Cesare Battisti im Hungerstreik
Wie seine Familienangehörigen mitteilten befindet sich Cesare seit einigen Tagen im Hungerstreik. Seit Monaten in Totalisolation im Trakt im Knast in Kalabrien gehalten, weil seine einzigen Mitgefangenen dort islamistische Terroristen sind. Cesare hat wiederholt seine Verlegung gefordert, weil er mehrfach von Islamisten mit dem Tode bedroht wurde und er seine Angehörigen praktisch nicht sehen kann. Eingesperrt 40 Jahre nach Taten, für die er selbstkritisch die politische Verantwortung übernommen hat, wird ihm von den Behörden eine besondere Gefährlichkeit unterstellt, um die Rache des Staates zu exekutieren.
Cesare muss raus aus dieser Situation, die auf seine Vernichtung abzielt.
Kurz vor Beginn seines Hungerstreiks hat er dies noch einmal in einem Brief Ende Mai an die zuständigen Behörden gefordert und erneut darauf hingewiesen, dass er sich faktisch seit 27 Monaten in Totalisolation befindet.
Es folgt die Übersetzung eines Briefes von ihm, der jüngst am 6. Juni 2021 auf Carmilla erschien und während seines letzten Hungerstreiks im Herbst 2020 verfasst wurde. Wir weisen an dieser Stelle auch nochmal auf den Beitrag ‘Kalabrisches Guantanamo’ hin, den wir in der letzten Ausgabe der Sunzi Bingfa veröffentlicht haben und in dem Cesare ausführlich auf seine politische Geschichte eingeht.
Ein Hundesonntag – Cesare Battisti
Ich zog alles an, was ich konnte, um mir die Kälte aus den Knochen zu vertreiben. Denn eigentlich ist der Tag draußen sonnig. Und dann kann das Wetter hier nicht so unangenehm sein. Es sind die Nerven. In Abwesenheit von Kalorien ist es ein plötzliches Gefühl der Verlassenheit, das mich frösteln lässt. Aber wenn ich weiter glauben will, dem Hunger widerstehen will, muss ich ihn rechtzeitig ausschalten.
Die Zerstörung des Planeten, die auch Kalabrien erreicht hat. Man sollte nicht so leichtsinnig sein, es auf die driftenden Schmelzkappen zu schieben. Kurz bevor ich anfing mit den Zähnen zu klappern, habe ich die Enzyklika gelesen. Eine Freundin von mir, die eine Ordensschwester ist – nur um auf dem Laufenden zu bleiben – hat sie mir geschickt. Es ist lobenswert und erschreckend zugleich, wie der Papst sich auf alle Übel des Planeten stürzt. Finger am Puls der Zeit, keine Einsprüche. Aber Franziskus der Gute hat mit meiner Erkältung nichts zu schaffen. Der eisige Luftzug kommt nicht von außen. Nicht einmal vom Herzen, das ist in guten Händen. Sondern aus dem Magen, der sich, seit Freitagmorgen leer, unter der Bettdecke windet. Verstehen Sie mich nicht falsch, nicht einmal in Guantanamo Calabro lassen sie die Gefangenen verhungern. Es ist meine Schuld, ich habe gefastet, um dem Ärger aus dem Weg zu gehen.
Es ging alles so schnell. Es sollte ein ganz normaler Tag auf der Isolierstation werden. Etwas ist schief gelaufen.
Ich habe mich so oft gefragt, mit all der Zeit der Welt, welche Notwendigkeit ein Sträfling hat, wahnsinnige Gewohnheiten zu kultivieren: alles an seinem verdammten Platz – jede Bewegung auf den Millimeter genau studiert. Als ob die Zelle eine Vitrine wäre und wir wertvolle Kunstwerke darin.
Sendezeit in der „Kiste mit den Stiefeln“, wie sie der Albaner von jenseits der Mauer nennt, ist um 8.30 Uhr. Die Dusche, danach, um die Schwermut des einsamen Spaziergangs loszuwerden. Zwischen diesen beiden Hauptereignissen eine Myriade von Gesten und Reflexionen, die von inneren Algorithmen geprägt sind. Egal, wie sehr ich mich bemühte, den festgelegten Zeitplan einzuhalten, der Freitagmorgen entglitt mir. Noch bevor ich aus dem Bett aufgestanden war, schienen mein Geist und die Dinge müde zu sein. Ich versuchte, nicht daran zu denken. Trotz der Verwirrung ging ich mit jener fast fröhlichen Unruhe an die Luft, die mich immer ergreift, wenn sich etwas nicht richtig anfühlt.
Es gibt nichts Übernatürliches am sechsten Sinn eines Sträflings. Im Nachhinein betrachtet, deckt er viele Details auf, die wir im Alltag nicht sehen, die aber dem gejagten Tier nicht entgehen. Und so muss es auch am Freitagmorgen gewesen sein. Ich fand es sogar ganz normal, dass ich ohne Maske in die Krankenstation gerufen wurde. Ich war nicht allzu überrascht, als aus einer Ecke des Korridors eine Handvoll Agenten, angeführt von ihrem natürlichen Anführer, auf mich zu sprang. Unmöglich zu argumentieren, noch weniger zu widerstehen. So viel Inszenierung hätten sie gar nicht gebraucht, um mich in ihren ISIS-Bunker zu bringen. Können Sie sich vorstellen, dass Ihre Wenigkeit mit so viel abschreckender Kraft konfrontiert wird?
AS2-ISIS (1) ist genau so, wie sie es mir beschrieben haben: eine Art düsterer Tresor im Rossano-Komplex. Natürlich haben die Büßer hier nicht einmal Anspruch auf die üblichen Fliesen. Am auffälligsten ist der raue Beton, der am Eingang herrscht. Der einzige Widerstand, der, na ja, passiv, war, als man mich in eine Zelle bringen wollte, die einige Impressionen verdiente. Von Bestrafung zu Bestrafung. Ich traute mich nicht, das Bett oder den Stuhl zu berühren, so groß war der angesammelte Dreck. Ich stellte mich vor die Toilette…. und begann zu schreien.
Heute ist Sonntag, der 18. Oktober, und ich habe keine Ahnung, wie ich dieses Schreiben herausbekommen soll. Es ist kaum 10.30 Uhr und hinter dem gepanzerten Wagen hat schon jemand „il praaanzo!“ auf Arabisch gerufen, nehme ich an, und das wird alles sein bis Montagmorgen. In Guantanamo Calabro gibt es am Sonntag kein Abendessen. Ernsthaft! Mittagessen, Abendessen und Brot sind die drei arabischen Wörter, die ich kenne. Der Kalfaktor fragt mich nicht, er weiß, dass ich vom ersten Moment an das Essen verweigere. Der Schließer fragte mich, ob ich im Hungerstreik sei. Ich antwortete, dass ich keinen Appetit habe, um nicht zu sagen, dass ich ihm nicht traue.
Mir wurde das Lesen und Schreiben beigebracht, in Maßen. Dem Fernsehen, mit einer gewissen Unanständigkeit des Senders, zog ich mein kleines Radio vor. Es schreit auch, und dann geht die Lautstärke des Telefons hoch, das ist, wenn es einen Angriff gibt. Bis jetzt habe ich es geschafft, meine Zelle nicht zu verlassen, aber dazwischen liegen noch Samstag und Sonntag. Wenn Sie einen billigen Schuss wollen, müssen Sie bis Montagmorgen warten. 1981 hatte ich in Fossombrone eine kurze Phase des berüchtigten Artikels 90. (2) Von hier aus betrachtet, war es gar nicht so schlimm.
Fußnoten Übersetzung
“AS2-ISIS” ist eine Wortschöpfung von Cesare. AS2 ist die italienische Klassifizierung von Hochsicherheitstrakt, in eben jenem Trakt des Rossano Gefängnisses in Kalabrien sind außer Cesare ausschließlich islamistische “Gefährder” inhaftiert.
Regelt das besonders “harte Gefängnisregime”, sprich die Bedingungen der Isolation, inclusive Kontakte nach draußen….
https://sunzibingfa.noblogs.org/post/2021/06/07/cesare-battisti-im-hungerstreik/