Verlauf eines Ermittlungsverfahren gegen einen Gefangenen aus Moabit wegen eines Beitrages von uns
Am 28.04.21 wurden auf unserem Blog faschistische Wärter geoutet. Am 28.10.21 wurde der Gefangene Kay gerazzt. Begründung: er hätte das Outing verfasst, die Razzia war dementsprechend ein Resultat eines Ermittlungsverfahrens vom Amtsgericht Tiergarten gegen ihn mit dem Vorwurf der üblen Nachrede. Seine Zelle wurde mit der Begründung „zum Auffinden von Beweismitteln“ durchsucht. Wir werden nachfolgend detailliert beschreiben, wie das Ermittlungsverfahren gegen ihn begründet wurde und wie er sich dagegen wehrte. Falls andere Gefangene wegen unserer Beiträge ebenfalls Repression erleben, meldet euch gerne bei uns. Wir lassen uns nicht spalten und schon garnicht lassen wir euch mit dem Müll, den sie sich ausdenken, alleine.
Zunächst leierte der Knast im September 2021 ein Ermittlungsverfahren ein gegen Kay ein. Er wurde nach §186 StGB beschuldigt „in Berlin zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen dem 04.03.21 und den 28.04.21 durch die selbe Handlung in drei Fällen in Beziehung auf einen Anderen eine Tatsache behauptet und verbreitet zu haben, welche den Selben verächtlich zu machen und in seiner öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wobei diese Tatsache nicht erweislich wahr ist und dabei zugleich Personen beleidigt zu haben. Zu einem unbekannten Zeitpunkt zwischen den 03.03 21 und den 28.04.21 teilte der Beschuldigte in der JVA Moabit einer unbekannt gebliebenen Person, die an einen Artikel für die Internetseite criminlasforfreedom schrieb, mit, die Justizmitvollzugsmitarbeitenden Ingo Wickerat, Dirk Oelze Robin Blob und Silke Jonas seien ‚Schweine sowie faschistische Wärter*innen, welche sich rassistisch äußern, Gefangene drangsalieren und foltern oder ermorden‘ um den Zeugen oder die Zeugen in ihrer Ehre herabzuwürdigen. Ihm war bewusst, dass die behaupteten Tatsachen nicht erweislich waren und der Beitrag mit seinen Zitaten unter dem Titel ‚Faschowärter*innen und Repression in Moabit‘ von einer unbestimmten Anzahl von Personen wahrgenommen würde.“
Unterschrieben wurde diese Anhäufung von Wörtern vom Richter Bäuml – der Richter, der auch gegen Kay den Haftbefehl ausstellte.
Insgesamt wurden Kay durch 4 Bullen des LKA Berlin 521 am 28.10.21 aus der Zelle mehrere Unterlagen beschlagnahmt. Diese wollten sich aber ausweislich vor Kay nicht identifizieren, weil sie wohl Angst hätten, dass ihre Namen dann online erscheinen würden. [Hier zum Durchsuchungsbeschluss und dem Protokoll der Bullen darüber, was sie aus Kays Zelle klauten.]
Beschlagnahmt wurden damals Kays Berichte zur Zellenrazzia aus Moabit vom 28.01.21, ein Ausdruck einer Veröffentlichung von uns vom 18.07.20 sowie ein Schreiben an die Senatsverwaltung für Justiz vom 14.03.21.
Daraufhin nahm die Anwältin von Kay bei der Staatsanwaltschaft Stellung. Wir teilen inhaltlich nicht alle Argumente, welche hier hervorgebracht werden. Die Stellungsnahme stellt eine sehr detaillierte Aussage dar, welche impliziert, dass Kay das Outing nicht verfasst hat und es dementsprechend eine andere Person/Gruppe gewesen sein muss. Das finden wir eher kritisch – können aber durchaus nachvollziehen, dass Lebensrealitäten auch zu Aussagen in der Hoffnung auf milde Strafen/garkeine Strafen führen können. Nicht nachvollziehen können wir hingegen den Teil im Statement, in welchem steht: „Bei in Augenscheinnahme des originären Artikels bei ‚C4F‘ sollte dessen Verfasser zu ermitteln sein.“, weil er konkret dazu aufruft, Ermittlungsverfahren gegen andere Personen einzuleiten. Wir finden es wichtig, drinnen wie draußen zusammenzuhalten. Das bedeutet für uns auch, Menschen nicht an die Behörden auszuliefern. Zwar schreibt Kays Anwältin nicht, wen sie konkret hinter den Artikel vermutet, allerdings könnte dieser Satz als Aufruf verstanden werden, in andere Richtungen zu ermitteln – dementsprechend würde die Repression andere Einzelpersonen oder Strukturen treffen. Dieses Vorgehen können wir deswegen nicht befürworten.
Ebenfalls bezieht sich die Anwältin auf Sätze und Inhalte im Outing, welche für Kays Verfahren keine Relevanz haben. Sie teilte dem Gericht ihre Meinung über Inhalte des Beitrages mit, was unserer Meinung nach völlig fehl am Platz ist. Einen Meinungsaustausch bzw. eine Diskussion über Inhalte auf unseren Blog können wir gerne führen, diese Unterhaltung aber mit dem Gericht einzugehen, finden wir nicht nur im Bezug auf Kays Verfahren unnötig, sondern auch unfair gegenüber den Gefangenen, welche die Zitate im Outing betreffen.
Teilweise entsteht nämlich der Eindruck, die Anwältin würde einzelne Inhalte des Beitrages/Aussagen von Gefangenen in Frage stellen – wieso das dem Gericht mitgeteilt werden muss, ist uns schleierhaft und wirkt für uns stellenweise sehr spalterisch.
Trotz aller Kritik veröffentlichen wir an dieser Stelle das Schreiben der Anwältin, um den Verlauf transparent zu machen.
Zu der kompletten Argumentation der Anwältin klickt hier. Falls ihr keine Lust habt, vier Seiten zu lesen, hier die Argumente im Überblick:
- das Outing wäre nicht in dem Sprachgebrauch von Kay formuliert worden.
- das Outing wäre anonym verfasst worden. Kays Name kommt in dem Outing nicht vor, in anderen Artikeln auf unserem Blog dahingegend schon. Die Anwältin zieht daraus den Schluss, Kay könne nicht der Verfasser des Outings sein, er hätte sich sonst selbst namentlich bemerkbar gemacht.
- in dem Outing werden private Angaben von Wärter*innen gemacht, über welche Kay keine Kenntnis haben konnte.
Natürlich wissen wir nicht, ob der aufgehührte Brief der Anwältin dazu führte, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde, oder die Justiz einfach eh keine Lust mehr hatte, oder sie auch unabhängig vom Schreiben der Anwältin wussten, dass das Verfahren ins Leere laufen wird und es nur darum ging, Kay mit einer Razzia/einem Verfahren zu ärgern oder oder oder.
Was wir aber an dieser Stelle mal behaupten würden ist, dass sie auf jeden Fall immer daran interessiert sind, wie Strukturen funktionieren. Entweder, um Einzelpersonen anzuklagen, oder um sich Zusammenhänge zu erschließen oder zu konstruieren – und diese dann mit Repression zu überziehen. Weil das Schreiben der Anwältin als Aufruf verstanden werden kann, weiter bzw . n andere Richtungen zu ermitteln, und weil ein Meinungsaustausch mit dem Gericht angestrebt wird bzw. dabei auch einzelne Aussagen von Gefangenen in Frage gestellt werden, finden wir es eher kritisch.
Für Gefangene, welche Repression durch unsere Beiträge erleben, würden wir deswegen folgendes Vorgehen vorschlagen:
- schreibt uns sehr gerne, wir können uns darüber austauschen, welcher juristische Weg sinnvoll ist,
- verweigert im besten Fall ganz die Aussage. Umso weniger Informationen sie über euch haben, desto weniger können sie ermitteln. Jegliche Information kann eine zu viel sein – auch, wenn man manchmal vielleicht denkt, dass „dieses und jenes“ doch „nicht schlimm“ wäre zu sagen, nutzt die Justiz selten Aussagen, um Menschen zu entlasten. Eher nutzt sie diese, um noch tiefer zu graben, um intensiver zu ermitteln.
- Wenn es euch aber wichtig ist zu betonen, dass ihr definitiv nicht die Verfasser*innen einer unserer Artikel seit, macht es ohne dazu aufzufordern, Verfasser*innen zu ermitteln.
- Und generell gilt: wir können uns darüber austauschen, wie ihr am besten vorgehen wollt – lasst uns gemeinsam dagegen kämpfen und zusammen Strategien überlegen, anstatt vereinzelt.