Soziale Revolution kennt keine Avantgarden und erst recht keine Eisenbahner:innen
Am 04. November, rund einen Monat nachdem sich „Revolutionäre Eisenbahner:innen in der Klimagerechtigkeitsbewegung – Anna Stepanowna Politkowskaja“ zu einer Sabotageaktion gegen die Bahnstrecke zwischen der Raffinerie Schwedt und Berlin bekannt hatten, meldeten sich die vermeintlich selben Akteure – vermeintlich, weil nun wirklich jede*r einen Text mit einem solchen Namen unterzeichnen kann und der Natur der Sache niemand nachprüfen kann, ob es sich um die gleichen Personen handelt, oder ob hier nicht vielmehr irgendwelche Dritte dahinter stecken, denen die Verwendung dieses Namens gerade opportun erscheint – noch einmal zu Wort, um ihre damalige Sabotage der Bahngleise zu feiern und dabei zugleich eine andere Sabotage gegen das norddeutsche Schienennetz als „konterrevolutionär“ zu brandmarken und Spekulationen hinsichtlich vermeintlicher Täter*innen bzw. Nicht-Täter*innen in die Weiten des Internets hinauszublöken. Denn unsere „revolutionären Eisenbahner*innen“ (was auch immer an einer Technologie des Genozids und des Kolonialismus revolutionäres sein soll …), sie vermuten hinter zwei durchtrennten Glasfaserkabeln in Berlin und Herne Akte der Verbreitung von „Angst und Verunsicherung“ ebenso wie dass „Staatsorgane diese Aktion gesteuert haben“. Und das alles, weil niemand die Verantwortung für diese Sabotage übernommen hat und weil die Medien diese Sabotage auf eine Art und Weise diskutiert haben, die nicht im Sinne unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ gewesen ist.
Um uns im folgenden präziser mit dem Unsinn, den diese „revolutionären Eisenbahner:innen“ da in die Welt gesetzt haben auseinandersetzen zu können, sei hier zunächst der entsprechende längere Auszug ihrer Kritik zitiert:
Wir sehen uns in der Verantwortung gegenüber aktivistischen Gruppen und Sympathisant:innen politische Kriterien herauszustellen, die eine Unterscheidbarkeit zwischen einer revolutionären oder einer im revolutionären Sinne kontraproduktiven bzw. auch konterrevolutionären Aktion verdeutlichen. Die Sabotage in Herne und Berlin-Hohenschönhausen in der Nacht vom Freitag auf Samstag (08.10.2022) entspricht nicht unseren politischen Kriterien.
Beim Verfolgen der Berichterstattung sind wir über viele Dinge gestolpert, die unsere Warnlampen anspringen ließen.
In der Presse wurde entgegen sonst üblicher Verlautbarungen sofort von Sabotage gesprochen. Normalerweise wird Sabotage unsichtbar gemacht und als Vandalismus abgehandelt.
Auch wurde ein hoher Professionalitäts- und Organisierungsgrad darüber hergeleitet, dass an zwei weit auseinander liegenden Orten mit zeitlichem Abstand Kabel mit Hilfe von Schneidwerkzeug getrennt wurden. Neu ist das aber nicht, denn zum G20 Gipfel in Hamburg wurden auch an vielen Stellen in Deutschland Kabelschächte angegriffen. Dies geschah sogar zeitgleich und unter Zuhilfenahme von Feuer. Die Folgen waren ähnlich gravierend, wenn nicht sogar weitreichender und (auch durch das Feuer) dauerhafter: Brandanschläge auf Bahnstrecken – Bekennerschreiben zum G20-Gipfel – https://linksunten.archive.indymedia.org/node/215862/index.html
Auch hatten einige Aktionen wie der Vulkangruppe „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ in Berlin große und vor allem dauerhaftere Wirkungen als die aktuelle Sabotage des Zugfunkverkehrs:
https://linksunten.indymedia.org/de/node/40279/
Auch ein hohes Maß an „Insider-/Geheimwissen“ wurde in der Berichterstattung attestiert, bis der Spiegel jüngst recherchierte, dass dieses „Geheimwissen“ über Bahninfrastruktur die ganze Zeit im Netz öffentlich zugänglich war.
Trotzdem wurde durch die Medien nun der Eindruck einer neuen Qualität von Sabotage erweckt. Da in der Regel die Medien inhaltlich mit Polizeiberichten und mit der Polizei abgestimmten Berichten gefüttert werden, lohnt sich der kritische Blick und die Analyse der Rezeption in der Öffentlichkeit: wer meldet sich zu Wort und welche Interessen könnte es geben, diese Aktion als so herausragend zu bezeichnen.
Wenn Zerstörung kein Selbstzweck ist, dann müssen wir uns die Wirkung der Aktion anschauen und überprüfen, ob die politische Wirkung auch das Ziel der materiellen Sabotage gewesen sein könnte. Dies hilft uns zu unterscheiden, aus welcher Ecke die Aktion kommen könnte.
Der Kampf um die Deutungshoheit über gesellschaftliche Konflikte wird in Kriegszeiten besonders heftig ausgetragen. Unter diesem Gesichtspunkt sind Meldungen mit besonderer Vorsicht zu genießen, Quellen noch genauer zu überprüfen. Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.
Wenn von Vandalismus geredet wird, müssen wir das nicht sofort glauben und übernehmen. Das gilt andersherum auch. Vor allem dann, wenn wir Sabotage als ein Mittel im gesellschaftlichen Kampf gegen Kriege und Klimazerstörung begrüßen und ihre breite Anwendung nach wie vor propagieren, diese Ziele aber in einer Aktion nicht identifizieren können. Sabotage mit revolutionären Perspektiven will Einfluss zugunsten der Befreiung der Menschen von zerstörerischen Machtverhältnissen nehmen und den Widerstand dagegen stärken. Sabotage, so wie wir sie meinen, zielt nicht darauf ab, diffuse Verunsicherung und Angst zu erzeugen.
Das Durchtrennen von Kommunikationskabeln an einem Wochenende trifft in der Regel mehr Wochenendreisende als die Wirtschaft. Eine Aktion, die eine emanzipatorische gesellschaftliche Veränderung möchte, sich aber nicht von selbst den Betroffenen vermittelt, steht in der politischen Verantwortung, sich zu erklären. Auch geht es mit einer Erklärung darum, die Deutungshoheit nicht dem politischen Gegner zu überlassen und der Nachrichtenmanipulation vorzubeugen. Wer gezielt bei der Bahn die Redundanz auf einer größeren Strecke ausschalten kann, dem trauen wir auch einen Weg zur Veröffentlichung einer politischen Erklärung zu. Es sei denn, gerade das will man gar nicht.
Mit der Aktion wurde kein Zug zur AfD-Kundgebung nach Berlin gestoppt, keine Kohletransporte und es wird politisch nichts geteilt. Es wird gar kein Ziel ausgegeben. Die Adressaten bleiben nebulös. Die davon unmittelbar Betroffenen werden als Subjekte nicht ernst genommen und es wird nicht versucht, sie abzuholen. Die Wirkung bestimmt das Ziel: Verunsicherung innerhalb der Gesellschaft wird erzeugt bzw. vielmehr anschließend herbeigeredet. Das Signal einer Machtdemonstration, an die Adresse der Beherrschten als auch an die Herrschenden, so scheint es beim jetzigen Stand der Dinge, wird unterschiedslos ausgesendet: „Wir können alles platt machen und ihr ahnt noch nicht mal, wer wir sind.“ Dadurch, dass man sich nicht zu erkennen gibt, sind Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Es wird Misstrauen und eine Destabilisierung der Gesellschaft erzeugt. Der Angriff ist diffus und gegen alle Menschen gerichtet, nicht gegen Machtverhältnisse. Er ist in seiner Wirkung desorientierend und somit mindestens kontraproduktiv. Kontraproduktiv, wenn es denn uns politisch nahestehende Aktivist:innen gewesen wären, was wir aber stark bezweifeln, weil keine emanzipatorischen Prozesse nach vorne gebracht werden. Es sei denn, die Akteure sind an der Verbreitung einer Erklärung auf sicherem Wege gescheitert. Dann wäre es wichtig, sich sichere Verbreitungsmethoden anzueignen und die politische Vermittlung revolutionärer Aktion zu diskutieren. Oder aber, und das ist unsere Befürchtung, ist die Aktion in ihrer Wirkung bewusst konterrevolutionär angelegt, dann nämlich, wenn Staatsorgane diese Aktion gesteuert haben.
Wie auch immer, die Wirkung der Aktion war Wasser auf den Mühlen autoritärer Strukturen, die nach dem starken Staat und dem Militär schreien. Und letztere fühlten sich sogleich angesprochen. Ein Beispiel von vielen: Oberbefehlshaber des Führungskommandos der Bundeswehr, Breuer: „Das ist der Zustand zwischen nicht mehr ganz Frieden, aber auch noch nicht richtig Krieg.“ Das sagt ausgerechnet ein ausgebildeter Spezialist für Mord, der in einem Land lebt, dass täglich Kriege in Form weltweiter Waffenexporte füttert.
Die Wirkung der Sabotage war der Weckruf für Behörden und Regierung, jetzt endlich Strategien gegen Angriffe auf kritische Infrastruktur umzusetzen.
Über eine inhaltliche Auseinandersetzung kamen sie gleichzeitig herum, weil eben keine Position sichtbar wurde, zu der sich zum Beispiel Klimazerstörer und Kriegsbefürworter hätten ins Verhältnis setzen müssen. So, als hätte es diesen Anlass und diese Form der Sabotage gebraucht, wurde die Sabotage zur Steilvorlage einer Mobilmachung zum Schutz „unserer“ kritischen Infrastruktur gegen einen „diffusen, sehr gefährlichen Feind“.
Die zielgerichtete Zerstörung ohne inhaltlich Zielrichtung, ohne jeden erkennbaren politischen Kontext und ohne Vermittlungsversuch legt den Verdacht nahe, dass hier in staatlicher und geheimdienstlicher bzw. in militärischer Logik denkende Akteure am Werke gewesen sein könnten.
Wir beziehen auch die Möglichkeit mit ein, dass es sich um Faschisten gehandelt haben könnte, die ein Interesse haben, einen gesellschaftlichen Ausnahmezustand herzustellen, wobei das oft kein Unterschied zu geheimdienstlichen Akteuren sein muss. Wir gehen sogar noch weiter: Wir schließen in unseren Überlegungen mit ein, dass es im Effekt der Aktion auch um die Brechung der Solidarisierung von Sabotageaktionen aus z.B. der Klimagerechtigkeitsbewegung gehen könnte, bevor diese sich breiter militant aufstellt. Immer zahlreichere radikale Interventionsformen durch die Klimagerechtigkeitsbewegung sind in der letzten Zeit in die Öffentlichkeit getreten und viele gelungene Aktionen wie die Aufzählung unten zeigt, haben -Wochen vor der Zerstörung des Zugfunkverkehrs- das BKA aufgescheucht und es in Habachtstellung versetzt. Da kommt die Steilvorlage einer diffuse Sabotage ohne inhaltliche Vermittlung gerade auffallend recht, um Sabotage generell zu ächten. Wer würde in der Klimagerechtigkeitsbewegung noch auf Sabotage von Infrastruktur als Mittel der Massenmilitanz zurückgreifen, wenn sich im gesellschaftlichen Diskurs eine Diskreditierung durchsetzt, die eine Endsolidarisierung von militanten Interventionen im Fall von Infrastruktursabotage bedeutet. Gerade neu entstehende Gruppen im Kontext des Kampfes gegen fossile Energienutzung dürften von diesem Diskurs verunsichert sein.
Es ist nicht die Wahl des Mittels, die eine Aktion zu einer revolutionären Aktion macht, sondern deren Absicht und des Ziels. Wenn diese durch die Tat nicht eindeutig in den richtigen Zusammenhang gebracht werden kann, finden wir eine politische Erklärung an die Menschen, die erreicht werden sollen, politisch richtig und zwingend.
In diesem Sinne ist die Sabotage in Herne und Höhenschönhausen, von unserem jetzigen Kenntnisstand aus beurteilt, keine Aktion, die wir als eine revolutionäre, der Klimabewegung verwandte Aktion verstehen.
Wir wollen hier vor allem auf drei Aspekte eingehen, die in der Erklärung unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ mitzuschwingen scheinen: Die Frage der Medien, die Frage des Terrorismus und die Frage der Einheit von Mitteln und Zwecken. Allgemein wollen wir hier jedoch noch voranstellen, dass wir uns selbstverständlich jeglicher Spekulation der Urheber*innenschaft der in Frage stehenden Sabotage verweigern. Es steht unserer Überzeugung nach ausschließlich den Urheber*innen einer Sabotage oder eines Angriffs zu, ob und in welcher Form, sie sich zu ihren Taten bekennen wollen. Spekulationen über die Urheber*innenschaft hebeln diese grundlegende Überzeugung aus. Eine Sabotage zu der sich keine*r bekennt wird daher immer diffus bleiben und wir werden diese immer ausschließlich hinsichtlich der Sprache, die diese spricht bewerten. Ebenso wie ein Communiqué mit Leichtigkeit von Geheimdiensten und anderen Akteur*innen verfasst werden kann und anonym veröffentlichte Texte mit beliebigen Pseudonymen unterschrieben werden können, kann eine anonym durchgeführte Sabotage natürlich ebenfalls von Akteur*innen stammen, deren Überzeugungen und Ziele wir nicht teilen mögen. Ausschließlich indem wir Sabotagen und Angriffe daran messen, was mit ihnen erzielt wurde, was sie riskierten und was ihre Durchführung über sie verrät, ganz gleich mit welchem Geschwätz diese möglicherweise begleitet werden, können wir uns zu ihnen ins Verhältnis setzen. Menschen handeln immer aus ihren eigenen Beweggründen. Dies ist der Charakter jeder sozialen Revolution. Und als Anarchist*innen kämpfen wir auch in diffusen Gemengelagen an Seiten jener, die sich mit direkten Aktionen gegen die Infrastrukturen, Schaltzentralen, Symbole und Ideologien der Macht richten, in der Absicht, diese zu zerstören, anstatt selbst Macht zu erlangen.
Medien
Die „revolutionären Eisenbahner:innen“ stellen die fragliche Sabotage ihrem Text nach vor allem deswegen in Frage, weil diese von den Medien unmittelbar als solche geframed wurde, was sie für unüblich halten. Nun sind wir, brave Zeitungsleser*innen, die wir sind, über derlei Behauptungen mindestens erstaunt. Titelten die Zeitungen nicht auch in der älteren und jüngeren Vergangenheit immer wieder von „Anschlägen“, wenn es zu Sabotagen an relevanten Abschnitten der Bahninfrastruktur kam, etwa auch bei den erwähnten Sabotagen im Vorfeld des G20-Treffens in Hamburg (z.B. die B.Z.: „Anschlag auf S-Bahn vor G20-Gipfel: Wer kennt diese Frau?„) oder auch im Zuge der ebenfalls erwähnten Sabotage der Vulkangruppe „Das Grollen des Eyjafjallajökull“ (z.B. die Welt: „Bahn-Anschlag: Polizeigewerkschaft sieht Parallelen zu RAF-Terror“)? Wissen unsere „revolutionären Eisenbahner:innen vielleicht gar nicht, auf was sie sich da positiv beziehen? Oder ist es vielleicht ein mehr als schwachsinniges Argument, das Framing einer Sabotage in der Presse, die ja als verlängerter Arm der Repression immer versucht, Sabotagen zu delegitimieren, als Beweis dafür anzuführen, dass eine Sabotage vielleicht nicht ganz koscher sein könnte? Dabei scheint unseren „revolutionären Eisenbahner:innen“ sehr wohl bewusst zu sein, dass die Medien mehr als irgendetwas sonst der verlängerte Arm polizeilicher Öffentlichkeitsarbeit sind. Umso mehr überrascht dann doch die folgende Passage ihrer Erklärung:
„Eine Aktion, die eine emanzipatorische gesellschaftliche Veränderung möchte, sich aber nicht von selbst den Betroffenen vermittelt, steht in der politischen Verantwortung, sich zu erklären. Auch geht es mit einer Erklärung darum, die Deutungshoheit nicht dem politischen Gegner zu überlassen und der Nachrichtenmanipulation vorzubeugen.“
Nun ist ja der entscheidende Knackpunkt durchaus wann sich eine Sabotage oder auch Aktion von selbst vermittelt und wir werden darauf im Abschnitt zur Einheit von Zwecken und Mitteln noch ausführlich zu sprechen kommen, aber wird nicht gerade die „Deutungshoheit“ dem „politischen Gegner“ gerade dann überlassen, wenn man unkritisch das Framing der Medien aufgreift? Wäre einer „Nachrichtenmanipulation“ nicht vor allem dadurch vorzubeugen, indem man eine Diskussion über Sabotagen und Angriffe gerade nicht auf deren mediale Rezeption und Darstellung stützt? Und vor allem: Wo unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ schon so großmaulig von einer „politischen Verantwortung“ schwadronieren, wo bleibt diese „politische Verantwortung“, wenn man – wie sie es tun – ohne jeden belastbaren Beweis alleine aufgrund der Darstellung einer Sabotage in den Medien so schwerwiegende Unterstellungen ausbreitet, wie dass diese „konterrevolutionär“ wäre? Macht man sich dann nicht vielmehr selbst zu einem Werkzeug medialer „Nachrichtenmanipulation“ und spielt der „Deutungshoheit“ des „politischen Gegners“ selbst in die Hände? Oder anders gesagt, sind unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ nicht vielleicht in Wahrheit vielmehr selbst „konterrevolutionäre Eisenbahner:innen“?
Aber ob revolutionär oder eben konterrevolutionär, lassen wir doch einmal für einen Moment alle Eisenbahner:innen beiseite und kehren zurück zur Frage der Medien und der damit verbundenen Frage von Communiqués vor dem Hintergrund dessen, was zu einer „sozialen Revolution“ beitragen soll. Wenn die Medien ein wichtiges Werkzeug der Herrschaft sind, einen bestimmten gesellschaftlichen Konsens herzustellen und durch ihre Auseinandersetzung mit Sabotagen wie der diskutierten diesen gesellschaftlichen Konsens zu stärken oder wenigstens aufständische Fraktionen ideologisch zu isolieren (und wer würde diese Funktion der Medien in Frage stellen?!), ist es dann nicht absurd, sich mit Erklärungen an die selben Medien zu wenden und dabei zu hoffen, dass diese selbige im eigenen Sinne unter den Menschen verbreiten würden? Denn natürlich lassen sich die Medien nicht zugleich als Sprachrohr der eigenen Positionen betrachten, wenn man selbigen zugleich eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung dieser selbigen Positionen zuschreibt.
Und ist es nicht genauso absurd und tatsächlich der selben Logik folgend, Aussagen wie die folgende in die Welt zu setzen: „Über eine inhaltliche Auseinandersetzung kamen sie gleichzeitig herum, weil eben keine Position sichtbar wurde, zu der sich zum Beispiel Klimazerstörer und Kriegsbefürworter hätten ins Verhältnis setzen müssen.“ Zielen unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ denn mit ihren eigenen Aktionen tatsächlich darauf ab, dass „Klimazerstörer und Kriegsbefürworter“ ein inhaltliches Statement zu diesen abgeben? Hätten sie sich etwa damit zufrieden gegeben, wenn die Raffinerie Schwedt nach ihrer Aktion ein Statement der Art „Wir denken, die revolutionären Eisenbahner:innen haben Recht, in Zukunft werden wir Umweltzerstörung nur noch à la Windräder und Solarparks betreiben und glücklicherweise stammen die dafür benötigten Rohstoffe ohnehin nicht mehr aus der putinschen Kriegsmaschinerie, sondern hängen glücklicherweise ohnehin von den etablierten und in ihrer militärischen Auseinandersetzung weitestgehend abgeschlossenen kolonialen Eroberungsfeldzügen ab, an denen sich auch die revolutionären Eisenbahner:innen ihrer Erklärung gemäß nicht zu stören scheinen“ abgegeben hätte? Kann der Dialog mit der Macht ein Ziel von Revolutionären sein oder ist die „inhaltliche Auseinandersetzung“ der Macht mit den Positionen der Revolutionären nicht vielmehr eine erprobte und erfolgreiche Strategie der Kooptierung von Bewegungen?
Terrorismus
Es mag vielleicht ein spezifischer Fall von den Medien das Wort reden sein, wenn unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ behaupten, die fragliche Sabotage würde die Logik des Terrors bedienen und Angst in der Bevölkerung schüren. Vielleicht mag es an ihrer Selbstidentifikation als „Eisenbahner:innen“ liegen, dass unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ eine Sabotage gegen das Funknetz der Bahn als etwas deuten, was „gegen alle Menschen gerichtet [sei], nicht gegen Machtverhältnisse“. Aber ein kleiner Realitätscheck zeigt, dass tatsächlich eigentlich kein einziger Mensch außer jenen, denen man eine gewisse Anteilhabe an Machtverhältnissen zweifelsfrei attestieren muss, irgendwie Anteilseigner*in von diesem Funknetz wäre, davon profitiert oder sonstirgendwie von dessen Sabotage beeinträchtigt wäre. Mit Ausnahme davon vielleicht, dass aufgrund dieser Sabotage eine ganze Menge Züge nicht gefahren sind. Wenn nun aber die Menschen Angst bekommen würden, weil (mal wieder) ein Zug ausfällt oder sich verspätet, dann wäre die Deutsche Bahn die wohl gefürchtetste Terrororganisation auf dem gesamten Planeten. Und die geneigte Leserin stellt sich an dieser Stelle vielleicht zudem die Frage, inwiefern, wenn unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ tatsächlich eine solch schwachsinnige Ansicht vertreten würden, sie sich schließlich selbst von den vermeintlichen Verbreiter*innen von Angst und Schrecken unter „allen Menschen“ unterscheiden. Denn auch die Aktion, die sie gegen die Raffinerie Schwedt durchgeführt haben, richtete sich gegen Gleisanlagen, auf denen Personenzüge verkehrten. Haben sie etwa in einer militaristischen Logik der Kollateralschäden willentlich in Kauf genommen, dass sich die Züge der unschuldigen Menschen verspäten? Oder offenbart dies bloß die Schwachsinnigkeit ihres Argumentes und die Doppelmoral ihres Denkens? Oder verbirgt sich hinter dieser Rhetorik eigentlich etwas anderes. Wenn unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ etwa schreiben, dass „[d]ie davon unmittelbar Betroffenen als Subjekte nicht ernst genommen [werden] und es wird nicht versucht, sie abzuholen“ räumen sie schließlich unfreiwillig ein, dass sie die Menschen um sich herum als „Subjekte“ wahrnehmen, die „abgeholt“ werden müssten (wie naiv auch immer man sein kann, zu glauben, dass jene, die Zugausfälle und Verspätungen hinnehmen müssen, durch eine Erklärung á la „wir haben diese Störung herbeigeführt, für die gerechte Sache“ abgeholt werden würden), anstatt sie als selbst denkende Individuen mit eigenen Interessen zu respektieren. Sie begreifen sich also als eine Avantgarde, die den Menschen den an anderer Stelle als „richtigen Weg“ bezeichneten revolutionären Pfad weisen wollen. Wenn sie nun also die Rhetorik des Terrorismus gegen Sabotagen bemühen, die dies offensichtlich nicht wollen, so liegt doch der dringende Verdacht nahe, dass sie damit eigentlich nur sich selbst als legitime Avantgarde positionieren wollen, als unbedingt zu konsultierende (Möchtegern-)“Expert*innen der Bahnsabotage“ sozusagen, die eifersüchtig darauf reagieren, wenn sich irgendjemand anmaßt, aus eigenen Interessen loszuziehen und das Schienennetz anzugreifen, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was sie davon halten mögen.
Aber nehmen wir einmal an, sie würde uns nicht förmlich ins Gesicht springen, diese Heuchelei und diese Doppelmoral unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ und widmen wir uns lieber noch einmal der Frage des Terrorismus: Wenn Terrorismus darin besteht, durch die Verbreitung einer diffusen Angst zu herrschen, dann können wir als Anarchist*innen keinen positiven Bezug zu Methoden des Terrorismus herstellen. Die militaristische Logik von Kollateralschäden lehnen wir ab. Aber wir sind nicht so verblödet, dass wir die Infrastrukturen der Herrschaft als Besitztum der Bevölkerung und Schläge gegen diese damit als Schlag gegen selbige betrachten würden. Tatsächlch hätten unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ vielleicht lieber einmal eine Umfrage unter den Fahrgästen der Bahn machen sollen, bevor sie sich zu derlei lächerlichen Aussagen versteigen: Sie hätten festgestellt: Keine*r von ihnen besitzt irgendwelche Züge oder andere Schienenfahrzeuge und niemand von ihnen identifiziert sich mit dem Eigentum der Bahn, selbst jene nicht, die dieses nichtsdestotrotz gegen diverse Formen von Vandalismus verteidigen. Diese Verdehung der Realität, der unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ hier aufgesessen zu sein scheinen, wurde vielmehr von Medien und Repression gezielt geschaffen, um Verwirrung hinsichtlich von glasklaren Angriffen auf die Herrschaft zu stiften. Dass ausgerechnet die angeblich „revolutionären“ Eisenbahner:innen dieser Verwirrung als Erste auf den Leim gehen ist traurig.
Einheit von Mitteln und Zwecken
Und das führt uns schon zum letzten Aspekt, auf den wir hier eingehen wollen. Denn auch wir halten die Einheit von Mitteln und Zwecken für unvermeidbar, wenn wir uns als Anarchist*innen auf eine Sabotage oder einen Angriff positiv beziehen wollen. Daran ändern im Wesentlichen gerade Erklärungen nichts. Worte sind verlogen. Die Erklärung warum man Kollateralschäden in Kauf genommen hat ändert nichts daran, dass man es getan hat. Die Entschuldigung für eine Fehleinschätzung, die dazu führte, dass unbeteiligte Dritte in Mitleidenschaft gezogen wurden mag zwar eine nette Geste sein, jedoch ändert sie nichts daran, dass dies passiert ist. Wenn man den spezifischen Verkehr von Tankzügen blockieren will und der Meinung ist, dass ein Angriff auf die Infrastruktur der Bahn im Allgemeinen nicht vertretbar ist, dann hilft auch das ausschweifendste Geschwätz nicht dabei, etwas an der Tatsache zu ändern, dass man aus Bequemlichkeit eben nicht die Industriegleise der Raffinerie Schwedt sabotiert hat, sondern das Schienennetz der Bahn an einem Punkt unterbrochen hat, an dem auch der Personenverkehr in Mitleidenschaft gezogen wurde. Und wenn dies wirklich die Haltung unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ ist, dann raten wir ihnen dringend, sich anstatt Spekulationen über andere Sabotagen anzustellen, lieber damit zu beschäftigen, wie es kam, dass sie in eine derart militaristische Logik abgleiten konnten. Aber wir sind ja nicht der Ansicht, dass die Sabotage gegen das Schienennetz überall und auch ein außer Kraft setzen des gesamten Zugverkehrs keine „emanzipatorische“ Sabotage wäre. Wo jedoch unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ eine ganze Reihe haltloser Behauptungen bis hin zu offenkundigen Lügen darüber aufgestellt haben, was zumindest die Auswirkungen der fraglichen Sabotage gewesen wären – und was nicht –, wollen wir hier unsererseits eine kleine Überprüfung anstellen, ob die tatsächlichen Auswirkungen der Sabotage vereinbar sind, mit anarchistischen, „emanzipatorischen“ oder freiheitlichen Absichten oder nicht. Ob dies den hinter dieser Aktion stehenden Zwecken entspricht können und wollen wir der Natur der Sache gemäß dabei keineswegs beantworten und wir verweigern uns hier jeglichen Kommentars, anders als unsere (konter-)“revolutionären Eisenbahner:innen“ die munter darüber spekulieren, welche Ziele die unbekannten Saboteur*innen verfolgt haben könnten.
Kommen wir zunächst darauf zu sprechen, was unsere (konter-)“revolutionären Eisenbahner:innen“ an Falschinformationen über die Auswirkungen der betreffenden Sabotage verbreiten: „Das Durchtrennen von Kommunikationskabeln an einem Wochenende trifft in der Regel mehr Wochenendreisende als die Wirtschaft,“ schreiben sie etwa. Haben unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ vielleicht gar keine Ahnung von ihrem vorgeblichen Beruf? Immerhin kann doch wirklich jede*r online eine Fahrplanauskunft auf der Webseite von DB Cargo abrufen, die enthült, wie unsinnig diese Aussage ist. „Mit der Aktion wurde kein Zug zur AfD-Kundgebung nach Berlin gestoppt, keine Kohletransporte und es wird politisch nichts geteilt,“ schreiben sie weiter und wiederum fragt man sich, was mit derart offensichtlichen Lügen erreicht werden soll? Die Auswirkungen der fraglichen Sabotage bestanden Medieninformationen zufolge darin, dass der Zugverkehr in Norddeutschland „für knapp drei Stunden eingestellt“ werden musste. Der Natur der Sache gemäß fielen dadurch zahlreiche Züge komplett aus und andere hatten viele Stunden Verspätung. Für Besucher einer Kundgebung der AfD nützt es freilich wenig, wenn ihr Zug Stunden nach Ende der Kundgebung eintrifft. Insofern überrascht diese Aussage unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ doch gewaltig. Wissen diese etwa etwas, was wir einfache Leute nicht wissen, etwa dass Besucher der AfD-Kundgebung in Geheimzügen (etwa versiegelt von der OHL, HAHA) dennoch transportiert wurden? Und natürlich fielen auch diverse Kohletransporte aus, bzw. verspäteten sich. So wie natürlich auch der „Rückstau“, den die Aktion der „revolutionären Eisenbahner:innen“ ausgelöst hat, bloß eine Verzögerung der Öltransporte aus Schwedt bewirkt hat und nicht deren Totalausfall. Aber offensichtlich ist es legitim für unsere „revolutionären Eisenbahner:innen“ einfach irgendwelche Falschinformationen zu verbreiten, wenn es ihrem Argument dienlich ist. So kommen auch offensichtlich völlig unüberlegte und überhebliche „Einschätzungen“ unserer „revolutionären Eisenbahner:innen“ zustande, wie „Wer gezielt bei der Bahn die Redundanz auf einer größeren Strecke ausschalten kann, dem trauen wir auch einen Weg zur Veröffentlichung einer politischen Erklärung zu.“ Man ist geradezu versucht, solch arroganten Wichtigtuern zuzurufen: „Noch seid ihr nicht aus dem Schneider. Aber keine Sorge solltet ihr aufgrund einer Identifizierung durch das BKA wegen eurer seitenlanger Communiqués am Ende doch noch identifiziert werden, werden wir nichtsdestotrotz solidarisch mit euch sein.“
Aber genug von diesen „revolutionären Eisenbahner:innen“. Auswirkung der fraglichen Aktion bleibt der Ausfall des Zugfunks im Norden der BRD. Die auf der Strecke befindlichen Züge begaben sich daraufhin dem Notfallprotokoll für derlei Situationen gemäß zurück in den nächstgelegenen Bahnhof, wo sie blieben, bis der Funk wiederhergestellt wurde. Eine Gefährdung von Passagieren und Zugpersonal durch die Aktion selbst war also im Wesentlichen ausgeschlossen, wovon anzunehmen ist, dass dies den Saboteur*innen bekannt gewesen sein dürfte. Dass der Zugverkehr flächendeckend im Norden von Deutschland in weiterer Folge still stand, dürfte die beabsichtigte Auswirkung des Ganzen gewesen sein. Eine Störung des Ablaufs bei der Bahn, eine Unterbrechung der Normalität, warum also trotz der Tatsache, dass Kabel ohne Feuer durchtrennt wurden, nicht auch ein Funke, der das soziale Pulverfass sucht? Eine Inspiration für all jene, die danach streben, die kriegerische und koloniale Logistik des Schienennetzes zu stören und das System, dem sie dient zu zerstören. Und selbstverständlich diskutieren die Medien und die Politik nun darum, wie angreifbar kritische Infrastruktur ist und wollen Maßnahmen zu ihrem Schutze ergreifen. Aber ist die Sabotage selbst deshalb „Wasser auf den Mühlen autoritärer Strukturen, die nach dem starken Staat und dem Militär schreien„, wie es unsere (konter-)“revolutionären Eisenbahner:innen“ behaupten? Oder ist dies nicht vielmehr die Behauptung jener, die Angst haben, dass ihnen die Kontrolle über eine soziale Situation entgleiten könnte und ihr vorgeblicher Berufsstand von der sozialen Revolte in die Arbeitslosigkeit entlassen werden könnte? Und so widmen wir den „revolutionären Eisenbahner:innen“ ein Gedicht, das 1907 schon einmal der deutschen Sozialdemokratie gewidmet worden war:
War einmal ein Revoluzzer,
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.
Und er schrie: „Ich revolüzze!“
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.
Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Straßen Mitten,
wo er sonsten unverdrutzt
alle Gaslaternen putzt.
Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
aus dem Straßenpflaster aus,
zwecks des Barrikadenbaus.
Aber unser Revoluzzer
schrie: „Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!
Wenn wir ihn‘ das Licht ausdrehen,
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Laßt die Lampen stehn, ich bitt!
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!“
Doch die Revoluzzer lachten,
und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich
fort und weinte bitterlich.
Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.
Entnommen von https://sozialerzorn.noblogs.org/post/2022/11/19/soziale-revolution-kennt-keine-avantgarden-und-erst-recht-keine-eisenbahnerinnen/