Alles anders, alles wie immer
Die antimilitaristische Bewegung mobilisiert gegen Rüstungskonzerne und Waffenlieferungen – reicht das?
Auf den ersten Blick waren die Aktionstage von dem Bündnis Rheinmetall Entwaffnen in Kassel ein Erfolg. Von Ende August bis Anfang September mobilisierte die Antikriegsbewegung unter dem Motto »Kassel entwaffnen ist (k)eine Kunst!« in die Stadt der Rüstungsschmieden. Das Camp konnte durchgesetzt werden, die inhaltlichen Debatten waren vielseitig – es ging unter anderem um Grenzregime im Sahel und Nordafrika, baskische Perspektiven auf Internationalismus oder die Zimmerwalder Konferenz, auf der sich 1915 Kriegsgegner*innen aus ganz Europa in der Schweiz getroffen hatten.
Zahlreiche Aktionen prägten dazu die Protestwoche: Vor einer Filiale der Deutschen Bank führten die Kriegsgegner*innen etwa ein symbolisches Die-In auf, am Kasseler Rathaus brachten sie eine Gedenktafel für Deserteur*innen an, rote Farbbeutel landeten auf dem Gebäude eines Rüstungskonzerns. Als Höhepunkt blockierten die Aktivist*innen die Zufahrtswege zu einem Produktionsstandort von Krauss-Maffei Wegmann. Rund tausend Demonstrant*innen zogen zum Abschluss durch Kassel. »Lasst uns an der Rüstung sparen und dafür für neun Euro fahren«, war eine griffige Parole.
Auch der Krieg in der Ukraine kam in ein paar der Veranstaltungen und Redebeiträge vor. Die Schwerpunkte lagen jedoch auf anderen Themen. Möglicherweise war es unter den aktuell schwierigen Bedingungen keine schlechte Idee, den harten Kern der Aktivist*innen hinter verbindenden Elementen wie der Rojava-Solidarität und unstrittigen Forderungen wie der nach Abrüstung zu versammeln. Manch eine*r könnte sich aber auch gefragt haben, ob diese Aktionstage in ähnlicher Form nicht auch in den vergangenen Jahren genau so hätten stattfinden können. Trotz der positiven Bilanz der Aktionstage stellt sich die Frage: Ermöglichten sie die notwendige Orientierung in den aktuellen Konflikten?
Schwere Zeiten für Friedensfreund*innen
Klar ist, dass die fortschrittlichen und radikalen Kräfte unter den Antimilitarist*innen vor zahlreichen Fragen stehen. Das zeigte sich nicht nur in Kassel.
Nach der Zeitenwende-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz sah es im Frühjahr für einen Augenblick tatsächlich so aus, als ob ein breites Bündnis gegen die massiven deutschen Aufrüstungspläne denkbar wäre. Zahlreiche Organisationen, Aktivist*innen und Politiker*innen unterzeichneten die Onlinepetition »Demokratie und Sozialstaat bewahren – Keine Hochrüstung ins Grundgesetz!«, insgesamt unterschrieben ihn bis heute 50.000 Menschen. Eine tatkräftige Allianz ist daraus jedoch nicht entstanden.
Im Gegenteil: Die militärische Logik und der daran geknüpfte Bekenntnisdruck zur Bundeswehr sind bis weit in das linksliberale Lager hinein verbreitet. Der Raum für kritische Positionen ist kleiner geworden. Zum Antikriegstag am 1. September gab es zwar in mehreren Städten Kundgebungen, die Beteiligung war aber verhalten.
Eine derzeit besonders herausstechende Frage ist indes, wie stark friedenspolitische Forderungen in möglichen Sozialprotesten in den kommenden Monaten präsent sein werden. Große Herausforderung dabei ist es, einen Umgang mit reaktionären Deutungsmustern bei diesen Demonstrationen zu finden. Die extreme Rechte wie auch das verschwörungsideologische Milieu verknüpfen in ihren Mobilisierungen bereits jetzt offensiv die drohende soziale Notlage mit der Sanktionspolitik der Regierung.
Die entsprechen Kernanliegen umfassen meist »Frieden mit Russland«, die Öffnung der Gas-Pipeline Nord Stream 2, das Ende der Sanktionen und den Stopp von Waffenlieferungen. Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung wird in dieser Logik als »Volksverrat« umdefiniert. All das fand sich etwa bei Protesten in Lubmin bei Greifswald Anfang September zwischen Deutschland- und Russland-Fahnen. Aufgerufen hatte ein Bündnis, zu dem die lokale AfD, Die Basis und eine Montags-Bürgerbewegung gehören.
Auch am 12. September war das der Tenor bei zahlreichen Demonstrationen vor allem in ostdeutschen Klein- und Mittelstädten wie Aschersleben, Bautzen oder Saalfeld. Ein abschreckendes Beispiel war Anfang September zudem in Tschechien zu beobachten: 70.000 Menschen protestierten dort unter dem Motto »Die Tschechische Republik zuerst« gegen die Inflation, die Aufnahme ukrainischer Geflüchteter und für eine »neutrale Stellung« des Landes im Ukrainekrieg. Aufgerufen hatten extrem rechte Parteien sowie unter anderen die zumindest dem Namen nach Kommunistische Partei.
Auch Teile der Friedensbewegung in der Bundesrepublik haben wenig Berührungsängste, mit entsprechenden Gruppen auf die Straßen zu gehen. Ende August protestierten in Dessau die Handwerker für den Frieden, Aktive aus der Friedensbewegung trafen dabei auf Querdenken-Aktivist*innen.
Mittlerweile wurde überdies deutlich, dass auch bei linken Sozialprotesten entsprechende Forderungen und Erklärungsmuster aufgegriffen werden. Die Position »Die Menschen müssen frieren, weil die Bundesregierung einen Wirtschaftskrieg gegen Russland führt« vertreten etwa die Linkspartei-Politikerin Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützer*innen.
Antiautoritäre Kriegsgegner*innen stehen also vor der Aufgabe, eine eigene internationalistische Position zu finden, die sich von rechts abgrenzt, auf erneuerbare Energien statt Nord-Stream- oder Fracking-Gas setzt, nicht auf Kosten der am stärksten Notleidenden im Ukrainekrieg geht und zugleich die Bundesregierung angreift. Sicher kommt man dabei nicht darum herum, die eigene Position zu den Sanktionen zu klären. Es ist letztlich das eine, sichtbare extreme Rechte und Verschwörungsideolog*innen von linken Demos zu vertreiben – eine tragfähige inhaltliche Basis für breiten linken Protest zu finden, ist schon schwerer.
»… ist natürlich eine Entscheidung der Einzelnen.«
Generell scheint es kaum möglich, breit getragene linke Positionen zum Ukrainekrieg und seinen Folgen zu finden. Zwar ist es mittlerweile gang und gäbe in Debatten, sich sowohl von Russland als auch von der Nato zu distanzieren und auch pflichtschuldig den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Moskaus zu kritisieren – doch was darüber hinaus folgt, ist alles andere als klar. Gab es im Frühjahr noch strömungsübergreifend viele rege Debatten, so hat sich zum Herbstanfang bereits eine Art Lagerbildung herauskristallisiert und bei vielen auch Diskussionsmüdigkeit eingestellt.
Ob die Frage nach der grundlegenden Natur des Konfliktes, der Bewertung der ukrainischen und russischen Regierung, die Frage nach unterstützenswerten Kräften vor Ort, nach dem Hauptaggressor, der Bedeutung des Konfliktausgangs für den postsowjetischen Raum oder die nach einer passenden Praxis – es gibt keine Einigkeit.
Das lähmt und sorgt für politische Schwachstellen. Als die taz in einem Interview die Rheinmetall Entwaffnen-Sprecherinnen fragte, was sie den Menschen in der Ukraine raten würden, kam als Antwort: »Was man tun kann, wenn man angegriffen wird, ist natürlich eine Entscheidung der Einzelnen.« Und: »Das ist eine schwierige Frage, auf die wir keine zufriedenstellende Antwort haben.« Stellvertretend für große Teile der radikalen Linken wurde klar, dass man hier gewaltig schwimmt.
Vieles bleibt also unklar. Wenn man für sofortige Friedensverhandlungen eintritt – wie kann man auf einen Aggressor ausreichend Druck ausüben, damit sie ernsthaft geführt werden? Wenn man Sanktionen und Waffenlieferungen ablehnt – welche realistischen, kollektiven Handlungsmöglichkeiten gesteht man angegriffenen Menschen zu? Was bedeutet internationale Solidarität im Bezug auf den eigenen Lebensstandard? Wie sind eine kollektive Friedensordnung und eine neue Art der Entspannungspolitik denkbar – und was können wir als radikale Linke dazu beitragen?
Es fällt der gesellschaftlichen Linken nun auf die Füße, zu diesen und weiteren wichtigen Fragen bislang keine Antworten entwickelt zu haben. Eine Klärung – gemeinsam mit der Klimagerechtigkeitsbewegung und internationalen Genoss*innen – muss dringend nachgeholt werden, da man sonst in den kommenden Monaten schnell den Anschluss verlieren wird.
passiert am 22.09.2022