Panzerfahrt, toxische Männlichkeit und Lobbyismus im „vertraulichen Rahmen“
Frankfurt ist Ort der Polizeimesse GPEC. Unser Autor besuchte die viertägige Messe und durfte dabei sogar mit einem Panzer über das Gelände fahren. Eine Reportage.
Frankfurt – Grelles Blaulicht blendet die Besucher:innen, die zu großen Teilen mit Polizeiuniformen bekleidet in Halle 3 der Frankfurter Messe strömen. An den Ständen werden die ausgestellten Modelle der neusten Polizeiauto-Generation von Mitarbeiter:innen auf Hochglanz poliert. Noch nicht in Sichtweite, aber deutlich vernehmbar, ist das elektrische Klicken eines Taser-Elektroschockers zu hören.
Wir besuchen die GPEC, die General Police Equipment Exhibition and Conference, die alle zwei Jahre stattfindet und sich als Fachmesse für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) versteht. Die Veranstaltenden sprechen davon, dass sich in diesem Jahr 503 Aussteller:innen aus 31 Staaten auf der Fachmesse angemeldet hätten. Das Ganze findet unter der Schirmherrschaft von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) statt. Sie lobt in ihrem Grußwort, dass sich die GPEC „seit 2000 für die Vertreter aus Behörden für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung als Spezialfachmesse hervorragend bewährt“ habe. Die Ministerin stellt insbesondere den direkten Kontakt sowie Austausch von Sicherheitsbehörden mit den Vertreter:innen der Ausstattungs- und Zulieferindustrie heraus.
Polizeimesse GPEC in Frankfurt – kein Zutritt für Journalist:innen
Auf der Polizeimesse treffen Behörden wie die Landeskriminalämter aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sowie die zusätzlich mit ihren Polizeidirektionen anwesenden Länder Hessen, Sachsen und Sachsen-Anhalt unter anderem auf Anbieter:innen von Fahrzeug- und Waffentechnik. Daneben finden sich Hersteller:innen von Ausrüstung aus den Bereichen von ABC-Schutz, über Kriminal-, Labor- und Messtechnik, bis hin zu Firmen, die Lösungen für die Verkehrssicherung und -kontrolle anbieten.
Die GPEC betont in diesem Zusammenhang die Qualität der Messe als „One-Stop-Shop für alle Sachgebiete“. Das bedeutet, dass alle bürokratischen Schritte, die zum Abschluss einer Zusammenarbeit zwischen Behörden und Industrie notwendig sind, vor Ort eingeleitet, wenn nicht gar vollzogen werden können. Und das, wie die Messebetreiber:innen besonders hervorheben, in einem „vertraulichen Rahmen“.
Die GPEC ist nämlich eine nicht-öffentliche Veranstaltung. Die Anwesenheit von Journalist:innen ist nicht vorgesehen. Dementsprechend muss fr.de verdeckt von der Messe in Frankfurt berichten. Außerdem scheint die Anwesenheit von kritischen Stimmen wie beispielsweise Vertreter:innen der Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“, die sich intensiv mit dem Verhalten und der Ausrüstung der Polizei in Deutschland auseinandersetzen, seitens der Organisator:innen der Fachmesse nicht erwünscht zu sein.
Taser-Test bei der Polizeimesse GPEC in Frankfurt – Ehrliche Überraschung über kritische Fragen
Dies wird deutlich, als wir an den Stand der Firma „Axon“ gehen. Das Unternehmen hat ein Monopol auf dem Gebiet der Distanzelektroimpulsgeräte (besser bekannt unter dem Markennamen Taser) inne. Dort unterhalten wir uns mit einem Mitarbeiter, der uns nicht nur den angeblich nicht-tödlichen Taser, sondern auch die Bodycam seiner Firma anpreist.
Kritischen Nachfragen hinsichtlich zahlreicher durch „Amnesty International“ dokumentierter Todesfälle, die im Kontext mit dem Einsatz des Tasers stehen, weicht der Mitarbeiter jedoch konsequent aus. Er wirkt ob der Nachfrage sogar ernsthaft überrascht. Dies mag mitunter auch daran liegen, dass viele Mitarbeiter:innen der Sicherheitsbehörden vor allem an den Stand von „Axon“ kommen, um „endlich einmal“, wie ein Messebesucher sagt, „den Taser ausprobieren zu können“.
Der bekommt von einem „Axon“-Mitarbeiter den Elektroschocker in die Hand gedrückt und darf nach kurzer Erklärung den Abzug betätigen. Das charakteristische elektrische Klicken der Waffe erklingt und wir sehen zwischen den beiden Elektroden der Waffe einen Lichtblitz überspringen, der im Ernstfall sein Ziel mit einem Elektroschock von 50.000 Volt außer Gefecht setzen soll. Während die Nähe zu einem solchen Gerät für uns bedrohlich wirkt, lacht der Messebesucher und zeigt sich mehr als zufrieden von der Demonstration der Waffe.
GPEC in Frankfurt: Alle sieben Polizeipräsidien in Hessen verfügen über Elektroschockpistolen
An der Firma „Axon“ wird ein Grundproblem von Polizei- und Ausrüstungsmessen deutlich: Während die Politik sich in der Öffentlichkeit beispielsweise mit der Kritik von „Amnesty International“ am Einsatz des Tasers auseinandersetzen muss, begegnen sich bei der GPEC ranghohe Vertreter:innen der Sicherheitsbehörden mit den Lobbyisten aus der Sicherheitsindustrie ohne öffentliche Kontrolle.
Im Falle des Tasers hatte das konsequente Lobbying von „Axon“ zur Folge, dass das Gerät auf Druck der Polizeigewerkschaften und Sicherheitsbehörden mittlerweile bei allen deutschen Landespolizeien im Einsatz ist oder sich in Pilotprojekten zur Erprobung befindet. In Hessen sind gar alle sieben Polizeipräsidien mit den Elektroschockpistolen ausgestattet. Die massiven Kritik, welche der Taser-Einsatz von wissenschaftlicher Seite erfährt, wird in diesem Zusammenhang kaum beachtet.
Polizeimesse in Frankfurt: Zusammensetzung von Spezialeinheiten-Panel stimmt bedenklich
Wir verlassen den Ausstellungsbereich der GPEC, um an einer der zahlreichen Fachtagungen teilzunehmen, die im Rahmen der Messe stattfinden. Die angebotenen Themen reichen von der Digitalisierung der Sicherheitsbehörden, über Cybersicherheit, bis hin zu einer Fachkonferenz zu Waffen- und Schutzausstattungen.
Besonders ins Auge fällt der „Workshop Spezialeinheiten“: Für diesen sind hinter verschlossenen Türen ausschließlich Mitarbeiter:innen mobiler Einsatzkommandos und Angehörige von Spezialeinheiten zugelassen. Ziel der Veranstaltung ist die „Weiterentwicklung der Spezialeinheiten-Netzwerke“. Geleitet wird sie vom ehemaligen sächsischen Landespolizeipräsidenten Horst Kretzschmar. Jener Kretzschmar, der auch unter seinem Spitznamen „Eisenhorst“ bekannt ist, und in den 1990er Jahren mit dem Aufbau der sächsischen Spezialkräfte betraut war.
Die Zusammensetzung des Panels muss bedenklich stimmen: Waren es doch die sächsischen Spezialeinheiten, aus deren Dienstbeständen mindestens 7000 Schuss Munition entwendet wurden. Leitende Beamte des mobilen Einsatzkommandos waren dabei im Zuge der Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen die rechtsextreme Prepper-Gruppe „Nordkreuz“ ins Visier der Ermittlungsbehörden geraten. Was auf der GPEC beim „Workshop Spezialeinheiten“ hinter verschlossenen Türen besprochen wurde, wissen wir nicht.
Besuch auf der Polizeimesse GPEC: Verschlossene Türen, Cop Culture und toxische Männlichkeit
Die Anwesenheit des ehemaligen Polizeipräsidenten Kretzschmar, der sich in seiner Amtszeit wahrlich nicht den Ruf des engagierten Kämpfers gegen rechtsextreme Tendenzen in seiner Behörde erworben hat, lässt jedoch vermuten, dass hier eher von einer Verstetigung der Muster der sogenannten „Cop Culture“ in den Sondereinheiten auszugehen ist. „Cop Culture“ bezeichnet in diesem Zusammenhang informelle Wertesysteme und Verhaltensmuster innerhalb der Polizei, wodurch ganz wesentlich auch bestimmte Männlichkeitsrituale tradiert werden. Diesen begegnen wir auch prompt bei auf der Fachtagung, zu der wir uns anmelden konnten.
Als wir eintreffen, halten sich ausschließlich Männer im Tagungsraum auf. Kurz darauf erscheint die Mitarbeiterin einer Polizeibehörde, die sich prompt sexistischen Sprüchen zweier männlicher Referenten ausgesetzt sieht. „Oh, Sie sind ja eine Frau“, sagt der eine, um danach klarzustellen, dass sie „dennoch herzlich willkommen“ sei, da man ja mittlerweile „genderneutral“ sei. Der andere begibt sich zur Tür und ermahnt zwei verspäteten Teilnehmer der Fachtagung, sich doch zu beeilen. Man brauche „Verstärkung“, da auf einmal eine Frau im Raum anwesend sei. Die anwesenden Männer quittieren die zur Schau gestellte toxische Männlichkeit mit einem anerkennenden Lachen.
Die junge Frau sagt anschließend lediglich, dass sie es gewohnt sei, ausschließlich mit Männern zusammenzuarbeiten. Der ältere Herr, der die Fachtagung moderiert, lässt sich zur Begrüßung der anwesenden „Damen und Herren“ auch noch zu einem Witz über die genderneutrale Sprache – Stichwort „Teilnehmende“ – hinreißen. Ein Verhalten, das mittlerweile in vielen gesellschaftlichen Kreisen durch betretenes Schweigen sanktioniert wird, erhält in Sicherheitskreisen noch bis heute Anerkennung in Form von Lachern.
Militärs und Bewaffnung der Polizei: Wer schützt und beschützt hier wen?
Zum Abschluss suchen wir den Außenbereich der GPEC auf, wo zahlreiche Aussteller:innen ihre Produkte in Aktion präsentieren. Während wir von der Messehalle aus schon zahlreiche Drohnen im Einsatz beobachten konnten, kommen wir gerade richtig zum „Action Center“ der Firma „Haverkamp“, wo ein Mitarbeiter die Wirksamkeit der Sicherheitsfolien demonstriert, welche die Firma beispielsweise für die Scheiben der Dienstwagen der Polizei herstellt.
Martialisch wird im „Action Center“ eine mit Folie verstärkte Scheibe mit Molotov-Cocktails, Eisenkugeln und einer Axt bearbeitet. Das Publikum – unter anderem ist eine zehnköpfige Gruppe Militärs in tarnfarbener Uniform der Bundeswehr anwesend – schaut vergnügt zu.
Noch martialischer präsentiert sich wenige Meter weiter der Stand des Rüstungsherstellers „Rheinmetall“. Beziehungsweise das ausgestellte Produkt: der „Survivor R“. Der Panzerhersteller lädt die Besucher:innen der Messe zu einer Probefahrt ein. Wir steigen ein und drehen im minensicheren 15-Tonnen-Koloss aus Panzerstahl eine Runde über das Gelände der Frankfurter Messe.
Mit beinahe kindlicher Begeisterung erklärt uns der Fahrer des „Survivor R“ die Spezifikationen des Polizei-Panzers. Unsere Mitfahrer hängen gebannt an seinen Lippen und kommen zum Ende der Fahrt ins Gespräch über eine mögliche Bewaffnung des Fahrzeugs. Dabei verrät der Fahrer: „Ich komme ja eigentlich aus dem Militär. Scharfschütze.“
Panzer-Probefahrt bei Polizei- und Sicherheitsmesse GPEC: Mulmiges Gefühl, begeisterte Messegäste
Die beiden geraten ins Fachsimpeln über die Bewaffnung, die auf dem „Rheinmetall“-Koloss eingesetzt werden kann. Im lauten Ton der Überzeugung lässt uns unser Scharfschützen-Fahrer wissen: „Die HK417 reicht vollkommen aus. Damit kannst Du auch noch problemlos auf 900 Meter jemand umballern.“
Mit einem mulmigen Gefühl steigen wir aus dem „Survivor R“ aus. Die allgegenwertige Begeisterung bei den Messeteilnehmer:innen für immer neuere und bessere Waffen erschließt sich uns logisch nicht. Und angesichts der zahlreich in der Messehalle zur Schau gestellten Waffen- und Verteidigungsausrüstung drängt sich zum Schluss des Messebesuchs immer mehr die Frage auf, welches Selbstverständnis bei der Polizei und der Rüstungsindustrie vorherrscht. Dient die gezeigte Technik der Polizei dazu, die Bevölkerung zu schützen? Oder geht es den Akteur:innen auf dieser Messe eigentlich darum, die Polizei vor der Bevölkerung zu schützen?
Hinweis der Redaktion: Die Reportage wurde anonym veröffentlicht, um den Autor zu schützen.
passiert am 07.06.2022