Angeklagter Polizist wegen „akuter Bedrohungslage“ unter Schutz

Die Stimmung im Prozess um den Unfalltod der 21-jährigen Fabien Martini ist gekippt. Für den angeklagten Hauptkommissar Peter G. habe das Landeskriminalamt (LKA) eine „akute Bedrohungslage erkannt“, teilte der Vorsitzende Richter am Dienstag zu Beginn des dritten Tages mit.

Er habe einen entsprechenden Anruf der zuständigen Abteilung des LKA bekommen, erklärte der Richter. Peter G. werde nun geschützt. „Die Bedrohungslage soll aus Richtung der Familie Martini kommen“, sagte der Richter. Auch Personenschützer der Polizei waren am Dienstag für Peter G. im Gericht.

Die Eltern der Getöteten, die als Nebenkläger mit im Gerichtssaal sitzen, zeigten sich empört. „Es ist absolut gelogen, dass wir Morddrohungen aussprechen“, sagte die 49-jährige Mutter. „Davon wird unsere Tochter auch nicht mehr lebendig“, fügte sie unter Tränen hinzu. Der Anwalt des Vaters erklärte: „Von meinem Mandanten geht keine Bedrohung aus – genau das Umgekehrte ist der Fall.“

Der Richter erklärte, er habe Verständnis dafür, dass das Verfahren hoch emotional sei. Er mahnte jedoch, bei der Verhandlung im Saal solle alles ruhig bleiben. Der Verteidiger des 53-jährigen G. hatte zuvor darauf hingewiesen, dass der Vater auf Facebook den Angeklagten unter anderem als Mörder bezeichnet hatte.

Jörn Badendick, Sprecher des Polizeiberufsverbandes „Unabhängige“ sagte am Rande der Verhandlung: „Es geht nach meinen Eindruck bei der Bedrohungslage nicht vorrangig um die Eltern, sondern um die Folgen der früheren medialen Berichterstattung. Danach könnten sich Leute animiert fühlen, das Recht selbst in die Hand zu nehmen.“

Tatsächlich standen die Ermittlungen im Sommer 2018 kurz vor dem Abschluss, Justiz und Polizei mussten sich mit dem Vorwurf herumschlagen, den Beamten schützen und den Fall vertuschen zu wollen.

Verstärkt wurde dies obendrein, als die Anwälte der Familie Martini im Herbst 2018 Hinweise erhielten, dass bei G. nach dem Unfall in einer Rettungsstelle Blutalkohol gemessen worden sei. Im Januar wurde bei der Charité die Patientenakte beschlagnahmt. Der Boulevard titelte über Peter G., er sei der „Suff-Cop“, und zeigte private Bilder von ihm.

Anwalt des Polizisten geht nur von Mitverschulden für Unfall aus

Der Anwalt des Polizisten rief am Dienstag in der Verhandlung dazu auf, im Prozess eine „sachliche und realistische Bewertung vorzunehmen“. Es sei zu prüfen, ob „ein Mitverschulden“ des Angeklagten vorliege. Die junge Autofahrerin habe Fehler gemacht. Einer der Anwälte der Nebenklage konterte: „Ihr ein Mitverschulden anzulassen, finde ich pietätlos.“

Die Anklage wirft dem 53-Jährigen fahrlässige Tötung vor – den zunächst auch erhobenen Vorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs durch Alkoholisierung hatte das Gericht nicht zugelassen.

Ein Nachweis zu einer Alkoholisierung sei nicht zu führen, begründeten die Richter. Denn die Patientenakte des Polizisten samt Angaben zu einem Blutalkoholwert sei rechtswidrig beschlagnahmt worden und deshalb nicht verwertbar.

Der Hauptkommissar soll am 29. Januar 2018 in Mitte zu einem Einsatz mit Blaulicht und Martinshorn gerast sein. Die Polizei war wegen eines Raubes alarmiert worden. Später stellte sich heraus, dass es ein Fehlalarm war.

„Er fuhr nach der Tunnelausfahrt mit einer Geschwindigkeit von 130 Stundenkilometern in den Biegungsbereich der Grunerstraße ein, obwohl er jederzeit aufgrund der sich auf dem Mittelstreifen befindlichen Parkhäfen mit Parkplatzsuchverkehr rechnen musste“, heißt es in der Anklage. Zudem habe er wegen der Biegung die Straße nicht vollständig einsehen können. Doch er habe sein Tempo nicht angepasst.

Fabien Martini im Renault Clio wechselte langsam die Fahrspur von rechts nach links, weil sie den Ermittlungen zufolge auf der Mittelinsel einparken wollen. Sie blinkte laut Anklage. Beim Aufprall soll G. noch 93 Stundenkilometer schnell gewesen sein. Die junge Frau starb um 13.35 Uhr.

Der Tod von Fabien Martini und der Fall des Polizisten Peter G.

Mehrere Zeugen hatten im Prozess berichtet, dass sie den Einsatzwagen und das Martinshorn gehört haben. Und dass sie sich gefragt haben, warum der weiße Wagen auf der Grunerstraße nicht stehen geblieben ist. Auch Alkohol will niemand bei dem Polizisten bemerkt haben.

Am Dienstag wurde der damalige Vorgesetzte des Angeklagten in den Zeugenstand gerufen. Als er zum Unfallort kam, sei ihm kurz geschildert worden, wie es zu der Kollision gekommen sein soll, sagte der Beamte. Sein Kollege Peter G. habe „sichtlich unter Schock gestanden“. Der verletzte Beifahrer habe über Schmerzen geklagt.

Feuerwehr entschied: Beamte sollten ins Krankenhaus

Beide seien dann mit einem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht worden. „Das hatte die Feuerwehr entschieden“, sagte der 59-Jährige. Und nein, er habe keinerlei „alkoholtypische Ausfallerscheinungen“ festgestellt. Es treffe auch nicht zu, dass er als Vorgesetzter G. und dessen Beifahrer „aus Vorsorgegründen“ vom Unfallort habe entfernen lassen.

Der Hauptkommissar ist nach Angaben seines damaligen Vorgesetzten nach dem Unfall nicht mehr Funkwagen gefahren – „auf eigenen Wunsch“, sagte der 59-Jährige.

Augenzeuge wunderte sich: „Warum schert das weiße Auto denn aus?“

Mit einer angeblichen Botschaft des Angeklagten über soziale Medien wurde der Beamte konfrontiert. Nach dem Unfall soll G. geschrieben haben: „Ich bedanke mich bei meiner Polizeifamilie – schön, dass ihr mir den Arsch gerettet habt.“ Nein, erklärte der Zeuge, davon wisse er nichts.

Zuvor hatte ein Augenzeuge des Unfalls beschrieben, dass er auf den weißen Kleinwagen aufmerksam geworden sei. „Warum schert das weiße Auto denn aus?“, habe er sich noch gefragt. Der Renault Clio sei genau in die freie Gasse gefahren.

Das Martinshorn sei deutlich zu hören gewesen. „Dann kam es zum Unfall.“ Ein 30-jähriger Augenzeuge sagte, aus seiner Sicht „zog der Clio schlagartig rüber von rechts in die linke Spur“. Der Funkstreifenwagen sei mit sehr hoher Geschwindigkeit an ihm „vorbeigeschossen“. Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt.

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passiert am 03.11.20