenprivileg nicht zukommt. Hier besteht insofern Übereinstimmung mit den deutschen Gerichten.

Während der Terrorcharakter der Rebellengruppen ihnen den Schutz des humanitären Völkerrechts nimmt, kann ihn die PKK als „Partei in einem bewaffneten Konflikt“ für sich in gleicher Weise beanspruchen wie die türkischen Streitkräfte. Sollten einzelne Mitglieder sich terroristischer Aktivitäten schuldig machen, könnten sie durch das nationale Strafrecht verfolgt werden.

Die Organisation selbst würde dadurch aber noch nicht zur Terrororganisation werden.Wie bereits oben ausgeführt, genießen die Streitkräfte einer nichtstaatlichen Partei in einem nichtinternationalen Konflikt nach den beiden Zusatzprotokollen zu den Genfer Konventionen von 1977 allerdings nicht das sog. Kombattantenprivileg. Es wird dort nicht erwähnt. Ihre Kampfhandlunge sind nicht völkerrechtlich gerechtfertigt. Dennoch findet das Gericht in Belgien einen Weg, das Privileg auch auf die Kämpfer der nichtstaatlichen Streitkräfte zu erstrecken.

Es führt in den Urteilsgründen aus:

Im Gegensatz zu internationalen bewaffneten Konflikten genießen die Mitglieder der beteiligten Streitkräfte bei einem nicht-internationalen Konflikt nicht das sogenannte Kämpferprivileg, was impliziert, dass sie im Prinzip in ihrem eignen Nationalstaat aufgrund der dortigen Gesetzgebung vor Gericht gestellt werden können. Bei ihrer Gefangennahme werden sie außerdem nicht als Kriegsgefangene angesehen.Grund für diese Bestimmung ist der Wunsch, die Souveränität der Vertragsstaaten nicht zu untergraben. Diese Vorschrift ist ausdrücklich im gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Konventionen von 1949sowie in Artikel 3 des Zweiten Zusatzprotokolls der Genfer Konventionen von 1977 (ZP II) festgehalten. Dabei wird bestimmt, dass Artikel 3 Genfer Konventionen keinen Einfluss auf den rechtlichen Status der Konfliktparteien hat.Dennoch urteilt das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, dass eine (internationale) strafrechtliche Verfolgung nicht mit der Idee, dass Konfliktparteien aufgrund des humanitären Völkerrechts in einem bewaffneten Konflikt dieselben Rechte und Pflichten haben, zu vereinigen ist. Wenn für eine (nicht-staatliche) Partei das Risiko besteht, dass sie wegen des Verübens terroristischer Straftaten verfolgt wird, während die anderen Parteien (nationale Streitkräfte) Immunität genießen, solange sie sich nicht wegen Verstößen gegen das humanitärer Völkerrecht schuldig machen, ist die Gleichbehandlung der Kriegsparteien gravierend gestört. Hinzukommt, dass die Sorge besteht, dass wenn Handlungen nicht-staatlicher Gruppierungen als terroristische Straftaten qualifiziert werden – unabhängig davon, dass ihre Handlungen mit dem humanitären Völkerrecht konform sind – man kämpfende Gruppen entmutigt, sich an humanitäres Völkerrecht zu halten.In Übereinstimmung damit haben einige Staaten, Belgien eingeschlossen, ausdrückliche Bestimmungen in ihr nationales Strafrecht aufgenommen, in denen humanitäres Völkerrecht Vorrang hat.“

Die dominante Erwägung des Berufungsgerichts war also die Gleichbehandlung beider Parteien im humanitären Völkerrecht. Wenn die nichtstaatlichen Streitkräfte im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt den gleichen Pflichten unterworfen werden wie die staatlichen Streitkräfte, so müssen sie auch die gleichen Rechte haben. Hier hat das humanitäre Völkerrecht Vorrang vor den Souveränitätsansprüchen der Staaten.

Das ist einleuchtend und bedeutet keine revolutionäre Weiterentwicklung des Völkerrechts. Denn die nichtstaatlichen Streitkräfte müssen eine Reihe formaler Bedingungen erfüllen, die sie eindeutig von den gerade im Nahen Osten verbreiteten Rebellen- und Terrorgruppen, Aufständischen und Söldnertruppen unterscheiden.

Die Diskussion in der Literatur

Die Frage stellt sich also, ob diese Erwägungen und Entscheidungen auch in deutschen Strafprozessen zum Tragen kommen können. Das deutsche Strafgesetzbuch verfügt über keine dem belgischen Strafgesetzbuch vergleichbare Vorschriften zur Verfolgung von Terrorstraftaten, insbes. keinen vergleichbaren Art. 141 zur Abgrenzung zu bewaffneten Streitkräften nach dem humanitären Völkerrecht.

In Art. 25 GG ist jedoch der Vorrang der allgemeinen Regeln des Völkerrechts vor allen einfachen Gesetzen also auch der Strafgesetze normiert. Soweit sich die Gerichte allerdings mit den Schutznormen der beiden Zusatzprotokolle zu den Genfer Konventionen auseinandergesetzt haben, haben sie ihre Anwendung auf die PKK und den Krieg mit dem türkischen Staat abgelehnt.

Allein in der Literatur gibt es einige Stimmen, die den völkerrechtlichen Status von Kämpfern nichtstaatlicher Organisation in internationalen gewaltsamen Konflikten thematisieren. Sie beziehen sich dabei zumeist auf die zahlreichen Rebellen- und terroristischen Gruppen auf syrischem Territorium, die gegen die syrische Regierung in Damaskus und ihre Verbündeten Russland und Iran kämpfen. Nur selten kommen auch die PKK und die § 129 a/b StGB-Prozesse in den Blick.

Übereinstimmend wird in allen Fällen die Anwendung des humanitären Völkerrechts anerkannt, da die bewaffneten Auseinandersetzungen von ausreichender Intensität und zeitlicher wie territorialer Ausdehnung sind.

Schon Art. 3 Genfer Konventionen hat „jede am Konflikt beteiligte Partei“ zur Beachtung bestimmter völkerrechtlicher Pflichten verpflichtet. Das Zweite Zusatzprotokoll (ZP II) hat in seinem Art. 1 Abs. 1 die Regeln des Völkerrechts auf die „organisierten Gruppen“ begrenzt, die „unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchführen und dieses Protokoll anzuwenden vermögen.“

Während eine spezielle Form dieses bewaffneten Konfliktes, der Kampf der nationalen Befreiungsbewegungen, in Art. 1 Abs. 4 ZPI ausdrücklich als internationaler bewaffneter Konflikt normiert wird, war die Stellung des Bürgerkriegs im Völkerrecht lange Zeit ungeklärt. Das IKRK hat seit langem auf die volle Gleichbehandlung von Krieg und Bürgerkrieg gedrängt, aber erst mit der Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (JStGH) im Fall Duiško Tadič kam die Diskussion über die Erstreckung des Kriegsrechts auch auf den Bürgerkrieg in Gang.

Seit dann im Jahr 2005 das IKRK eine umfangreiche Untersuchung über die Dimensionen des Völkergewohnheitsrecht im humanitären Völkerrecht vorlegte, kann davon ausgegangen werden, dass Krieg und Bürgerkrieg im humanitären Völkerrecht weitgehend gleichbehandelt werden.

Eine vollkommene Gleichbehandlung wäre aber erst dann erreicht, wenn den nichtstaatlichen Kämpfern auch das sog. Kombattantenprivileg zuerkannt würde, sie also das gleiche Kampfführungsrecht hätten wie die staatlichen Streitkräfte. Das wird zwar als erstrebenswerte Weiterentwicklung des Völkerrechts diskutiert, als „realistische Utopie“, die sich aber noch nicht durchgesetzt hat, wie vor allem die Gerichtspraxis zeigt.

Ex-Präsident des JStGH für Kombattantenprivileg für nichtstaatliche Kämpfer

Die strengen Anforderungen, die an die Organisationen wie an ihre Kampfführung hinsichtlich Befehlsgewalt, Größe, territoriale Ausdehnung, Dauer und Intensität gestellt werden, hat in Syrien allenfalls der IS mit seinem Kalifat erfüllt. Er hat sich jedoch in zahlreiche Untergruppen aufgelöst, die sich berechtigt oder unberechtigt auf den IS beziehen, aber kaum die Kriterien für die völkerrechtliche Anerkennung erfüllen.

Bei der PKK und ihrer Kampforganisation liegen die Dinge anders. Der ehemalige Präsident des JStGH Antonio Cassese hat das Kombattantenprivileg für nichtstaatliche Kämpfer nachdrücklich befürwortet, wenn der nicht internationale Konflikt eine hohe Intensität erreicht und die Kämpfer sich im Kampf hinreichend von der Zivilbevölkerung unterscheiden. Diese Kriterien sowie die übrigen Anforderungen an die Organisation erfüllen die PKK und ihre Guerillaorganisation HPG ohne Frage. Der Krieg, den die Türkei immer wieder gegen ihre ostanatolischen Ortschaften (Nordkurdistan) sowie die Angriffe auf die Rückzugspositionen der PKK und HPG in den irakischen Kandil-Bergen unterscheiden sich in ihrer Intensität, territorialen Ausdehnung und Dauer nicht mehr von den internationalen Konflikten, die in ZP I geregelt werden.

Dennoch hat sich trotz aller einleuchtenden Argumente für eine völkerrechtliche Gleichbehandlung der nichtstaatlichen Kämpfer mit einem Kampfführungsrecht, wie es den staatlichen Kämpfern im ZP I zugestanden wird, auch in der Literatur bisher diese Ansicht nicht durchsetzen können. Um eine neue Regel durch Völkergewohnheitsrecht aufzustellen, bedarf es einer dauerhaften Übung der Staaten in dem Bewusstsein ihrer Verbindlichkeit.

Die ist ohne Zweifel derzeit noch nicht gegeben. Es bleibt somit bei dem unbefriedigenden Ergebnis, dass für nichtstaatliche Kämpfer ein ius ad bellum, ein Kombattantenprivileg, nicht existiert.

Im Jahr 1993 vertrat der Autor dieses Beitrags die PKK in dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen das zuvor ergangene Verbot. Der Autor verfasste ein Gutachten, in dem er weitgehend die Argumentation des belgischen Berufungsgerichts bereits vorwegnahm. Seit 1984 war die PKK dazu übergegangen, ihr Recht auf Autonomie und Unabhängigkeit auch mit militärischen Mitteln zu verfolgen.
Es entspann sich über die Jahrzehnte eine erbitterte militärische Auseinandersetzung zwischen dem türkischen Staat und der PKK mit erheblichen Verlusten auf beiden Seiten.

Dies war schon zu jener Zeit ein bewaffneter Konflikt, der nach den völkerrechtlichen Regeln der beiden Zusatzprotokolle zu beurteilen war. Schon damals war es weitgehend unstrittig, dass es sich bei den Kurden um ein Volk handelt, dem das Recht auf Selbstbestimmung i. S. des gemeinsamen Art. 1der beiden internationalen Pakte für bürgerliche und politische sowie für soziale, ökonomische und kulturelle Rechte zusteht.

Debatte um PKK als Befreiungsbewegung

Unter Berufung auf dieses Recht kämpfte die PKK zu jener Zeit noch um die Separation von der Türkei und die Gründung eines eigenen Staates. Dieses Ziel gab sie erst 1996 auf und kämpft seitdem um Autonomie und Selbstverwaltung in den Grenzen der Türkei. Dementsprechend argumentierte das Gutachten in Anlehnung an Art. 1 Abs. 4 ZPI, dass es sich um einen internationalen bewaffneten Konflikt handele und die PKK als Befreiungsbewegung zu bewerten sei.

Allerdings führte das Gutachten für den Fall aus, dass das Gericht der Einschätzung der PKK als Befreiungsbewegung nicht folgen könne, es „angesichts der Entwicklung des Krieges in Süd-Ost-Anatolien in den letzten Jahren …keinen Zweifel daran geben (kann), dass es sich um einen regelrechten bewaffneten Konflikt i.S. des Art 1 Abs. 1 Protokoll II und nicht um einen Fall ,innerer Unruhen, Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen‘ i.S. Art. 1 Abs. 2 Protokoll II handelt.

Allein die zahlenmäßige Präsenz des türkischen Militärs in der Region geht weit über das hinaus, was für die Niederhaltung von Tumulten etc. notwendig und angebracht wäre. Auf der anderen Seite besteht kein Zweifel daran, dass die PKK – wenn schon keine Befreiungsbewegung – auf jeden Fall als ‚organisierte bewaffnete Gruppe‘ i. S. Art. 1 Abs. 1 Protokoll II anzusehen ist, die ‚unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende, koordinierte Kampfhandlungen durchzuführen und dieses Protokoll anzuwenden‘ vermag.“

Im Ergebnis war für die Charakterisierung der PKK ihre Stellung als organisierte bewaffnete Gruppe in einem bewaffneten Konflikt ausschlaggebend, gleichgültig ob es sich um einen internationalen oder nichtinternationalen Konflikt handelt. Dies unterschied sie schon damals eindeutig von einer Terrororganisation.

Zur Zeit des Verbotsprozesses vor dem Bundesverwaltungsgericht hatten die Auseinandersetzungen allerdings auch auf Deutschland übergegriffen. Die Folge waren zahlreiche Strafverfahren gegen Angehörige der PKK wegen schwerer Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung und Tötungsdelikten.
Die Klage wurde mit Urteil vom 9. Juli 1997 vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen. Eine Verfassungsbeschwerde gegen das Betätigungsverbot wurde einige Jahre später als unzulässig vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen. Es bleibt zu hoffen, dass das Urteil des belgischen Kassationshofes von der deutschen Justiz zur Kenntnis genommen, die Bedeutung des Völkerrechts für die Rechtsfindung erkannt wird und einen Wandel in ihrer Rechtsauffassung bewirken kann.

Norman Paech ist emeritierter Jura-Professor der Hochschule für Wirtschaft und Politik sowie Völkerrechtsexperte. Von 2005 bis 2009 war er Mitglied des Deutschen Bundestags und außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion.

https://www.heise.de/tp/features/PKK-und-deutsche-Justiz-Ganz-im-Sinne-Erdogans-4979085.html?seite=all

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passiert am 06.12.20