Lebensfreude: Die Rave-Organisatoren von Lieuron melden sich zu Wort
Eine gemeinsame Inbrunst zu leben!
Für all jene, die sich fragen, woher der Wille stammte, denn Beginn dieses neues Jahres zu feiern, sei die Antwort in wenigen Worten zusammengefasst: Ein Jahr der Freudlosigkeit, Angst und des Verlustes ist zu Ende gegangen. Die Entschlossenheit, mit der die Menschen versucht haben, sich Zugang zu der Fete zu verschaffen, ist der Ausdruck des klaren Willens loszulassen. Diese Momente der Freiheit sind den Menschen seit Uhrzeiten inherent. Dies ist ein unveräußerliches Bedürfnis für viele von uns.
Dennoch wird auf die Jugend, Partys und die Kultur mit dem Finger gezeigt. Wir seien die Henker unser Alten und der gesundheitlich fragilen Menschen, indem wir den Virus verbreiteten. Im Angesicht dieser nicht enden wollenden Schulzuweisungen, finden junge Menschen nur noch einen obskuren Nebel als Lebensperspektive vor sich. Nach Covid wird dies in der Klimafrage genauso sein!
Wir akzeptieren nicht, dass wirtschaftliche Interessen hygienische Vorkehrungsmaßnahmen aushebeln können. Dies gilt umso mehr, weil die Not, die durch das Verschwinden der kulturellen und sozialen Räume entstanden ist, große Konsequenzen für die Bevölkerung zur Folge hat. Wir verstehen, das diese Positionierung schockierend wirkt. Wir alle kennen in unserem persönlichen Umfeld Menschen, die zur Risikogruppe gehören und versuchen deshalb diese zu schützten. Doch man muss auch verstehen, dass menschliche Leben aufgrund dieser flauen herrschend Stimmungslage und der andauernden Isolierung aus dem Gleichgewicht geraten. Der Konsum von Antidepressiva ist merklich gestiegen. Die Psychiatrischen Abteilungen sind überfüllt. Viele Menschen sind arbeitslos geworden. Viele Menschen ertragen dieses Klima der Angst nicht mehr und soziokulturelle Alternativen sind notwendig. Dennoch passiert in dieser Richtung nichts! Weder um zu heilen noch um vorzusorgen.
Freier Zugang für die Wartenden
Wir sind deshalb der Bitte jener gefolgt, die nicht nur ein Leben leben wollen, dass bestimmt wird durch die Arbeit, den Konsum und den Bildschirm und einsame Abende. Unsere Geste ist politisch, wir haben umsonst ein Ventil um Druckabbau geboten. Die Möglichkeit, sich einen Augenblick wirklich lebendig wieder zu treffen.
Eine Bande von enthusiastischen Ravern, die sich den Aufrufen zur Auflösung widersetzten, reichte aus, um in Lieuron mit Gummigeschossen und Tränengas einzufallen. Einige kleine Auseinandersetzungen entstanden als Reaktion auf den Druck der Polizei und es wurde ein Zugang durch den Hintereingang für die Wartenden geschaffen. Eine riesige wiedererwachende Freude und gemeinsam geteilte Gefühle der Erleichterung wurden sichtbar, als klar wurde, dass auch die restlichen Menschen Zugang zum Fest erhielten. Es folgten diverse freundschaftliche Szenen, wo sich zeigte, dass Anwohner, Feuerwehrangehörige und Feiernde gemeinsam das Ende dieses furchtbaren Jahres begingen!
Eine gelungene Party
Die staatlichen Behörden waren schnell darin zu unterdrücken, aber nicht zu helfen. Es scheint daher logisch, dass 200 bewaffnete Bereitschaftspolizisten entsandt wurden, um die Festivität zu verhindern. Doch warum wurde zu Beginn niemand geschickt, der die Einhaltung von sanitären Maßnahmen unterstützte?
Von Anfang an haben wir der Covidprävention eine zentrale Rolle eingeräumt. Klare Hinweise zur Nachverfolgung und Quarantäne wurden in großer Menge am Eingang, während der Veranstaltung und danach gegeben. Mehrere tausend Masken und dutzende Liter Hygieneflüssigkeit wurden verteilt und standen zusätzlich zur freien Verfügung bereit.
Mit der wertvollen Hilfe des Vereins Technoplus wurden die Adressen von Testzentren ebenso wie andere praktische Hinweise bezüglich des Feiern in Pandemiezeiten an die Teilnehmer kommuniziert. Der Veranstaltungsort wurde so gewählt, dass genug Frischluftzufuhr, die Grundbedingung um Infektionen zu verhindern, gewährleistet werden konnte.
Die Party war großartig: Farben, Lachen, Liebe, Teilhabe, Musik und Licht. Eine gemeinsame Inbrunst zu leben. Ein wieder gewonnener Moment der Freiheit. In Folge der Drohung der Räumung durch die Polizei, haben wir uns entschieden in der Nacht zu gehen, um zu verhindern, dass die staatliche Gewalt diese unvergessliche Erinnerung verblassen lassen könnte.
„Aktiv gesucht“
1650 Geldbußen waren die einzige Antwort, welche von Seiten der Regierung kam. Ein Anschlag auf den Gelbeutel jener Jugend, die von der Wirtschaftskrise ohnehin schon besonders betroffen ist. Zusätzlich wurde die Teilnehmer als „2500 Verbrecher“ bezeichnet.
Um nicht das Gesicht zu verlieren, wurden zwei zufällige Anwesende sofort verhaftet. Nur weil sie im Besitz eines elektronischen Instruments, sowie einem Plattenteller und ein wenig Beschallungstechnik waren. Damit kann man zwar einen schönen Abend unter Freunden gestalten, aber unbrauchbar für eine Feier von derartiger Größe. Diese Menschen wurden also allein aus Gründen der Öffentlichkeitswirksamkeit erniedrigt und terrorisiert.
In seiner traurigen Obsession, um jeden Preis Autorität zu beweisen, hat der Staat nicht gezögert, harte Verfolgungsmaßnahmen einzuleiten. Ein Maximum an Chefanklägern folgte einer dem anderen, um zu zeigen wie schwer die gegebenen Antworten wiegen. Wir, die Organisatorinnen und Organisatoren, werden „aktiv gesucht“, Begriffe die sonst nur für Schwerstkriminelle reserviert sind. Man will uns also eingesperrt sehen und uns entmutigen, damit wir keine Regung mehr zeigen, kollektive kulturelle Dissidenz zu praktizieren, unabhängig davon, welche Vorbereitungen getroffen werden. Dennoch führen wir solche Feste mit selbstgewähltem Unkostenbeitrag aus Begeisterung durch, um die anfallenden Kosten decken zu können. Oft genug bekommen wir danach als Rückmeldungen nur Beleidigungen.
Doch diese Feste sind Zeichen der Hoffnung und des sozialen Zusammenhalts für Hundertausende junge Menschen aus allen Klassen und jedweder Herkunft. Sie sind, was sie sind, aber sie sind vor allem das Spiegelbild eines Teils der Gesellschaft, den unsere Regierenden nicht ewig ignorieren können. Wir sind also stolz drauf in diesen turbulenten Zeiten ein paar tausend Menschen das Lachen wiedergegeben zu haben, sei es auch nur durch den Augenblick einer Neujahrsraveillon!
Übersetzung des Originaltextes, der bei „Liberation“ erschien: https://www.liberation.fr/debats/2021/01/05/rave-party-de-lieuron-une-ardeur-commune-de-vivre_1810376/
passiert am 05.01.2021