„Keine Angst – Klassenkampf“
Vier Tage gibt es in der Berliner Volksbühne politisch engagiertes Theater
„Make Amazon Pay“ und „Amazon ist kein guter Nachbar“ lauteten die Parolen, die am Mittwochabend über den Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte schalten.
Dort wurde auf der grossen Wiese vor der Volksbühne die Theaterperformance „Der Turm stürzt ein“ aufgeführt. Damit war der Amazon-Tower an der Warschauer Brücke in Berlin gemeint, in dem im nächsten Jahr Führungskräfte des Tech-Konzerns einziehen sollen. Amazon steht für den globalen Kapitalismus, das zeigte der Theater-Abend auf besondere Weise. Da ist das überdimensionierte Hochhaus im schon seit Jahren gentrifizierten Gebiet rund um Ostbahnhof und Warschauer Strasse.
Die im März neu benannte Uber-Halle hinter dem Tower zeigt die Landnahme der Techkonzerne besonders deutlich. Trotzdem protestierte nur eine Gruppe von Taxifahrer*innen, die durch Uber und Co. in ihrer Existenz bedroht sind, gegen die Namensgebung. Gegen den Amazon-Tower gibt es in unregelmässigen Abständen Kundgebungen des Bündnisses Berlin versus Amazon. Auch die Farbe an dem Neubau zeugt von Renitenz. Doch kontinuierliche Proteste, wie sie vor 10 Jahren sogar mit bundesweiter Mobilisierung gegen die Europäische Zentralbank (EZB) in Frankfurt/Main mit dem Bündnis Blockupy organisiert wurden, bleiben in Berlin gegen Amazon aus.
Die bestbesuchteste Kundgebung vor dem Amazon-Tower gab es im Oktober 2023, wo das Theaterstück „Der Turm stürzt ein“ seine Premiere hatte. Aber auch bei der zweiten Aufführung vor der Volksbühne sorgten politische Aktivist*innen auch aus der Mieter*innenbewegung an den passenden Stellen für Applaus und sorgten dafür, dass die Trennung zwischen Theater und Protest aufgehoben wurde.
Das ist ganz im Sinne der Vorführenden, die sich im Programmheft so vorstellen: „Wir sind die Turm-stürzt-ein-Crew und der Lauratibor Chor, eine Community aus Nachbar*innen, Künstler*innen, Aktivist*innen aus verschiedenen politischen Zusammenhängen und solidarischen Menschen, die sich in Verteidigung von Projekten und Häusern gegen ihre Verdrängung und Räumung zusammengefunden haben, um ihren Protest so auf die Strasse zu tragen und sich zu verbinden.“
Kämpfe verbinden auch global
In den 90 Minuten der Vorführung wurde auch die globale Dimension des Tech-Kapitalismus gezeigt, für den Amazon steht. So ging eine Szene auf den Kampf gegen den Lithiumabbau in Südamerika ein, gegen den sich grosse Teile der Bevölkerung wehren und dafür häufig kriminalisiert werden. In anderen Szenen wurde Amazon als Treiber der globalen Überwachung gezeigt. Sie waren für mich die Schwächsten, weil da Amazon doch etwas zu viel Macht und Einfluss zugesprochen wurde, den er zum Glück noch nicht hat. Dafür hätte der Kampf der Amazon-Beschäftigten für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen in verschiedenen Ländern künstlerisch etwas mehr Beachtung in dem Stück finden können. Mittlerweile gibt es eine länderübergreifende Organisierung dieser Amazon-Workers.
Theater der Unterdrückten und Ausgebeuteten
Schliesslich war die Theateraufführung der Auftakt des Festiwalla, welches dieses Jahr das Motto „Keine Angst – Klassenkampf“ trägt. In dem Stück „J from the Block“ wurden auf der grossen Bühne am Beispiel der Beschäftigten der Lieferdienste gezeigt, wie schwierig es heute ist, im Arbeitsleben solidarisch zu handeln. Wir sehen dort eine Welt, wo die Beschäftigten per SMS gefeuert werden und wo Versuche, einen Betriebsrat zu gründen, mit immer neuen Tricks vom Management verhindert wird. Doch wir sehen auch hier, dass sich Menschen trotz vieler Niederlagen nicht abschrecken lassen von der Organisierung.
In einer Ausstellung an den Wänden der Volksbühne wurde an Kämpfe der Arbeiter*innenbewegung erinnert, die damals viel Aufmerksamkeit erregten und heute weitgehend vergessen sind. Darunter ist der Streik bei der Firma Pierburg in Neuss, wo 1973 vor allem migrantische Frauen für mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen gestreikt hatten. Das war eines der vielen Beispiele, wo Klassenkampf, proletarischer Frauenkampf und Antirassismus zusammenkamen. Es ist zu begrüssen, dass jetzt eine junge Generation, die das Publikum beim Festival grösstenteils stellten, diese Kämpfe neu für sich entdecken.
Reclaim Volksbühne
Das Festiwalla wird seit mehreren Jahren vom politisch engagierten Community-Theater X aus Moabit organisiert und findet erstmals in der Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz statt. Das Theater war seit der Gründung mit der Arbeiter*innenbewegung verbunden, wie in der Ausstellung gezeigt wird. In der Weimarer Zeit gab es Theater von Arbeiter*innen für Arbeiter*innen, daran wurde in den 1970er Jahren teilweise wieder angeknüpft. Nun wäre es an der Zeit, sich diese Traditionen kritisch neu anzueignen. Genau hat das Festiwalla vier Tage in der Volksbühne.
Es wäre zu wünschen, dass ein solches politisch engagiertes Programm künftig wieder ständig zum Programm der Volksbühne gehört. 2019 gab es schon mal eine Volksbühnenbesetzung mit einem eher diffusen Konzept. Jetzt könnte das Interregnum genutzt werden, das an der Volksbühne nach dem Abgang von Frank Castorf und den Tod von Rene Pollesch an der Volksbühne genutzt werden, um dort ein Theater der Unterdrückten und Ausgebeuteten zu etablieren. Die vier Tage des Festiwalla haben eine Ahnung gegeben, was da möglich wäre.
Peter Nowak
passiert am 12.07.2024