@Lotzer: Kritik muss nicht immer zielgerichtet sein
Leider viel zu selten werden Aktionen und Texte der autonomen Szene in Berlin kritisch auseinandergenommen. Ohne eine rabiatere Form der Kritik scheint die Entwicklung von Positionen ausgeschlossen. Was jedoch Sebastian Lotzer unter dem Titel Räumungsblues in Berlin in den Ring geworfen hat, provoziert Nachfragen an die Generation, für die er spricht.
Die tatsächliche Theoriearmut der autonomen Szene beschreibt Sebastian Lotzer in Bezug zur Syndikat Räumung mit den Worten:
„haben doch die dazu veröffentlichten Texte nichts Neues zu der Erzählung von Aufwertung und Verdrängung beizutragen, bzw. weisen sie auch nicht wirklich einen Bezug auf jene wegweisende Texte auf, die vor einigen Jahren entstanden sind, die einiges an Resonanz, wenn auch leider nichts an Konsequenz zur Folge hatten. (2) (3) (4) Im Gegenteil, die aktuelle Erzählung von der Verteidigung von Freiräumen fällt hinter jegliche Diskussion der letzten 10 Jahre zurück.“
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um danach den zaghaften Krawall in Neukölln mit der Formulierung
„Die Berliner Szene gilt jeher als großmäulig und unbeirrbar. Das war schon in den 80igern so.“
zu beurteilen.
Im Weiteren legt der Autor, dessen Veröffentlichungen seine Randalefreundlichkeit nicht in Zweifel stellen, eine Schwachstelle nach der anderen der aktuellen Szene offen, um mit diesem Satz zu schliessen:
„Die Frage ist, ob und wann denn endlich über all das diskutiert werden soll und darf. Oder ob mensch weiter sich in der Szeneblase selbst über die eigene gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit hinweg leugnen will.“
Das verwundert dann schon; hat doch niemand den Debattenschreiber*innen der Radikal in den 80er und 90er Jahren, ein Publikationsverbot erteilt, sie aus den gegenwärtigen Versammlungen und Veranstaltungen ausgeschlossen. Und sicher haben sich auch nicht alle, die in Lotzers Vergangenheit Militanz praktiziert haben, zwischenzeitlich dumm gesoffen.
Eher waren es bewusste Entscheidungen an Wendepunkten der Bewegung, aus Repression oder aufgrund der persönlichen Biographie, die dafür sorgen, dass die Szene über einen gewissen Altersdurchschnitt nicht hinauskommt. Und damit regelmässig Wissen und Erfahrung verliert. Der von Lotzer zitierte Autokonvoi nach Brokdorf 1986 war sicher interessant aus vieler Hinsicht, dieses aber der heutigen Generation vorzuhalten verdreht die Koordinaten, in den Zeit fließt.
Es wurden in den letzten Konflikten oft Fragen gestellt, diejenigen, die sie beantworten könnten, stehen bestenfalls als Zuschauer*in am Rand. Auch wenn es heute manchmal anders erscheint, die nicht nur von Lotzer gelobten 80er Jahre waren sehr kurz und am Ende dieser Phase war mehr Territorium durch Verhandlungen aufgegeben, als die heutigen Autonomen jemals verteidigen konnten. So täuscht auch das Trugbild der “Szeneblase” über die Oberflächlichkeit aktueller Analysen hinweg. Zum Glück wissen weder Behörden noch Sebastian Lotzer etwas darüber, wer 2011 den Widerstand gegen die Räumung der Liebig14 mitverantwortet hat und unter welcher Bezeichnung oder Nicht-Bezeichnung Menschen über längere Zeiträume sich in unterschiedlichen Konflikten bewegen. Das ist die Voraussetzung dafür, keine Avantgarden entstehen zu lassen.
Die Kraft heutiger Spontis hängt sowenig von der Risikobereitschaft der stärksten Krawallant*innen ab, wie der inhaltliche Ausfluss mit den Erkenntnissen der unermüdlichsten Schreiber*innen vor dem Rechner verbunden ist.
Mit einer bislang unbekannten Durchdringung der Gesellschaft von kapitalistischer Ödnis und mentaler Entwertung, sahen sich die Akteur*innen des Widerstands nach der Aufbruchsstimmung der 68er Generation eben nicht konfrontiert. Die Anarchie kann und will niemals effizienter sein als die wissenschaftlich betriebene Zurichtung der Insassens von Berlin, beispielsweise. Jenseits der eigenen Unzulänglichkeiten lebt sie vor allem auch für den Moment. Und der war bei den von Lotzer kritisierten Auftritten sicher nicht nur Ohnmächtig.
Unter anderem Interkiezionale und Liebig34 stellen momentan den Rahmen zur Verfügung, in dem sich die jüngeren Leute organisieren können. Die Antifa hat diese Fähigkeit vor einigen Jahren verloren und die in dem o.g. Text als “Substanz” bezeichneten Alt-Autonomen hatten nie den Anspruch über das Ende ihrer Tage hinaus Bedeutung zu erlangen. Bestimmt ist auch dieser Text überflüssig und könnte der Frage weichen: Ok, also was ist dein konkreter Vorschlag jetzt?
Wartend auf jene, die ihre Logenplätze verlassen und bei Versammlungen das Maul aufmachen oder nicht nur über Steine schreiben,
émeutier